Fortschrittsbericht:Türkei noch weit von EU-Beitritt entfernt

Neuer Fortschrittsbericht zur Türkei: Brüssel beklagt die anhaltende Verletzung der Bürgerrechte, lobt aber Ankaras Aussöhnung mit Armenien.

Thomas Kirchner

Die Türkei ist noch immer weit von einem Beitritt zur Europäischen Union entfernt. Das ist das Fazit des jährlichen Fortschrittsberichts zu mehreren Kandidatenländern, den die EU-Kommission am Mittwoch veröffentlicht hat.

Zwar wird Ankara auch gelobt, etwa für seine Bemühungen um einen Ausgleich mit Armenien und seine Vermittlerrolle in der Nahost-Politik. Doch erkennt die Kommission weiter gravierende Mängel, vor allem bei den Grund- und Bürgerrechten.

Insgesamt zeigt sich die EU unzufrieden mit dem Reformtempo der Türken. Deutsche Christdemokraten im Europaparlament sahen sich in ihrer Ansicht bestätigt, dass die Türkei nicht in die EU aufgenommen werden dürfe. Die Regierung in Ankara sprach vom "bisher objektivsten" Bericht.

In einigen wesentlichen Punkten hat sich die Lage in der Türkei nach Ansicht der Kommission nicht verbessert. Dazu zählen die Frauenrechte. "Häusliche Gewalt, Ehrenmorde und erzwungene Hochzeiten sind noch immer schwerwiegende Probleme", heißt es im Bericht. Die Kommission zitiert eine Studie der türkischen Regierung, nach der 39 Prozent der türkischen Frauen über körperliche Gewalt klagen und 15 Prozent über sexuellen Missbrauch.

Schwere Vorwürfe

Auch gehe die türkische Regierung nicht entschieden genug gegen Schwarzarbeit und Kinderarbeit vor. Wie in den vergangenen Jahren zeigt sich die Kommission besorgt über Vorwürfe, wonach Beamte Bürger folterten und misshandelten, und noch immer stört sich die EU an den Eingriffsmöglichkeiten des Militärs. Besonders scharf kritisiert der Bericht das Vorgehen der Regierung gegen die Dogan-Mediengruppe, die auch die große Zeitung Hürriyet verlegt. Die Finanzbehörden drohen mit einer Steuerstrafe von 2,2 Milliarden Euro gegen den Konzern, was Beobachter als Quittung für kritische Berichte über die Regierungspartei AKP werten.

Gleichzeitig verzeichnet die EU-Kommission Fortschritte bei der Presse- und Meinungsfreiheit. So sei die Zahl fragwürdiger Gerichtsverfahren gegen Journalisten gesunken. Als positiv wertet der Bericht auch die Ermittlungen gegen den rechtsextremen Ergenekon-Bund sowie die Initiative, der kurdischen Minderheit mehr Rechte zu geben.

Das Zypern-Problem spricht die EU nur vorsichtig an. Zwar rügt Brüssel, dass Ankara sich noch immer nicht an die Abmachungen mit der EU halte, doch gibt die Kommission keine politischen Empfehlungen, etwa für Sanktionen. Dahinter steckt die Absicht, die laufenden Verhandlungen zwischen Süd- und Nordzypern nicht zu behindern.

Die EU und die Türkei verhandeln seit vier Jahren über einen Beitritt. Das Land ist strategisch wichtig wegen seiner Position an der Schwelle zu Asien. Während etwa Großbritannien auf einen Beitritt dringt, wollen Frankreich und deutsche Unions-Politiker den Türken nur eine "privilegierte Partnerschaft" zugestehen.

Die Türkei bleibe "strukturell beitrittsunfähig", kommentierte der Vorsitzende der deutschen Unions-Abgeordneten im Europaparlament, Manfred Weber, den Bericht. Am Dienstag hatten CSU-Politiker die neue Bundesregierung aufgefordert, sich auf europäischer Ebene entsprechend gegen einen Beitritt festzulegen. Die Kommission empfahl, Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien aufzunehmen. Kroatien könne vermutlich 2012 EU-Mitglied werden.

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