Fragen und Antworten zum NSU-Prozess:Genau hinsehen

Nach zahlreichen Pannen hat der NSU-Prozess begonnen. Doch wieso ausgerechnet in München? Was wird Beate Zschäpe vorgeworfen? Und wer sitzt mit ihr auf der Anklagebank? Fragen und Antworten zum Prozess.

Von Anna Fischhaber und Vanessa Steinmetz

Es ist einer der wichtigsten Prozesse in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik: Am 6. Mai, mit drei Wochen Verzögerung und nach heftigen Debatten um die Vergabe der Presseplätze, hat in München die Verhandlung begonnen gegen Beate Zschäpe und die Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), deren Terror zehn Menschen zum Opfer fielen. Fragen und Antworten zum NSU-Prozess.

Warum wird in München verhandelt?

Mit der NSU verbinden viele die Stadt Zwickau - dort lebte die Terrorzelle jahrelang im Untergrund. Die Hälfte ihrer Morde verübten die Rechtsextremisten allerdings in Bayern. In Nürnberg begann im Jahr 2000 das Töten. Auch in München starben zwei Männer. Wo Anklage erhoben wird, entscheidet bei einem Staatsschutzverfahren der Generalbundesanwalt. Man habe sich für Bayern entschieden, eben weil der Freistaat "Schwerpunkt der NSU-Untaten" war, heißt es bei der Behörde. Zudem gilt München als Stadt, in der die Richter nicht nachsichtig sind. Und in der man Erfahrung mit großen Verfahren hat. Das Problem: In den größten Münchner Gerichtssaal passen auch nach dem Umbau für 1,25 Millionen Euro nur etwa 230 Menschen. Wegen der vielen Nebenkläger bleiben für Zuschauer und Journalisten lediglich 101 Plätze.

Wer sitzt auf der Anklagebank?

  • Die prominenteste Angeklagte ist sicherlich Beate Zschäpe, 38, die mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jahrelang im Untergrund lebte. Zwar gibt es keine Beweise, dass sie an den Morden direkt beteiligt war, laut Anklage gilt sie aber als Mittäterin. Drei Anwälte verteidigen sie.
  • Vor Gericht müssen sich zudem vier Männer verantworten, die den NSU unterstützt haben sollen. Ralf Wohlleben, der bei mehreren Wahlen für die NPD kandidierte, sitzt seit Ende November 2011 in U-Haft - fast solange wie Zschäpe. Er soll dem Terrortrio auch finanziell geholfen haben und wird von zwei Mitangeklagten schwer belastet. Seine Anwältin kommt aus der rechten Szene.
  • Carsten S. war zur Tatzeit erst 19, inzwischen soll er sich glaubhaft von der rechten Szene distanziert haben. Nachdem er umfassend auspackte, befindet er sich nun in einem Zeugenschutzprogramm.
  • Holger G. lieferte den ersten umfassenden Einblick in das Innenleben der NSU und gilt nun als eine Art Kronzeuge. Er hat auch gestanden, dem Trio als Kurier in den Jahren 2001 oder 2002 eine Waffe in ein Versteck gebracht zu haben.
  • Außerdem sitzt André E. auf der Anklagebank. Keiner soll so nah an der NSU dran gewesen sein wie er. Auf seinem Oberkörper sind die Worte "Die Jew die" eintätowiert, er besuchte das Trio häufig, auch mit Frau und Kindern und er kümmerte sich um die Urlaubsziele der Terroristen.

Was wird den Angeklagten vorgeworfen?

Gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hat das Gericht die maximale Anklage zugelassen: Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Mittäterschaft bei zehn Morden und bei zwei Sprengstoffanschlägen vor. Zudem soll sie bei 15 bewaffneten Raubüberfällen beteiligt gewesen sein. Weil sie nach dem Tod ihrer mutmaßlichen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im November 2011 die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand steckte, kommen noch der Vorwurf der besonders schweren Brandstiftung und des Mordversuchs an einer Nachbarin und zwei Handwerkern hinzu. Vor Gericht wird sie voraussichtlich schweigen. Das haben ihre Verteidiger bereits vor Wochen erklärt. Laut einem Gutachten gibt es bei Zschäpe keine Anhaltspunkte für eine relevante psychische Störung. Ralf Wohlleben und Carsten S. wirft die Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord vor. Sie sollen dem untergetauchten Trio eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert haben. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um die "Ceska", die die NSU bei den Morden verwendete. André E. soll unter anderem bei einem Sprengstoffanschlag des NSU in Köln mitgewirkt haben. Dem fünften Angeklagten Holger G. wird Unterstützung des NSU zur Last gelegt. Insgesamt umfasst die Anklageschrift 488 Seiten.

Wie lange wird der Prozess dauern?

Drei Mal pro Woche soll ganztags verhandelt werden, mehr als 600 Zeugen werden gehört. Die fünf Angeklagten haben elf Verteidiger. Insgesamt 77 Angehörige von Opfern und Betroffene haben sich zudem beim Oberlandesgericht angemeldet. Sie werden von 53 Anwälten vertreten. Der Zeitplan des Gerichts ist eng gesteckt - Zeugen sollen teilweise innerhalb einer halben Stunde aussagen und befragt werden. Dem OLG-Präsidenten Karl Huber zufolge könnte der NSU-Prozess dennoch das Münchner Gericht zweieinhalb Jahre lang beschäftigen.

Was erwarten die Angehörigen der Opfer von dem Prozess?

Die Nebenkläger erhoffen sich vor allem Antworten auf die Frage, warum drei gesuchte Neonazis mehr als 13 Jahre lang mitten in Deutschland leben und Anschläge verüben konnten, warum Ermittlungsbehörden und Verfassungsschützer die Zusammenhänge nicht erkannten - und warum die Angehörigen der Opfer selbst unter Verdacht gerieten. Alexander Kienzle vertritt die Angehörigen von Halit Yozgat, der am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel erschossen wurde. Sie erhofften sich vom Prozess "eine umfassende Aufklärung, was von behördlicher Seite nach Abtauchen des Trios passiert oder nicht passiert ist", sagte Kienzle zu Süddeutsche.de. Auch die Münchener Anwältin Angelika Lex, die die Frau des 2005 von den Neonazis ermordeten Theodoros Boulgarides vertritt, sieht in dem Verfahren eine "einmalige Chance, dieses Staatsversagen aufzuarbeiten und den Rechtsfrieden wieder herzustellen". Ob das nicht eher Aufgabe des NSU-Untersuchungsausschusses ist, darüber sind sich Kläger und Gericht offenbar uneinig. OLG-Präsident Huber hat in einer Pressemitteilung klargemacht: "Das Gericht ist kein weiterer Untersuchungsausschuss." Vorrangiges Ziel sei die Klärung der individuellen Schuld oder Teilschuld der Angeklagten.

Warum gab es vorab so viel Ärger?

Die Sitzvergabe brachte dem Gericht viel Kritik ein. Die 50 Presseplätze wurden zunächst nach dem "Windhund-Prinzip" vergeben - wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Nach drei Stunden waren die Plätze weg. Dass Journalisten türkischer Medien keine garantierten Plätze bekamen, sorgte für Diskussionen - schließlich sind acht der zehn NSU-Opfer türkischer Herkunft. Auch die Alternativ-Vorschläge - etwa eine Videoübertragung der Verhandlung in einen Nebenraum oder eine Verlegung in einen größeren Saal - lehnt das Gericht aus Angst vor einer Revision ab.

Dann nahm das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde der türkischen Zeitung "Sabah" an - und beschloss: Das OLG muss beim NSU-Prozess eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter ausländischer Medien vergeben. Das Münchner Gericht verlegte daraufhin kurzerhand die Verhandlung um drei Wochen - und startete das Akkreditierungsverfahren komplett neu. Nun hat das Los entschieden, 324 Medien wollten dabei sein, nur 50 hatten Glück. Türkische Medien sind nun beim NSU-Prozess im Münchner Gerichtssaal vertreten, dafür gingen zahlreiche große deutsche Zeitungen bei der Verlosung leer aus.

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