Frankreich:Die Revolution fällt aus

Frankreich: Tausende demonstrierten in Frankreich am Mittwoch gegen geplante Reformen des Arbeitsmarktes. Wie hier in Rennes waren vor allem junge Menschen auf der Straße.

Tausende demonstrierten in Frankreich am Mittwoch gegen geplante Reformen des Arbeitsmarktes. Wie hier in Rennes waren vor allem junge Menschen auf der Straße.

(Foto: Jean-Sebastien Evrad/AFP)

1,2 Millionen Franzosen wehren sich im Internet gegen Arbeitsmarktreformen. Doch zur Demonstration kommen deutlich weniger - Hollande kann aufatmen.

Von Leo Klimm und Christian Wernicke, Paris

Aus dem Megafon erschallt der Klassenkampf. "Wer Not sät, wird Wut ernten!", skandiert eine Studentin. Oder dieser Slogan: "Wir lassen uns nicht den Patrons zum Fraß vorwerfen." Die "Patrons", das sind die Bosse, die vermeintlichen Ausbeuter der abhängig Beschäftigten. Clément Troux, ein groß gewachsener Endzwanziger mit Bart, läuft in dem Demonstrationszug mit, der über die Pariser Place de la République zieht. Troux schreit nicht so laut wie seine Begleiter. Er ist eher ein stiller Typ. Aber wütend. "Mir passt die ganze liberale Philosophie der Regierungspläne nicht", sagt er. "Alles geht genau in die falsche Richtung. Alles dient nur dazu, die Position der Arbeitnehmer zu schwächen und die Aktionäre zu bereichern." Deswegen ist er an diesem Mittwoch zur Jugend-Demo gekommen.

Am großen Denkmal für die Republik hängen noch die Transparente der Trauer von den Anschlägen des 13. November. Jetzt stellen sich Troux und seine Freunde im Regen mit ihren Plakaten der Wut dazu. Troux ist 28 Jahre alt und mit seinem Studium fertig, er ist Jurist. Den Gesetzentwurf, um den es geht, hat er genau studiert. "Am meisten stört mich, wie das Arbeitsrecht durch Betriebsvereinbarungen ausgehöhlt wird." Solche Vereinbarungen auf Firmenebene, wie sie in Deutschland gang und gäbe sind, liefen nur auf Mehrarbeit ohne Lohnausgleich hinaus. "Im 19. Jahrhundert verteufelten die Patrons das Verbot der Kinderarbeit. Heute verteufeln sie die 35-Stunden-Woche", sagt Troux. Immerhin: Troux hat - anders als viele Franzosen seiner Generation - Arbeit: Er fand einen Job im öffentlichen Dienst, ist inzwischen verbeamtet. Auf der Demo ist er trotzdem. Aus Solidarität. Und weil seine alte Studentengewerkschaft, die den regierenden Sozialisten einst nahestehende Unef, zum Protest gerufen hatte.

Hollande musste mit einem Jugendaufstand rechnen - doch dazu kommt es nicht

Einer der Organisatoren ist Martin Bontemps, 24. Er studiert Politikwissenschaft, auch er ist am Mittwoch dabei. Meist aber hockt der Vize-Präsident der Unef, der mit 30 000 Mitgliedern größten Studentengewerkschaft Frankreichs, im Büro. Er rackert sich ab - "rein ehrenamtlich, so um die 60 Stunden pro Woche" - um die 35-Stunden-Woche zu retten: Dann tippt er zwischen Cola-Dose und Tütensuppe E-Mails. Oder malt Plakate: "Non merci!"

Vor vier Jahren durfte Bontemps das erste Mal wählen. "Das vergisst man nicht", sagt er gequält. "Ich hab' für die Sozialisten gestimmt - leider." Jetzt schimpft er: "Hollande hat uns betrogen!" Der Präsident betreibe "eine neoliberale Politik", verschenke per Sozialabbau Milliarden an die Unternehmer. Überdies benutze Hollande die Angst vorm Terror, um per Ausnahmezustand die Freiheiten der Franzosen zu beschneiden und Einwandererkindern die Staatsbürgerschaft abzuerkennen. Das Arbeitsgesetz war für ihn der letzte Tropfen, der das Fass des Frusts zum Überlaufen brachte: "Wir haben die Schnauze voll."

Die Regierung gelobt, ihre Reform werde gerade jungen Berufseinsteigern mehr Chancen auf einen festen Job verschaffen: Die geplante Flexibilisierung der 35-Stunden-Woche, die Deckelung hoher Abfindungen sowie die Lockerung des Kündigungsschutzes, so argumentiert allen voran Premier Manuel Valls, werde Unternehmern Mut machen, mehr Mitarbeiter fest anzustellen. Martin Bontemps traut dieser Marktlogik nicht. Der Unef-Funktionär zeigt in seinem Büro auf ein Flugblatt, das den Regierungsplan auf einen knappen Dreisatz verkürzt: "Mehr arbeiten, weniger verdienen, leichter entlassen!" Seinen Landsleuten drohe damit dasselbe Unheil, das vor zehn Jahren östlich des Rheins Gerhard Schröder über die Deutschen gebracht habe: "Es ist die gleiche Agenda." Dass laut EU-Statistik die Jugendarbeitslosigkeit im Nachbarland bei nur sieben Prozent liegt (Frankreich 25 Prozent), beeindruckt Bontemps nicht. "Eure Statistik sieht doch nur besser aus, weil Abertausende in Mini-Jobs für einen Hungerlohn arbeiten." So ein "Sozial-Dumping" wolle er nicht: "Wir fordern für uns dieselben Rechte, wie sie unsere Eltern hatten: Vollwertige Jobs, gerechter Lohn, gute Renten."

Auf den regennassen Boulevards von Paris sieht man am Mittwoch auf Papp-Plakaten ähnliche Formeln. Und viele rote Fahnen. 1,2 Millionen Franzosen hatten binnen drei Wochen per Klick im Internet den Aufruf unterstützt, den Gesetzentwurf zu kippen. Solche Volksmassen mochten sich am Mittwoch zwar nicht aufraffen zum Protest. Das Erziehungsministerium zählte nur 90 (von 2800) Lycées, deren Pforten von protestierenden Schülern verrammelt worden seien. Aber am Abend räumt das Innenministerium ein, die Präfekten im ganzen Land hätten 224 000 Demonstranten gezählt, auf mehr als 280 Kundgebungen. Martin Bontemps kann zufrieden sein. Noch auf der Place de la République kündigen die Studenten die nächste Machtprobe an: Uni-Streik, am Donnerstag nächster Woche. François Hollande, der einsame Mann im Élyséepalast, befürchtet seit Monatsbeginn, ihm drohe ein kolossaler Jugendaufstand, der die Nation entflammen könne. So wie zuletzt 2006, als eine Million meist junger Franzosen auf den Beinen war. Des Präsidenten Angst, sie schwindet bei Sonnenuntergang ein wenig. Doch völlig vorbei ist die Brandgefahr nicht: Hollande wird seine Reform entschärfen müssen.

Dem Zug der Studenten und Jugendlichen in Paris hatten sich Gewerkschafter der kommunistischen CGT angeschlossen. Viele Ältere sind dabei. Solche, die wohl schon 1968 auf den Straßen kämpften und heute nicht mehr arbeiten. In einer Seitenstraße nahe der Place de la République stehen Gymnasiasten und rauchen vor ihrer Schule, dem Lycée Turgot. Benannt nach Minister Jacques Turgot, der unter Ludwig XVI. die Französische Revolution durch Liberalisierungen abwenden wollte. Vergebens. Die Schüler am Lycée Turgot aber denken nicht an Revolution. "Wir wissen, dass wir uns sowieso abrackern werden", sagt ein Mädchen. Auf die Demo geht sie nicht. Sie trottet lieber ins Schwimmbad.

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