Frankreich:Der Attentäter von Nizza - radikal, kaltblütig und labil

Terror attack in France

Eine Waffe, für die es keinen Waffenschein gibt: Der Lkw, mit dem Mohamed Lahouaiej-Bouhlel in Nizza in eine Menschenmenge raste.

(Foto: dpa)
  • Die Franzosen wolllen wissen, ob der Nizza-Attentäter durch einen Fehler der Behörden handeln konnte.
  • Das Täterprofil des Massenmörders ist neuartig. Zeugen beschreiben ihn als labilen Mann mit Aggressionen. Ein längst auffällig gewordener Islamist war er nicht.
  • Während die Ermittler ein überraschendes Bild vom Täter zeichnen, verlieren die Franzosen die Geduld mit ihrer Regierung.

Von Leo Klimm, Paris

Als Manuel Valls am Montag zur Schweigeminute in Nizza erscheint, wollen manche nicht schweigen, sondern schreien: Frankreichs Premierminister wird von einem Teil der 40 000 versammelten Menschen mit Buhrufen empfangen. Gleich nach dem Attentat von Nizza bestritt Valls Fehler im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, der die Franzosen seit anderthalb Jahren erschüttert. Jetzt will das Land erfahren, wie genau Mohamed Lahouaiej-Bouhlel, der am 14. Juli mit einem Lastwagen 84 Menschen tötete, den Anschlag vorbereitet hat - und ob es nicht doch Fehler der Behörden gab. Doch die Ermittlungen sind schwierig: Diesmal war der Attentäter kein längst auffällig gewordener Islamist.

Wohl aber eine gestörte Persönlichkeit. Anti-Terror-Staatsanwalt François Molins erklärt am Montag, was er schon weiß. Etwa, dass Lahouaiej-Bouhlel unmittelbar vor der Tat eine SMS verschickte. Darin bedankte er sich für eine Pistole und erwähnte die Lieferung weiterer Waffen. Die Pistole setzte er gegen Polizisten ein, die seine Amokfahrt stoppen wollten, ehe er selbst tödlich getroffen wurde.

Besonders interessiert sich die Polizei für ein Paar aus Albanien

Auf der Suche nach möglichen Komplizen fahnden die Beamten nun nach Personen, die vielleicht weitere Waffen stellen oder erhalten sollten. Besonders interessiert sich die Polizei für ein Paar aus Albanien, das dem Tunesier Lahouaiej-Bouhlel die Pistole besorgt haben soll. Die Albaner sind zwei von sechs Personen, die in Gewahrsam sitzen. Auch zwei Männer aus dem direkten Umfeld des Attentäters gehören nach Angaben aus Ermittlerkreisen dazu. Drei der Verdächtigen wurden in der Nacht zu Montag von Nizza in die Räume einer Spezialstelle für Terrorbekämpfung bei Paris gebracht. Lahouaiej-Bouhlels Frau - die sich gerade scheiden ließ und von ihm schwer misshandelt wurde - war am Wochenende freigekommen.

Molins betont, dass der Massenmörder von Nizza die Tat geplant hat. In den zwei Tagen vor dem 14. Juli war er mit dem Miet-Laster die Uferpromenade abgefahren - zur Auskundschaftung der Strecke. So kaltblütig Lahouaiej-Bouhlel seinen Plan durchzog, so komplex und neuartig ist sein Täterprofil als turbo-radikalisierter Islamist. Bei ihm sind keine Verbindungen zu radikalen Netzwerken nachweisbar. Trotzdem stuft Molins den Anschlag als terroristisch ein. Denn die Art und Weise, wie er ausgeführt wurde, entspricht Anleitungen des sogenannten Islamischen Staats (IS).

"Lahouaiej-Bouhlel hatte seit Kurzem ein klares Interesse am radikalen Islamismus", so Molins. Gegenüber einem Zeugen habe er in jüngster Zeit vom IS gesprochen, seit Anfang Juli ließ er sich einen Bart wachsen. Die Auswertung seines Computers ergab, dass er zuletzt im Internet nach Koransuren und anderen Informationen zum Islam suchte. Auch der Mord eines Polizistenpaars durch einen fanatisierten Muslim im Juni bei Paris interessierte ihn. Schon länger betrachtete er regelmäßig Gewaltvideos des IS. Aber auch Bilder von Körpern, die bei Unfällen entstellt wurden.

Er habe eine entfesselte Sexualität gehabt

Zeugen beschreiben Lahouaiej-Bouhlel als labilen Mann mit Aggressionen. In seinem Fitnessstudio war er für plumpe Annäherungsversuche bekannt. Er habe eine "entfesselte Sexualität" gehabt, sagte Molins. Medien zufolge soll das auch Beziehungen zu Männern eingeschlossen haben. Molins zufolge konsumierte Lahouaiej-Bouhlel bis zu seiner plötzlichen Wandlung Alkohol und Drogen. "Bei anfälligen Personen kann die Radikalisierung sehr schnell gehen", so der Staatsanwalt.

Während die Ermittler ein überraschendes Bild vom Täter zeichnen, verlieren die Franzosen die Geduld mit ihrer Regierung: Einer Umfrage zufolge vertrauen nur 33 Prozent der Bevölkerung Präsident François Hollande bei der Terrorbekämpfung. Im Januar, da hatte Paris schon zwei schwere Anschläge erlebt, war es noch die Hälfte. Die Opposition will sich die Wut zunutze machen. "Alles, was seit 18 Monaten hätte unternommen werden sollen, wurde unterlassen", sagte Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy, heute Chef der konservativen Republikaner. Ähnlich äußerte sich die Rechtsextreme Marine Le Pen. Die sozialistische Regierung wirft der Opposition vor, Frankreich zu spalten und so dem IS einen Gefallen zu tun.

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