Fragen und Antworten:Facebook, Google und viele andere

Das Luxemburger Urteil dürfte nicht nur die Internetbranche betreffen - und Millionen Kunden.

Von Simon Hurtz

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat ein wegweisendes Urteil zum Datenschutz gefällt, für den digitalen Austausch über den Atlantik hinweg gelten nun neue Grundregeln. Die Entscheidung hat Folgen für Tausende Unternehmen mit Hunderten Millionen Nutzern. Was ändert sich konkret? Hier die wichtigsten Antworten:

Welche Folgen hat das Urteil für den einzelnen Verbraucher?

Politiker wie die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprechen von einem "Paukenschlag für das Recht auf Datenschutz" - doch für die Nutzer ergeben sich keine unmittelbaren Konsequenzen. "Niemand muss fürchten, dass Facebook morgen eine weiße Seite ist", sagt Matthias Bergt, Rechtsanwalt und Experte für IT- und Datenschutzrecht. "Kurzfristig ändert sich gar nichts, langfristig sind die Folgen noch schwer absehbar." Tatsächlich merken Nutzer nicht, auf welcher Seite des Atlantiks die Server mit ihren Daten stehen. Der Unterschied macht sich erst dann bemerkbar, wenn die Behörden Zugriff verlangen: In den USA haben Geheimdienste wie die NSA weitreichende Befugnisse und können Unternehmen zur Herausgabe der Informationen verpflichten. Der Datenschutzexperte Tobias Neufeld hält es für wahrscheinlich, dass im Zuge der EuGH-Entscheidung nun beispielsweise Facebook-Nutzer bei den zuständigen Datenschutzbehörden vorstellig werden. Diese müssten dann prüfen, ob und inwieweit die Praxis der Datenspeicherung mit europäischen Grundrechten vereinbar ist.

Welche Unternehmen sind betroffen?

Die Entscheidung hat "große Auswirkungen auf die Datenübermittlungspraxis international tätiger Unternehmen in die USA", sagt der Rechtsanwalt Marco Maurer. Diese seien nun gezwungen, auf anderem Wege ein angemessenes Datenschutzniveau zu gewährleisten. Sein Kollege Matthias Bergt sieht das ähnlich: "Ich kann jedem Unternehmen, das irgendwas damit zu tun hat, nur raten: Ab ans Telefon und den Anwalt anrufen, denn die Aufsichtsbehörden werden definitiv verstärkt prüfen." Dem Safe-Harbor-Abkommen, das dem Papier nach den Datenschutz für EU-Bürger garantieren sollte, sind Tausende Firmen beigetreten, darunter große US-Konzerne wie Google, Facebook, Apple, Amazon und Microsoft. Für diese Unternehmen geht es vor allem um die Übermittlung von Nutzerdaten. Doch auch Firmen wie General Motors oder IBM müssen umdenken. Mit dem Aus von Safe Harbor wurde nicht nur die Verarbeitung von europäischen Kundendaten auf amerikanischen Servern rechtswidrig; ebenso ist es nun fraglich, ob die Personalverwaltung von europäischen Angestellten in den USA stattfinden darf.

Wie könnten Unternehmen reagieren?

Facebook selbst gibt sich gelassen. Angeblich sei man vom Urteil gar nicht betroffen, da man sich "wie Tausende europäische Unternehmen" auf weitere Möglichkeiten nach dem EU-Recht verlasse, um "unabhängig von Safe Harbor legal Daten von Europa in die USA zu übermitteln", sagt ein Sprecher. Dennoch dürften sich Konsequenzen für Facebook und Tausende andere Unternehmen ergeben, vermutet Rechtsanwalt Bergt. Nach EU-Recht gebe es neben Safe Harbor zwar noch zwei weitere Wege, um Datenaustausch zu legitimieren: die sogenannten Binding Corporate Rules, also individuelle Selbstverpflichtungen von Unternehmen, und die EU-Standardvertragsklauseln zum Datentransfer personenbezogener Daten in Drittländer. Doch beide könnten nun ebenfalls rechtswidrig sein. Womöglich müssen Unternehmen Server in Europa aufbauen, um dort Daten zu speichern und zu verarbeiten. Gerade für kleinere Start-ups könnte das zum Problem werden. Facebook sagt außerdem, dass man Nutzer beim Registrierungsprozess um Einverständnis fragen und sich die Datenübermittlung in die USA legitimieren lassen könne. Theoretisch ist das richtig, jedoch bezweifeln viele Juristen, ob eine solche Form der Einverständniserklärung tatsächlich wirksam wäre.

Was bedeutet das Urteil politisch?

Die EU-Kommission verhandelt seit zwei Jahren mit den USA über eine Neuregelung des Safe-Harbor-Abkommens. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sollen die Gespräche kurz vor dem Abschluss gestanden haben. Nach Ansicht von Experten hat man bislang gehofft, mit kosmetischen Änderungen davonzukommen. Diese Hoffnung hat sich mit dem deutlichen Votum des EuGH zerschlagen. Um eine Neuauflage von Safe Harbor zu erzielen, müssten die USA insbesondere bei der Überwachung durch das Spähprogramm Prism Zugeständnisse machen. Prism zeichnet ohne Anlass Massen von Internetdaten auf, damit die NSA sie auswerten kann. Dies ist mit europäischen Grundrechten nicht vereinbar. Das US-Außenministerium hatte vor Bekanntgabe des Urteils beteuert, Prism richte sich gegen "konkrete, zulässige Ziele", sei gesetzlich genehmigt und unterliege der öffentlichen Kontrolle. Ein Aus von Safe Harbor würde dem Schutz der Bürgerrechte "erheblichen Schaden" zufügen und den "freien Fluss von Informationen" behindern. Von dieser Warnung haben sich die europäischen Richter nicht beeindrucken lassen.

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