Frankreich:Eine Frage der Verhältnismäßigkeit

Nun streiten auch Minister um das Burkini-Verbot. 64 Prozent der Franzosen finden es gut, ihn von den Stränden zu verbannen.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Streit um den Burkini wirft nun sogar seine Schatten über die französische Regierung. Die sozialistische Erziehungsministerin Najat Vallaud-Belkacem warnte am Donnerstag in einem Radiointerview vor "einem Wildwuchs" der Verbote des muslimischen Badeanzugs an immer mehr Badestränden: "Wie weit wollen wir gehen, um zu prüfen, ob ein Kleidungsstück vereinbar ist mit den guten Sitten?" Der Burkini-Bann drohe "rassistischem Gerede" freien Lauf zu lassen. Vallaud-Belkacem, selbst Tochter einer Einwanderer-Familie aus Marokko, wurde jedoch prompt von Regierungschef Manuel Valls zurückgepfiffen: "Das ist eine falsche Interpretation." Vielmehr seien die Burkini-Verbote, die inzwischen in mindestens 25 Gemeinden gelten, "im Namen der öffentlichen Ordnung" gerechtfertigt.

Die erhitzte Sommer-Debatte über das korrekte Strandkleid sieht vor allem Frankreichs Linke gespalten. Premier Valls, Verfechter einer strikten Trennung von Kirche und Staat, betrachtet den Burkini als "Provokation" und Zeichen eines "Bekehrungseifers" der Muslime. Andere linke Politiker wie der Ex-Minister Benoît Hamon hingegen warnten vor "postkolonialen Verzerrungen" und der Neigung, den Islam "als Nest des Terrorismus" zu verteufeln. Ähnlich hatte am Mittwoch die sozialistische Parteiführung ein "gefährliches Abgleiten" der Burkini-Debatte beklagt. Auch Ministerin Vallaud-Belkacem betonte, es gebe "keinerlei Verbindung zwischen dem Terrorismus und der Kleidung einer Frau am Strand." Wer Menschen ausgrenze, "verschärft die Probleme der Republik".

Frankreich: Zu verhüllt: Was im tunesischen Bizerta üblich ist, will laut der ersten Umfrage zum Thema Burkini eine Mehrheit der Franzosen nicht im eigenen Land.

Zu verhüllt: Was im tunesischen Bizerta üblich ist, will laut der ersten Umfrage zum Thema Burkini eine Mehrheit der Franzosen nicht im eigenen Land.

(Foto: Fethi Belaid/AFP)

Hollande schweige, weil er sich vom politischen Islam wählen ließ, behauptet die Opposition

Präsident François Hollande wiederum vermied es, Partei zu ergreifen: Das Zusammenleben der Franzosen verlange, dass "sich jeder an die Regeln hält", sagte das Staatsoberhaupt, "und dass es weder Provokation noch Stigmatisierung gibt." Frankreichs Rechte befürwortet derweil weitgehend geschlossen den Burkini-Bann. Ex-Präsident Sarkozy will zudem das Verbot des Kopftuchs, das bisher nur für Schulen gilt, auch auf Universitäten, alle Behörden und sämtliche Arbeitsplätze ausweiten. Einige Republikaner verlangten, per Gesetz landesweit sämtliche islamische Strandbekleidung zu verbieten. Diese Forderung wiederholte am Donnerstag auch Marine Le Pen, die Vorsitzende des rechtsextremen Front National. Neues Öl ins Feuer goss Eric Ciotti, der rechtspolitische Sprecher der oppositionellen Republikaner. Es räche sich jetzt, so Ciotti, dass Hollande sich vor vier Jahren mit den Stimmen des "politischen Islam" zum Staatsoberhaupt habe wählen lassen. Laut Wahlanalysen hatte 2012 eine große Mehrheit der Muslime sozialistisch votiert. Ciottis Parteifreund Christian Estrosi, Regionalpräsident der Côte d'Azur, reichte Klage gegen Fotografen ein, die Polizisten beim Vorgehen gegen eine bekleidete Besucherin am Strand von Nizza abgelichtet hatten. Die Verbreitung der Fotos gefährde die Sicherheit der Beamten, so Estrosi. Die Mehrheit der Franzosen scheint den Burkini-Bann zu unterstützen. In der ersten Umfrage zum Thema sagten fast zwei von drei der Befragten (64 Prozent), sie lehnten Burkinis an öffentlichen Stränden ab. 30 Prozent zeigten sich gleichgültig, sechs Prozent waren für das Tragen von Burkinis. Laut der Studie sind Anhänger des Front National (86 Prozent) und der Republikaner (76 Prozent) eindeutiger für das Verbot als die der Sozialisten (52 Prozent). "Dieses Thema ist für die Regierung schwieriger als für die Rechte", sagte Jérôme Fourquet, Direktor des Ifop-Instituts, dem Figaro. Klärung erhofft sich die Regierung nun von einem Urteil des Staatsrats, des höchsten Verwaltungsgerichts. Im Conseil d'Etat begann am Donnerstagnachmittag eine Anhörung zum Burkini-Verbot im südfranzösischen Villeneuve-Loubet. Ein Verwaltungsrichter in Nizza billigte vor einer Woche das Verbot als "nötig, angemessen und verhältnismäßig" zu Wahrung der öffentlichen Ordnung. Die Liga für Menschenrechte und ein Verein gegen Islamophobie (CCIF) hatten Berufung eingelegt. Ein CCIF-Anwalt warnte, in dieser Logik könne man Muslimen willkürlich den Zugang zu Stadtvierteln verbieten. Das Urteil wird am Freitag erwartet. Bei einer Niederlage wollen die Kläger vor den Gerichtshof für Menschenrechte.

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