Frankreich:Aufgeschreckt und zerstritten

Frankreich kämpft gegen den Terror - und mit sich selbst. Die konservative Opposition gibt der Regierung indirekt Mitschuld am Tod eines Polizisten-Paares.

Von Christian Wernicke, Paris

Nach der Ermordung eines Polizisten-Paares durch einen selbst erklärten Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat entbrennt in Frankreich eine neue Debatte um verschärfte Anti-Terror-Maßnahmen. Führende Oppositionspolitiker forderten die Errichtung von Sonderlagern für radikalisierte Jugendliche und potenzielle Gotteskrieger. "Diese Typen gehören entweder eingesperrt oder außer Landes verwiesen", sagte der Vize-Chef der konservativen Republikaner, Laurent Wauquiez, im Nachrichtensender BFM-TV. Der Republikaner forderte, eine solche Internierung müsse ohne richterlichen Beschluss sämtliche 13 000 Personen erfassen, über die Frankreichs Geheimdienste eine Akte wegen "Gefährdung der staatlichen Sicherheit" führen.

Bei dem Mordanschlag von Montagnacht hatte der mehrfach vorbestrafte Franzose Larossi Abballa in Magnanville, einem Ort westlich von Paris, zwei Polizeibeamte vor und in ihrem Wohnhaus erstochen. Der Täter, ein früherer Kleinkrimineller, war den Behörden bereits Ende 2010 aufgefallen: Er gehörte zu einer Gruppe von acht Al-Qaida-Sympathisanten, die nach Pakistan ausreisen und "den Dschihad lernen" wollten. Beim Strafprozess 2013 beschrieb sich Abballa als typisches Kind der Pariser Banlieue. Er habe "nach Anerkennung gesucht, ich hatte keinen Job und meinen Schulabschluss vermasselt. Da hat man mir von Religion erzählt, das gab mir Halt."

Abballa gestand 2013, er habe sich Ende 2010 innerhalb weniger Wochen "übers Internet radikalisiert", und schilderte einen wachsenden "Gruppendruck" in seinem Freundeskreis: "Wir haben über nichts anderes mehr als über den Dschihad geredet. Das war so, als wenn du 24 Stunden am Tag mit Einbrechern verbringst - irgendwann bist du selbst einer." Schon im Februar 2011 äußerte er, "Ungläubige" in Frankreich töten zu wollen.

Offenbar verhärtete sich Abballas islamistische Ideologie zunehmend während seiner fast drei Jahre währenden Haftzeit. "Danach war er isolierter, verschlossener", schilderte im Radiosender France Info am Mittwoch eine langjährige Freundin Abballas Entwicklung, "er hatte nicht mehr dieselben Freunde." Die Geheimdienste bemerkten im Februar dieses Jahres zwar, dass der Täter in Verbindung stand zu einem nach Syrien entkommenen Dschihadisten. Deshalb wurde er fortan zwar wieder überwacht. Gleichwohl gelang es Abballa, der mittlerweile einen kleinen Sandwich-Lieferservice betrieb, unbemerkt IS-Anführer in Syrien zu kontaktieren und seine Bluttat vorzubereiten.

Frankreich: Trauer um das ermordete Paar: Präsident Hollande (Dritter von rechts) und der deutsche Innenminister De Maizière (rechts) mit Regierungsmitgliedern.

Trauer um das ermordete Paar: Präsident Hollande (Dritter von rechts) und der deutsche Innenminister De Maizière (rechts) mit Regierungsmitgliedern.

(Foto: AFP)

Geplantes Demonstrationsverbot? Das zeige, wie sehr der Präsident "in Bedrängnis geraten" sei

Oppositionspolitiker gingen am Mittwoch so weit, der Regierung indirekt eine Mitverantwortung an der Ermordung des Polizisten-Paares vorzuhalten. "Diese Familie hätte geschützt werden können", sagte der republikanische Vize-Parteichef Wauquiez. Der innenpolitische Sprecher Eric Ciotti, der als Vertrauter von Parteichef Nicolas Sarkozy gilt, forderte, ähnlich wie Wauquiez, den Geheimdiensten bekannte Terror-Sympathisanten umgehend in Lagern zu inhaftieren. Ciotti verwies darauf, dass die Behörden in einer Datei 11 000 Personen wegen drohender Radikalisierung erfasst hätten. In einer zweiten Datenbank habe der Inlandsgeheimdienst circa 10 500 Verdächtige registriert, die die Sicherheit des Staates bedrohten.

Die Regierung hat eine präventive Internierung mutmaßlicher Terror-Sympathisanten wiederholt abgelehnt. Premierminister Manuel Valls verwahrte sich gegen die Idee, in Frankreich Lager nach dem Vorbild des US-Gefängnisses Guantanamo in Kuba zu schaffen. Die Regierung beruft sich dabei auf ein Gutachten des Staatsrates. Frankreichs Oberstes Verwaltungsgericht hatte außergerichtliche Sammellager als verfassungswidrig abgelehnt. Auch die massenhafte Verwendung von elektronischen Fesseln oder die Anordnung fortwährenden Hausarrestes, wie es Sarkozy vorschlägt, sei unzulässig.

Präsident François Hollande drohte indes Frankreichs Gewerkschaften, fortan Demonstrationen gegen die geplanten Lockerungen der 35-Stunden-Woche und des Kündigungsschutzes zu verbieten. Bei erneuten Protesten gegen eine geplante Liberalisierung des Arbeitsrechts war es am Dienstag zu Ausschreitungen mit mindestens 26 Verletzten und massiven Sachbeschädigungen an Geschäften und einem Pariser Kinderkrankenhaus gekommen. In Frankreich gilt während der Fußball-Europameisterschaft der nationale Ausnahmezustand. Premierminister Valls forderte die linke Gewerkschaft CGT auf, auf Märsche durch die Hauptstadt vorerst zu verzichten. Oppositionsführer Sarkozy verlangte sogar, die CGT müsse als Veranstalter für die von vermummten Gewalttätern verursachten Schäden aufkommen. Die Gewerkschaften erwiderten, Hollandes Verbotsdrohung zeige nur, wie sehr die Regierung "in Bedrängnis geraten" sei.

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