Frankreich:Angst vor der blauen Welle

Die Sozialisten haben klar verloren, doch das eigentliche Desaster steht ihnen noch bevor. In vielen Departements haben sie nicht mal den Stichentscheid erreicht - so winkt Sarkozy ein großer Triumph.

Von Christian Wernicke, Paris

Manuel Valls schaut trotzig drein. Und der Sozialist wählt große Worte, da er das miserable Ergebnis seiner Partei im ersten Wahlgang der landesweiten Départementswahlen zu deuten versucht. Valls spricht vom "Kampf, der noch nicht vorüber sei", vom "Durchhalten" und davon, "dass wir weiter widerstehen müssen". Es klingt ein wenig, als spreche da ein Held der französischen Résistance und nicht der Regierungschef der Republik. Aber Valls muss so reden. Er will den Seinen Mut machen, trotz alledem.

Es hätte schlimmer kommen können - mit diesem Satz trösten sich Frankreichs regierende Sozialisten, nachdem sie bei der nationalen Testwahl mit 21,8 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz gelandet sind. Weit hinter der konservativen UMP (29,5 Prozent), und geschlagen auch vom rechtspopulistischen Front National (25,7). Nur, diese gut 21 Prozent liegen eben deutlich über den Horrorprognosen der vergangenen Wochen. "Ein achtbares Ergebnis", beschönigt Valls, der als eifrigster PS-Wahlkämpfer bis zuletzt versucht hatte, Frankreichs Linke mit Warnungen vor einem Triumph der Le-Pen-Truppe zu mobilisieren. Das feiert er nun ersatzweise als seinen Erfolg: "Die extreme Rechte ist nicht die erste politische Kraft Frankreichs - das freut mich." Nur, Valls weiß auch: Es wird noch schlimmer kommen. In sechs Tagen, nach dem zweiten Wahlgang, dürfte sich das Debakel der Linken zum Desaster auswachsen. Mindestens 30, vielleicht sogar 40 der bisher 61 rot regierten Departements werden dann wohl an die Rechte fallen, an die Blauen von der UMP. Eine "vague bleue" (blaue Welle) wird bis zu 80 der insgesamt 101 Departements einfärben.

France's far-right National Front political party supporters wave French flags during a political rally with leader Marine Le Pen in Six-Fours

Die Anhänger des rechtsradikalen Front National glaubten sich als Sieger. Doch die Partei hat weniger Terrain erobert als erwartet - Sieger ist Sarkozy.

(Foto: Jean-Paul Pelissier/Reuters)

Vielerorts kann sich die Linke nicht mal mehr wehren. Nahe der belgischen Grenze, im rostigen Industriegürtel des Départements Nord zum Beispiel, haben es die sozialistischen Kandidaten in 27 von 41 Wahlkreisen (Kantone) nicht einmal in die Stichwahl geschafft. Da geht rotes Stammland unter, wie vielerorts im Norden, Nordosten und in Zentralfrankreich. Den Niedergang der Volkspartei PS verdeutlicht eine Zahl: In 524 der landesweit 2054 Kantone wurden die Bewerber der Sozialisten schon in der ersten Runde ausgeknockt. Runde zwei findet also in einem Viertel der Wahlkreise ohne sie statt.

Sarkozy empfiehlt: Wo die eigene Partei ausgeschieden ist, sollen die Anhänger leere Zettel abgeben

Dort ringen dann meist die bürgerliche UMP von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Marine Le Pens Front National (FN) um den Sieg. Premierminister Valls hat noch in der Wahlnacht klargestellt, seine Partei werde in solchen Fällen zur Wahl des "republikanischen Kandidaten" aufrufen - also gegen den FN. Valls sprach mit Inbrunst. Und mit der Vorahnung, dass die konservative UMP sich weit schwerer tun wird mit der eigenen Abgrenzung von der rechtsextremen FN.

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Ex-Präsident Sarkozy, als UMP-Vorsitzender der klare Wahlsieger, hat am Sonntagabend wieder die Formel vom "ni-ni" präsentiert: Wo die eigene Partei ausgeschieden sei, da sollten seine Anhänger "weder FN noch PS" wählen. Sondern leere Stimmzettel abgeben oder daheim bleiben. Sarkozy weiß sehr wohl, dass der moderate Flügel seiner Partei sich mehr Distanz zum FN wünscht. Alain Juppé etwa, Sarkozys Konkurrent um die Präsidentschaftskandidatur 2017, ließ am Montag über Twitter wissen, am wichtigsten sei es, "den Vormarsch des FN zu blockieren". Und Frankreichs Zentristen, die bei dieser Wahl mit der UMP ein Listenbündnis eingegangen sind, riefen am Montag klar zum Votum gegen den FN auf.

Sarkozy hingegen nutzt die Départementswahlen, um das rechte Profil zu schärfen. Unmittelbar vor dem Urnengang hatte er etwa verlangt, auch in Frankreichs Universitäten das Tragen von Kopftüchern zu untersagen. Ebenso schmeckt ihm nicht, dass Schulkantinen an Tagen mit Schweinefleisch auf dem Menüplan ein Ersatzessen für muslimische Kinder anbieten. Beides sind alte, populäre FN-Forderungen, und die Einlassungen des Ex-Präsidenten sind sehr wohl strategisch gemeint. "Unser Wahlsieg vom Sonntag ist auch ein Schlag gegen Juppé", hat ein Sarkozy-Vertrauter dem Parisien anvertraut, "Juppé hat gesagt, eine rechte Kampagne sei kontraproduktiv. Aber wenn man die FN-Wähler nicht beleidigt, dann kommen sie zu uns zurück."

Das sieht Marine Le Pen selbstverständlich anders. Nach ihrer Rechnung hat die UMP sogar verloren: "Die Rechte war noch nie so schwach in der gesamten Geschichte der V. Republik", erklärte die FN-Chefin am Montag im Frühstücksfernsehen von BFM-TV. Allein ihre Partei habe im Vergleich zu den Europawahlen vom vorigen Jahr deutlich an Stimmen gewonnen, "und deshalb sind wir der einzige Gewinner".

Tatsächlich hat der FN nochmals zugelegt. Aber eben weniger als erwartet. In mehr als der Hälfte aller Wahlkreise zog der FN in die Stichwahl. Die rechtsextreme Bewegung hat sogar die Chance, im Norden (Aisne) und im Südosten (Vaucluse) erstmals ein Département zu erobern. Dennoch, diese Wahl hat Le Pen einen Imageschaden zugefügt. Das seit vorigem Sommer überall wild geklebte FN-Plakat von der "Premier Parti de France" kann die Partei nicht weiter drucken. Seit Sonntag ist sie erst mal nur noch Zweiter.

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