Frankreich:Botschaft vom Halbtoten

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François Hollande müht sich in einer TV-Debatte, verlorene Sympathien zurückzuholen. Doch ein Vertreter der Demonstranten, die seit Tagen gegen Hollande auf die Straße gehen, entzaubert ihn.

Von Christian Wernicke, Paris

François Hollande hatte bereits Bilanz gezogen. "Frankreich", so hatte der Präsident seinen Landsleuten eine halbe Stunde zuvor verkündet, "geht es besser". Denn, so hatte der Sozialist das kühne Selbstlob über seine inzwischen vierjährige Regentschaft begründet, die Nation erlebe nach Jahren der Krise wieder "mehr Wachstum, kleinere Haushaltsdefizite, weniger Steuern und mehr Wettbewerbsfähigkeit". Dass es endlich aufwärts geht - das, so hatten Hollandes PR-Berater kalkuliert, sollte die zentrale Botschaft von Hollandes zweistündigem TV-Auftritt sein. Eine Formel, nur drei Silben: "Ça va mieux ."

Es kam anders. Denn da kam Marwen Belkaïd, der bärtige Student, auf die Bühne. Zwanzig Minuten vor Sendeschluss der "Dialogues Citoyens" (Bürger-Dialoge) saß der 22-Jährige am TV-Tisch von France 2 - und verwandelte die präsidentielle Bilanz zu seiner sehr persönlichen Abrechnung. Vor vier Jahren, so erinnerte Belkaïd, habe er zwar Hollande gewählt, "aber heute fühle ich mich betrogen". Als Kandidat habe der Sozialist 2012 versprochen, die Jugend zur Priorität zu machen: "Nur, heute geht es der Jugend bestenfalls genauso wie damals - und oft noch schlimmer!" Ça va mieux? Von wegen! "Haben Sie etwa das Gefühl, Sie hätten Ihre Versprechungen eingelöst", fragte der Student. Um prompt selbst zu antworten: "Mein Gefühl ist das nicht."

Marwen Belkaïd sprach da aus, was Millionen Franzosen umtreibt. Die Wirtschaftsstatistik mag bescheinigen, dass Frankreich wieder wächst. Hollande präsentierte in der TV-Debatte neue Zahlen, wonach vergangenes Jahr 100 000 zusätzliche Jobs entstanden seien: "Und 2016 werden es weitere 150 000 zusätzlich sein." Nur, seit Hollande Amtsantritt im Mai 2012 zählt die Nation fast 700 000 zusätzliche Arbeitslose, und nach fast einem Jahrzehnt der Krise sieht die gefühlte Wirklichkeit von Millionen Franzosen anders aus: voller Frust, Trübsinn und Wut.

Acht von zehn Franzosen sagen inzwischen, Hollande sei gescheitert. Und nur ganze 3,5 Millionen Landsleute - die Hälfte gegenüber den sieben Millionen vor eineinhalb Jahren - mochten am Donnerstagabend überhaupt einschalten zum "Bürger-Dialog". Hollandes Berater hatten den TV-Auftritt ihres politisch halbtoten Chefs zum Akt der "Wiederbelebung" verklärt: Von sofort an solle die Rückeroberung verlorener Anhänger beginnen.

Belkaïd bewies, wie weit präsidentieller Wunsch und politische Wirklichkeit auseinanderklaffen. Der Student im Studio verbringt seine Abende ansonsten neuerdings bei den "Nuits Debouts", also in den Reihen Tausender zumeist linker Demonstranten, die auf französischen Plätzen jede Nacht durchmachen und gegen eine von der Regierung geplante Liberalisierung des Arbeitsrechts und der 35-Stunden-Woche protestieren. Hunderte von Belkaïds Kampfgenossen auf der Pariser Place de la République verfolgten die Sendung, klatschten ihm Beifall - und zogen dann durch die Straßen der Hauptstadt. Eine Gruppe von 300 Krawallmachern versuchte zunächst, Hollandes Rückkehr in den Élysée-Palast zu blockieren, später warfen sie Molotowcocktails, zertrümmerten Fensterscheiben und Autos. Die Polizei nahm zwanzig Randalierer fest.

Angeschlagen: Präsident François Hollande. (Foto: AP)

Beim Bürger-Dialog mühte sich der Präsident redlich. Nein, sein "Ça va mieux" wolle er nicht als "alles ist gut" verstanden wissen. Es gebe noch viel zu tun, und es bleibe ihm mindestens ein Jahr Restlaufzeit: "Ich reformiere jeden Tag, bis zum Schluss meines Mandats." Also: weiter so. Die unvermeidliche Journalisten-Frage, ob er trotz hoher Arbeitslosigkeit 2017 für eine zweite Amtszeit kandidieren wolle, beantwortete das Staatsoberhaupt nur indirekt: "Das entscheide ich Ende des Jahres." Soll heißen: Ja, er will.

Es gab TV-Momente, da wirkte dieser verbrauchte Präsident sehr lebendig. Einer Unternehmerin rechnete er wild gestikulierend vor, wie viel seine Regierung ihr Steuern erspart und im Staatshaushalt gekürzt habe. Er bewies Mitleid mit einer Mutter, deren Sohn als islamistischer Gotteskrieger in Syrien ums Leben gekommen war. Auch im Dialog mit einem Ex-Sozialisten, der mittlerweile den rechtsextremen Front National wählt, zeigte er Würde: "Ich höre Ihre Wut, verstehe sie auch." Nur sei es falsch, Grenzen zu schließen oder Europa aufzugeben.

Für Sekunden fand Hollande sogar seinen Humor wieder. Als der FN-Mann sagte, Frankreich sei "krank", parierte er: "Passen Sie auf, dass Sie nicht einen Arzt rufen, der den Kranken umbringt." Dann war Schluss mit lustig. Das "Ça va mieux" meint er ernst.

© SZ vom 16.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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