Frankreich:Die Ministerin aus dem Plattenbau

Lesezeit: 3 min

Rachida Dati, Tochter von Einwanderern, schaffte es dank Fleiß und Sarkozy ins französische Kabinett. Unumstritten ist die junge Frau jedoch nicht.

Gerd Kröncke

Welch ein Aufstieg. Die junge Frau, zart und verletzlich, klein und energisch, mit einem Faible für modisches Outfit, hat ihre ersten Stürme im Amt der Justizministerin überstanden, wenigstens zu Anfang war die Protektion ihres Mentors Nicolas Sarkozy noch überdeutlich. Irgendwann wird es Rachida Dati aber nichts mehr nützen, denn vor aller Loyalität rangiert für den Präsidenten die Erhaltung der eigenen Macht.

Frankreichs Justizministerin Rachida Dati (Foto: Foto: AFP)

Jede darf einmal Schwäche zeigen, erst beim zweiten Mal dürfte es fatal werden. So richtig hat sich die französische Justiz noch nicht daran gewöhnt, dass Rachida Dati, 41 Jahre alt, nun den ehrwürdigen Titel des Garde des Sceaux, des Siegelbewahrers, trägt. Solche Titel bleiben in der Welt der französischen Politik einstweilen männlich.

Ihren Aufstieg hat sie durch ein ungeheures Arbeitspensum geschafft, durch Fleiß und Durchsetzungsvermögen, aber auch durch die Fähigkeit, sich von anderen, die auf der sozialen Treppe über ihr standen, mitziehen zu lassen. Das Mädchen Rachida aus einer Sozialsiedlung in Chalon-sur-Saône ist das zweitälteste von zwölf Kindern bescheidener Leute.

"Nehmt erst mal diesen Schleier ab"

Ihre inzwischen verstorbene Mutter stammte aus Algerien, der Vater ist aus Marokko. Mit dem Instinkt rechtschaffener Proletarier suchten die Eltern das Beste für ihre begabteste Tochter, ließen sie nicht in die nächstbeste Schule gehen, sondern - so wie es die gebildete Klasse manchmal tut - in eine katholische Mädchenschule. Sie war eine gute Schülerin, hat den Katechismus gelernt, hat die Messe nicht geschwänzt, aber von Konversion oder Kommunion sollte nie die Rede sein.

Mit ihrer Mutter, die bei Bessergestellten sauber machte, war sich Rachida nicht zu schade, anderer Leute Dreck wegzuschrubben. Sie arbeitete in einem Supermarkt oder des Nachts als Krankenschwester, und jeden Franc, den sie verdiente, steckte sie in die eigene Fortbildung. Eine gewisse Härte war unabdingbar, auch den Zukurzgekommenen gegenüber.

"Ihr geht mir auf die Nerven", stauchte sie junge Mädchen aus ihrem eigenen Milieu zusammen, "wollt ihr euer ganzes Leben Kassiererin bei Monoprix sein? Lernt etwas und nehmt erst mal diesen Schleier ab."

Das Mädchen aus dem Plattenbau lernte früh, wie Karrieren funktionieren. Als Frau musste sie nicht nur besser sein als potentielle Mitbewerber, es mussten auch die richtigen Leute erfahren. Sie war in kein Beziehungsgeflecht eingebunden, also baute sie selber eins auf.

Sie suchte die Nähe zu Entscheidungsträgern, nicht zu den Subalternen. Bei einem Cocktail trifft sie Albin Chalandon, einen ehemaligen Minister, sie dringt zu Simone Veil, seinerzeit Sozialministerin, vor, macht die Bekanntschaft von Edith Cresson, der Ex-Premierministerin. Jeder ist hingerissen von der energischen jungen Frau, die so anders ist als die Absolventen der Grandes Écoles, der Eliteschulen.

Sie lerne viele Menschen kennen, sagte Simone Veil später, "so eine habe ich noch nie erlebt, sie ist außergewöhnlich". Sie war immer die begabte Seiteneinsteigerin. Selbst Richterin konnte sie nur werden, weil Simone Veil sich zu ihrer Patin erklärte und ihr den mühsamen Weg der Aufnahmeprüfung für das Studium ersparte.

"Mein Leben ist kein Roman"

Und dennoch: "Mein Leben ist kein Roman", hat Rachida Dati gesagt, "je mehr man es romantisiert, umso mehr versucht man meine Legitimation zu schmälern. Ich habe gearbeitet, das ist alles." Und dann habe sie Nicolas Sarkozy getroffen, "meine Kraft, meine Popularität verdanke ich ihm, weil er den Mut gehabt hat, mir zu vertrauen".

Mit ihrer Art, beiläufig große Namen fallen zu lassen, hatte sie bisweilen Kollegen genervt. Und wenn die kleine Richterin in Evry mal Bernard Kouchner, mal Jacques Attali erwähnte, zogen die anderen die Augenbrauen hoch. Angebliche Verabredungen mit Sarkozy quittierte man lächelnd. Aber sie kannte ihn schon seit 1996 und ließ sich schließlich von ihm als Mitarbeiterin engagieren.

Der Präsidentschaftswahlkampf brachte den Durchbruch. Dati, eine der wichtigsten Sprecherinnen des Kandidaten, verblüffte Freunde und Gegner. Als Sarkozy, inzwischen von seinen Feinden "Zar Kozy" genannt, sie zur Ministerin machte, löste er damit Verbitterung unter langjährigen Gefährten aus. Patrick Devedjian zum Beispiel, einer der Getreuesten, hatte sich selbst schon als Garde des Sceaux gesehen.

Inzwischen hat eine Flüsterkampagne gegen die neue Ministerin eingesetzt und es ist nicht auszumachen, wer zum Beispiel in die Welt gesetzt hat, dass mit ihren Uni-Diplomen etwas nicht ganz koscher sei.

Persönlicher Rückschlag

Ein Rückschlag ganz persönlicher Art war der Konflikt ihres jüngeren Bruders Jamal mit der Justiz: Ausgerechnet an dem Tag, als die Ministerin ein Gesetz im Parlament einbrachte, das die schärfere Bestrafung von Wiederholungstätern vorsah, stand Jamal vor einem Gericht in Nancy: als rückfälliger Drogendealer. Auf der Rednertribune der Nationalversammlung schien sie den Tränen nahe zu sein. Aber niemand trat nach.

Oppositionspolitiker wie der Bürgermeister von Evry, Manuel Valls, betonten zwar, dass sie ihr Gesetz ablehnten. Aber, so Valls unter dem Beifall des Hauses, "Sie finden uns an Ihrer Seite gegen alle ungerechtfertigten Angriffe".

Danach scheint sie sich wieder gefangen zu haben, und doch könnte sich der Posten als eine Nummer zu groß erweisen. Allein die Vorgänger, die sie gehabt hat. François Mitterrand war etwa so alt wie sie, als er Justizminister wurde, als Nachfolger von Robert Schuman. Spätere Premierminister haben als Justizminister erste Höhepunkte ihrer Karriere erlebt, aber für manche war es auch der letzte Posten in der Regierung.

© SZ vom 24.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: