Frankreich:Regierung rückt nach rechts

Präsident Hollande verliert sein letztes linkes Kabinettsmitglied: Justizministerin Taubira tritt zurück. Sie will nicht mittragen, dass verurteilte Terroristen die Staatsbürgerschaft verlieren.

Von Christian Wernicke, Paris

Nach wochenlangem Streit um die Anti-Terror-Politik ist Frankreichs Justizministerin Christiane Taubira am Mittwoch zurückgetreten. Die Demission der überzeugten Linken bedeutet einen Rechtsruck der Regierung. Anlass für das Zerwürfnis war eine geplante Verfassungsreform, wonach verurteilten Terroristen die französische Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll. Präsident François Hollande hatte diese symbolträchtige Maßnahme, die bis dato vor allem der rechtsextreme Front National propagiert hatte, drei Tage nach den blutigen Pariser November-Attentaten vorgeschlagen. Weite Teile der französischen Linken lehnen die Reform strikt ab. Neuer Justizminister wurde der Abgeordnete Jean-Jacques Urvoas, der zum rechten Flügel der Sozialisten und zu den Vertrauten von Premierminister Manuel Valls zählt.

Ministerin Taubira verkörperte für viele Wähler der Sozialisten die letzte Ikone der Linken im Pariser Kabinett. Die aus Französisch-Guyana stammende Politikerin sah sich 2012 und 2013 massiven Anfeindungen rechter und katholischer Gruppen ausgesetzt, als sie für das Gesetz zur Legalisierung der Homo-Ehe stritt. Konservative Gegner bekämpfen die 63-Jährige ebenso wegen ihrer liberalen Reformen von Strafrecht und Strafvollzug. Die Verschärfung von Gesetzen zur strengeren Überwachung der Bürger durch Polizei und Geheimdienste sowie die Ausrufung des Notstands trug Taubira widerwillig mit.

"Widerstand bedeutet manchmal bleiben - und manchmal gehen", twittert sie Minuten später

Zum Bruch kam es nun über Hollandes Plan, wegen Terrorismus verurteilten Landsleuten die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Internationale Konventionen verbieten es, Menschen per Ausbürgerung zu Staatenlosen zu machen. Deshalb würde eine solche Regelung in der Praxis nur Franzosen treffen, die als Doppelstaatler noch einen zweiten Pass besitzen - also vor allem die Nachfahren von Einwanderern aus dem Maghreb. Taubira empfand Hollandes Plan als diskriminierend. Mehrfach meldete sie prinzipiellen Widerspruch gegen ihren Präsidenten an. "Widerstand bedeutet manchmal bleiben - und manchmal gehen", twitterte Taubira Minuten nach ihrem Rücktritt. In einem am Abend ausgestrahlten Interview fügte sie hinzu, ihr "einziger Herr" sei ihr Gewissen - nicht Präsident oder Premier.

Regierungschef Valls stellte nur wenige Stunden später den konkreten Text für die geplante Verfassungsreform vor. Anders als in früheren Entwürfen findet sich darin kein Bezug mehr auf eine besondere Behandlung von Doppelstaatlern. Allerdings wiederholte Valls vor dem Rechtsausschuss der Nationalversammlung, Frankreich wolle keine Staatenlosen schaffen. Die Details des Kompromisses dürften sich erst in einem Gesetz zur Umsetzung der Verfassungsänderung finden. Auch dort, versicherte Valls, werde das Reizwort Binationalität nirgends auftauchen. Damit kommt Valls semantisch der eigenen Linken entgegen. Allerdings dürfte auch der neue Reformtext im Ergebnis nur die Ausbürgerung von Terroristen mit zweiter Staatsangehörigkeit erlauben, weshalb sich viele linke Abgeordnete und Senatoren bei der für März erwarteten Abstimmung verweigern dürften. Präsident Hollande benötigt für seine Reform, die zugleich auch eine Notstandsklausel in der Verfassung verankern soll, die Zustimmung von drei Fünfteln der mehr als tausend Parlamentarier. Valls ist deshalb bemüht, auch die konservative Opposition zu gewinnen. Am Mittwoch kam er Oppositionsführer Nicolas Sarkozy mit einer Geste entgegen: Der Ex-Präsident hatte verlangt, nicht nur Kapitalverbrechen, sondern ebenso "schwere Straftaten" wie die Mitgliedschaft oder Finanzierung einer terroristischen Vereinigung mit dem Entzug der Staatsbürgerschaft zu ahnden. Valls griff diese Formulierung nun auf.

Die Verhandlungen um einen Kompromiss wird ab sofort Jean-Jacques Urvoas leiten, der neue Justizminister. Schon in den vergangenen Wochen hatte der 56-jährige Jura-Dozent in enger Abstimmung mit Hollande und Valls mehrere Textentwürfe vorgelegt. Da der rebellischen Taubira das Reform-Dossier entzogen worden war, galt Urvoas in Paris bereits vor der Kabinettsumbildung als "heimlicher Minister". Der gebürtige Bretone gilt als Anhänger eines Law-and-Order-Kurses. Im Sommer vorigen Jahres hatte er der Regierung geholfen, das bei Menschenrechtsorganisationen und Datenschützern äußerst umstrittene Geheimdienstgesetz durch das Parlament zu bringen.

Der Verlust von Ministerin Taubira dürfte Neigungen der französischen Linken verstärken, bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017 einen Gegenkandidaten zu Amtsinhaber Hollande aufzustellen. Der anerkannte Meinungsforscher Jérôme Fourquet vom Pariser Ifop-Institut sagte am Mittwoch, Taubiras Rücktritt werde zu einer weiteren "Entfremdung" zwischen PS-Stammwählern und Regierung führen. Bereits im Sommer 2014 hatte Hollande drei Minister entlassen, weil sie offen gegen seine Wirtschaftspolitik opponiert hatten. Seit zwei Wochen wirbt eine Initiative linker Intellektueller für eine "Vorwahl der Linken", um per Urwahl einen Bewerber für den Élysée-Palast zu küren.

Frankreich: Christiane Taubira stand für liberale Reformen im Strafrecht und bei der Homo-Ehe. Dafür wurde sie von rechten und katholischen Gruppen angefeindet.

Christiane Taubira stand für liberale Reformen im Strafrecht und bei der Homo-Ehe. Dafür wurde sie von rechten und katholischen Gruppen angefeindet.

(Foto: Stephane de Sakutin/AFP)
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