Flüchtlingspolitik:Warum Abschiebungen so schwierig sind

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"Besser kommen Sie nicht weg": Werbung, die in dem Kontext zynisch wirkt, steht auf einem Flughafenbus in Rheinmünster, der abgelehnte Asylbewerber zu ihrer Maschine bringt (Bild vom Dezember 2014).

(Foto: dpa)

Nicht einmal jeder zweite Flüchtling, der nach Deutschland kommt, darf bleiben. Warum sind dennoch so viele noch da?

Von Jan Bielicki und Stefan Braun

Die Flugzeuge starten mehrmals im Monat, in München, in Berlin-Schönefeld, vom Baden-Airpark nahe Karlsruhe. Die Ziele heißen Belgrad, Pristina, Skopje, Tirana. Darin sitzen abgelehnte Asylbewerber aus den Nicht-EU-Staaten Südosteuropas und Bundespolizisten, die sie begleiten. Künftig sollen diese Flugzeuge viel öfter fliegen. Am Wochenende trat ein Gesetz in Kraft, das sogenannte Rückführungen - sprich: Abschiebungen - abgelehnter Asylbewerber erheblich erleichtern soll. Und schon wird über weitere Verschärfungen diskutiert.

Für wen sollen die neuen, verschärften Abschieberegeln insbesondere gelten?

Für die Flüchtlinge aus den sechs Westbalkanstaaten - und für Flüchtlinge aus Afghanistan. Die Zahl der ausreisepflichtigen, weil im Asylverfahren abgelehnten Afghanen ist noch nicht sonderlich hoch. Sie liegt bei knapp 7000 und entspricht in etwa der Zahl derjenigen aus Bosnien-Herzegowina. Aber nach allem, was Bundeswehr, Auswärtiges Amt und befreundete Nationen wissen, sitzen in Afghanistan viele Menschen auf gepackten Koffern. Wer es bis nach Deutschland schafft, hat derzeit eine knapp 50-prozentige Chance, als Asylbewerber anerkannt zu werden. Die allermeisten anderen bleiben trotzdem, weil seit einigen Jahren ein faktischer Abschiebestopp gilt. Das will die Regierung unter Federführung des Kanzleramts nun offenbar ändern. Deshalb drängt Berlin die EU, mit Afghanistan ein Rückführungsabkommen zu schließen. In der Regierung wird überlegt, bei der Entscheidung über eine Abschiebung zwischen sicheren und unsicheren Regionen in Afghanistan zu unterscheiden.

Wie viele Menschen werden aus Deutschland abgeschoben?

In den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden laut Bundesinnenministerium 11 522 Menschen abgeschoben, die meisten von ihnen in die Balkanstaaten. Das waren mehr als im gesamten Vorjahr, aber nur ein geringer Teil derjenigen, die ausreisen müssten. Ende September führte das Ausländerzentralregister etwa 193 000 Menschen als "ausreisepflichtig", 52 000 von ihnen als "unmittelbar ausreisepflichtig" - das heißt: Sie müssen sofort raus aus Deutschland. Dazu gehören freilich auch andere Ausländer, die sich nicht mehr in der Bundesrepublik aufhalten dürfen, verurteilte Straftäter etwa. Aber es sind auch die 43 620 Asylsuchenden darunter, denen 2014 rechtskräftig bescheinigt wurde, kein Recht auf Flüchtlingsschutz in Deutschland zu haben.

Wo sind diese Menschen jetzt?

Manche haben Deutschland von sich aus oder unter Zwang verlassen, noch mehr allerdings leben noch oder schon wieder hier. Laut einer Auswertung des Bundesinnenministeriums waren etwa 18 000 der 2014 abgelehnten Asylbewerber Ende Juni 2015 nicht mehr Land, 25 500 aber waren weiterhin oder wieder hierzulande "aufhältig", wie es in der Amtssprache heißt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat sich den weiteren Weg der im Vorjahr abgelehnten Asylbewerber aus den Balkanstaaten genauer angesehen. Jeder zweite dieser 25 000 Menschen war demnach Ende Juni noch in Deutschland registriert. Von den 12 500 Weggezogenen wurde jeder Fünfte zwangsweise per Abschiebung in die Heimat verfrachtet. Die große Mehrheit von ihnen ging offenbar von sich aus. Allerdings kann die Bundesregierung keine belastbare Zahl der freiwilligen Ausreisen nennen - Ausreisende werden an den Grenzen nicht kontrolliert.

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Abgelehnte Asylbewerber steigen im Februar dieses Jahres am Baden-Airport in Rheinmünster (Baden-Württemberg) im Rahmen einer landesweiten Sammelabschiebung in ein Flugzeug.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Warum bleiben so viele Menschen hier, obwohl sie das Land verlassen müssten?

Ende September waren etwa 142 000 Ausländer im Land, denen die Ämter eine Duldung gewähren. Etwa 33 000 leben schon seit fünf, 22 000 sogar schon seit zehn Jahren mit diesem unsicheren Status im Land. Duldung heißt: Eigentlich müssen sie ausreisen, doch der Vollzug der Abschiebung wird ausgesetzt, weil es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, sie außer Landes zu schaffen.

Was sind das für Gründe?

Davon gibt es viele. Klar ist: Wem in der Heimat die Todesstrafe oder erniedrigende Behandlung drohen, darf nicht zurückgeschickt werden. Auch in Kriegsländer wie Somalia können die Behörden niemanden zurückschicken - schon deshalb nicht, weil es dorthin nicht einmal Flugverbindungen gibt. Auch haben manche Bundesländer wie Thüringen oder Schleswig-Holstein in der Vergangenheit niemanden in die Winterkälte der Balkanstaaten geschickt. In diesem Jahr wollen sie keinen Winterabschiebestopp erlassen. Doch vor allem drei Gründe verhindern Abschiebungen: fehlende Identitätspapiere, Krankheit und schlicht Abwesenheit.

Was machen die Ausländerbehörden, wenn kein Reisepass vorliegt?

Laut einem Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich als "AG Rück" um Rückführungen kümmert, erklären drei von vier Asylbewerbern, keine Dokumente dabei zu haben. Neue Reisepapiere zu beschaffen ist oft schwierig, besonders dann, wenn die Menschen sich widersetzen. Um ihre Identität festzustellen, gibt das Bundesamt Sprachanalysen in Auftrag; Ausländerbehörden führen sie Botschaftsvertretern der mutmaßlichen Herkunftsländer vor. Das ist aufwendig, zumal die Betroffenen gegen solche behördlichen Schritte vor Gericht klagen können. Noch schwieriger wird es, wenn die Heimatländer nicht kooperieren. Die AG Rück listet 28 solcher Staaten auf, die meisten davon liegen in Afrika. Derzeit können etwa 35 000 Ausreisepflichtige nicht abgeschoben werden, weil die Heimreisedokumente fehlen. Balkanbürgern unter ihnen will Deutschland nun selber sogenannte Laisser-passer-Papiere ausstellen, die von den Heimatstaaten akzeptiert werden sollen.

Welche Rolle spielt der gesundheitliche Zustand der Abzuschiebenden?

Krankheit oder medizinische Behandlung sind nach Auskunft von Ausländerbehörden in Zehntausenden Fällen der Grund dafür, dass Abschiebungen ausgesetzt werden. Häufig entscheiden erst Gerichte, ob ein Mensch zu krank für die Rückkehr ist. Amtsvertreter sehen in vielen Attesten nur Versuche, die Ausreise zu verhindern. Umgekehrt hören Amtsärzte den Vorwurf, sie würden Abzuschiebende leichtfertig reisefähig schreiben, ohne etwa auf psychische Traumata zu achten. Der Faktor Krankheit fällt auch darum ins Gewicht, weil eine Abschiebung Familien nicht auseinanderreißen soll. Ist ein Mitglied der Familie krank, dürfen daher oft alle anderen bleiben.

Wie viele Menschen tauchen unter?

Das ist kaum zu beziffern. Tatsache ist, dass viele Abschiebungen noch im letzten Moment scheitern. So hat das Regierungspräsidium Karlsruhe 2015 bereits 4600 Abschiebungen angesetzt, doch nur 1700 Menschen tatsächlich in die Flugzeuge setzen können. Es kommt vor, dass Menschen noch am angesetzten Abschiebetag krank werden oder vorgeben, krank zu sein - oder sich sogar selbst verletzen. Oft ist gerade niemand zu Hause, wenn die Polizei anrückt. Künftig dürfen Behörden den Abschiebetermin nicht mehr ankündigen.

Wie können Behörden das Verfahren beschleunigen?

Zum Beispiel, indem sie personell aufrüsten - das meint jedenfalls die AG Rück. Bei einer Stichprobe stellte sie fest, dass bei 55 Ausländerbehörden in vier Bundesländern die Zahl der Mitarbeiter in 48 dieser Ämter von 2009 bis 2014 gleich geblieben oder sogar gesunken ist - in einer Zeit, in der sich die Zahl der Asylbewerber versechsfachte. Abschiebungen zu organisieren, so erklärt sich der Arbeitskreis das seiner Meinung nach mangelnde Engagement, sei eben "eher problembeladen und damit medienunfreundlich". Die Kommunen sehen die Ursache für die Defizite bei den Abschiebungen woanders. Diese sei "in den vorgegebenen Verfahrensabläufen zu suchen, die Ausreisepflichtigen eine Fülle von Schlupflöchern bieten", sagt Stephan Articus, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Viele Länder haben darum die Organisation von Abschiebungen in zentrale Ausländerbehörden verlagert - etwa Baden-Württemberg. Schneller als in dem grün regierten Land steigt die Zahl der Abschiebungen nur in Bayern.

Was kosten Abschiebungen?

Sie kommen den Staat teuer. Allein Nordrhein-Westfalen hat für dieses Jahr sechs Millionen Euro für Rückführungen vorgesehen. Wie aufwendig Abschiebungen sein können, zeigen Berichte der europäischen Grenzschutzagentur Frontex über spezielle Abschiebeflüge, die sie für jeweils mehrere Staaten organisiert: So flog am 22. Juli ein Charterjet mit 97 Rückkehrern und 89 begleitenden Beamten von Hamburg via Budapest in Kosovos Hauptstadt Pristina. Der Flug kostete 94 470 Euro. Angesichts solcher Kosten versuchen die Behörden, Ausreisepflichtige zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen - auch mit finanziellen Anreizen. Bis Juli erhielten 15 322 Ausreisende Fahrkarten, Flugtickets oder etwas Geld für einen Neustart daheim; das ließen sich Bund und Länder vier Millionen Euro kosten.

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