Diplomatie:Diskutieren mit Lawrow, nächster Versuch

YEKATERINBURG RUSSIA AUGUST 15 2016 Germany s Foreign Minister Frank Walter Steinmeier L and

Steinmeier spricht von "MIssverständnissen", Lawrow von "Defiziten": Der deutsche und der russische Außenminister trafen sich in Jekaterinburg.

(Foto: imago/ITAR-TASS)
  • Der deutsche Außenminister Steinmeier versucht bei einem Besuch in Jekaterinburg, den Dialog mit Russland über den Ukraine-Konflikt wiederzubeleben.
  • Sein russischer Amtskollege Lawrow spricht jedoch von "tiefen Defiziten".
  • Auch eine Waffenruhe für die syrische Stadt Aleppo, die dringend Hilfsgüter benötigt, lehnt Lawrow ab.

Analyse von Julian Hans, Jekaterinburg

Einmal im Jahr reist Frank-Walter Steinmeier nach Jekaterinburg. Seine Reden vor Studenten dort sind eine Tradition geworden, seit er 2008 in dieser Stadt in Sibirien sein Konzept der Modernisierungspartnerschaft vorgestellt hat: Russland liefert Öl und Gas, Deutschland moderne Maschinen und Anlagen, alle profitieren, und auf lange Sicht wirkt sich der Austausch positiv auf die Entwicklung von Rechtsstaat und Demokratie in Russland aus. So die Idee. Eine Neuauflage von Wandel durch Handel - sozialdemokratische Tradition und seither so etwas wie Steinmeiers Mission.

Nur die Bilanz sieht gerade nicht gut aus. Das gibt Steinmeier selber zu, als er am Montag im stickigen Hörsaal der Ural-Universität spricht, die den Namen Boris Jelzins trägt. Der Rektor hat in der Nacht Klimaanlagen in den Saal stellen lassen, aber es hilft wenig. Eine Hitzewelle treibt die Temperaturen in Sibirien seit Tagen über 30 Grad. Die Zuhörer fächeln sich Luft zu. Steinmeier hat einen roten Kopf. Nur sein Kollege Sergej Lawrow, der neben ihm sitzt, strahlt etwas Kühle aus.

Lawrow hört mit bewegungsloser Miene zu

"Die meisten Hoffnungen haben sich nicht erfüllt", sagt Steinmeier. Trotzdem wird er es gleich noch einmal versuchen, wird reden und werben und Verständnis für russische Kränkungen andeuten. Jekaterinburg ist der Ort, um Grundsätzliches zu den deutsch-russischen Beziehungen zu sagen, weit genug weg vom politischen Tagesgeschäft in der Mitte des Kontinents. Und dann trägt die Stadt ja noch den Namen einer deutschen Zarin.

Als er im Dezember 2014 zum letzten Mal hier war, wählte Steinmeier klare Worte. Die russische Regierung habe in der Ukraine-Krise "ein grundlegendes Prinzip der europäischen Sicherheitsordnung infrage gestellt: die Unverletzlichkeit der Grenzen". Ohne Achtung für staatliche Souveränität und das Völkerrecht Grenzen zu verändern - "so dürfen wir nicht miteinander umgehen".

Diesmal hat Steinmeier seinen Vortrag anders gewichtet. Er will zeigen, wie leicht es zu Missverständnissen kommt, wenn man sich nicht in die andere Seite hineinversetzt. Während zum Beispiel die Wende vor 26 Jahren für die Deutschen Befreiung und Wiedervereinigung bedeutete, bedeutete sie für viele Russen Zusammenbruch und Chaos. "Können wir überhaupt lesen?", fragt er und meint damit, ob Russen und Deutsche das Handeln des anderen richtig interpretieren. Lawrow hört das mit bewegungsloser Miene. Jahrzehnte in der Diplomatie machten jenen mürrischen Gesichtsausdruck zu seinem Markenzeichen, in dem niemand mehr lesen kann.

Der Konflikt um die Ukraine, der zu einem Krieg wurde, als Resultat vieler Missverständnisse, über die man reden kann - das ist Steinmeiers Interpretationsvorschlag. Eine ausgestreckte Hand, ein neues Angebot zum Dialog, bei dem alle das Gesicht wahren könnten.

Einer Waffenruhe für Aleppo erteilt Lawrow eine Absage

Aber Sergej Lawrow möchte nicht über Missverständnisse und unterschiedliche Wahrnehmungen sprechen, schon gar nicht über den sowjetischen Dissidenten Lew Kopelew, der zwölf Bände über das Russlandbild der Deutschen und das Deutschlandbild der Russen im Wandel der Zeiten geschrieben hat, wie Steinmeier zu berichten weiß. Der russische Außenminister bleibt bei seiner Replik auf der Linie, die Moskau seit dem Kiewer Maidan verfolgt: Die Ukraine-Krise sei das Ergebnis "tiefer Defizite im europäischen System". Europa habe die "Augen vor nationalistischen Tendenzen" verschlossen, einen Umsturz geduldet und nichts dazu gesagt, dass die ukrainische Armee im Osten auf das eigene Volk schieße. Um die Minsker Vereinbarungen zu retten, sei es Zeit, endlich Druck auf Kiew auszuüben.

Denjenigen, die die Beweislage für die angeblich auf der Krim vereitelten Anschläge des ukrainischen Geheimdienstes zu dünn finden, empfiehlt Lawrow, russisches Fernsehen zu sehen. Da werde alles gezeigt, "der deutsche Botschafter wird das sicher in seinen Berichten an die Bundesregierung berücksichtigen."

Später, in der Pressekonferenz, erteilt Lawrow der von Steinmeier dringend geforderten Waffenruhe in Aleppo eine Absage; islamistische Kämpfer könnten sie nutzen, um ihre Einheiten in der Stadt zu verstärken. Genauso ergeht es Steinmeiers Vorschlag einer Luftbrücke, um die eingeschlossenen Zivilisten im syrischen Aleppo zu versorgen: Schlechtes Flugwetter, erklärt Lawrow. Außerdem könne man nie sicher sein, ob die Hilfsgüter nicht Terroristen in die Hände fallen.

Eine Abfuhr nach der anderen muss der deutsche Außenminister einstecken. Aber er hat es wenigstens versucht. Hat geredet, zugehört, die russische Seele gestreichelt. Er hat goldene Brücken gebaut und nicht gezuckt, wenn sie vor seinen Augen sogleich zertrümmert wurden. Nächstes Jahr will er wiederkommen.

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