Forschung:Von Zahnausfall bis Impftermin

61 Prozent

So groß ist inzwischen der Anteil der Mütter, die erwerbstätig sind. Nach den aktuellsten verfügbaren Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2013 ist der Anteil seit 1996 um sechs Prozentpunkte gestiegen. Ob Mütter berufstätig sind, hängt stark vom Alter der Kinder ab. Frauen mit Kindern unter drei Jahren waren am seltensten erwerbstätig (31 Prozent). Auch die Familienform spielt eine Rolle: So arbeitete nur jede vierte alleinerziehende Mutter mit Kindern in diesem Alter, aber 31 Prozent der Ehefrauen.

Wissenschaft, Statistik, Sachbücher: Es gibt immer wieder Neues über Mütter zu sagen. Eine Auswahl.

Von Ulrike Heidenreich

Wer als Mutter gilt, das wird im Bürgerlichen Gesetzbuch noch einfach erklärt: "Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat", so lautet Paragraf 1591. Diese Nüchternheit wünscht man sich manchmal, wenn man Studien, Bücher und Forschungsarbeiten zum Thema liest. Da geht es häufig kreuz und quer, eine Untersuchung widerspricht vehement der anderen. Und dann gibt es da noch das pralle Leben, das sowieso in keine Schublade passen will.

Beim Thema Mutter will jeder recht haben, kaum eine Mutter kann es demnach richtig machen. Und dann ist da dieses schlechte Gewissen: Es gibt die Mutter, die ein schlechtes Gewissen hat, weil sie mit hoher Stundenzahl arbeitet. Es gibt die Mutter, die ein schlechtes Gewissen hat, weil sie nicht arbeitet. Umgekehrt gibt es die Kinder, die sich insgeheim sorgen, dass sie sich nicht ausreichend um die eigene, alte Mutter kümmern.

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Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) versucht da zu vermitteln. Alte Damen, vielleicht längst schon Großmutter, sollten sich ruhig trauen, ihren Kindern zu sagen, dass ihnen der Muttertag noch etwas bedeutet. "Vielen ist der Muttertag wichtig, weil sie sich an die Zeit erinnern, als die Kinder noch klein waren", sagt Ursula Lenz von der Senioren-Organisation. Und: "Kinder bleiben ja für die Mütter immer Kinder, egal wie alt sie sind."

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Das Alter der Mütter vermisst das Statistische Bundesamt alljährlich, die aktuellsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2014. Demnach waren Mütter bei der Geburt des ersten Kindes durchschnittlich 29,5 Jahre alt. 715 000 Kinder haben Mütter lebend zur Welt gebracht, das sind 4,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die Geburtenziffer ist übrigens gestiegen, wenn auch im niedrigstelligen Bereich: auf 1,47 Kinder je Frau. Im Jahr zuvor waren es rechnerisch knapp 1,42 Kinder. Das ist der bisher höchste gemessene Wert seit der Wiedervereinigung. Noch mehr Zahlenwerk: Durchschnittlich 1,55 Kinder brachten die Frauen des Jahrgangs 1965, die 2014 das statistisch angesetzte Ende des gebärfähigen Alters von 49 Jahren erreichten, im Laufe ihres Lebens tatsächlich zur Welt.

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Die Mutter ist ein Wesen, das die Forschung immer wieder zu überraschenden neuen Ansätzen inspiriert. So kam das Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock dieses Jahr zu folgender Erkenntnis: Ältere Mütter haben fittere Kinder. Diese sind gesünder und besser ausgebildet - größer werden sie auch noch als die Kinder von jüngeren Müttern. Warum das so ist? Die Forscher formulieren es recht pragmatisch: "Gesundheit und Bildungschancen der Menschen in Industrieländern verbessern sich von Jahr zu Jahr. Da zahlt es sich aus, später geboren zu werden." Ganz einfach.

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Ist Mütterforschung ein zahnloser Tiger? Auf einem Symposium für Gendermedizin in Berlin wird eruiert, warum Frauen die Zähne früher ausfallen als den Männern. Jedes Kind ein Zahn, heißt es ja im Volksmund. Stimmt aber nicht: Es liegt an der Osteoporose, an der Frauen stärker leiden. Und an der Rollenverteilung in der Familie: Die Mutter kocht häufiger, und so bringt sie beim Abschmecken mehr Keime in den Mund.

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Mit ihrer Analyse "Wie viel Mutter braucht das Kind?" macht sich die konservative Konrad-Adenauer-Stiftung wenig Freunde bei Familienverbänden - bei berufstätigen Frauen dagegen umso mehr: Denn nach dieser Lektüre muss sich keine mehr als Rabenmutter fühlen. Das Fazit: Kinder berufstätiger Frauen haben ebenso gute, wenn nicht sogar bessere Noten als die Kinder nicht erwerbstätiger Mütter. Pisa-Daten zeigten gar eine "massiv" höhere Gymnasialquote, wenn Mütter Vollzeit arbeiten. Die Erklärung der Forscher: Kinder nähmen sich die mütterliche Arbeitshaltung und "vorgelebte Lern- und Bewältigungsstrategien" zum Vorbild.

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Eine repräsentative Forsa-Umfrage unter Erwachsenen kommt zu dem Schluss, dass Hausfrauen (69 Prozent) fast genauso häufig gestresst sind wie Berufstätige (70 Prozent). Auch sie müssen also Bewältigungsstrategien haben, irgendwie.

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Wie die Strategien mancher Mütter aussehen können, zeigen Aufnahmen von einem "Juniormarathon" im österreichischen Linz von diesem Frühjahr. Drei- und vierjährige Kinder werden von ihren ehrgeizigen Eltern gegen ihren Willen über die Ziellinie gezerrt. Der Fotograf wird zitiert: "Da wollten die Eltern gewinnen. Die Kinder haben geweint." Die Aufnahmen erzeugten einigen Wirbel. Eine Mutter fühlt sich missverstanden, sie verteidigt sich über Facebook.

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Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat einen bemerkenswerten Satz zum Thema Mutter und Erziehung in eine weitere Studie geschrieben. Die Analyse mit dem Titel "Das selbständige Kind" ist vor Kurzem erschienen. Es heißt dort: "Das vermehrte Engagement der Eltern zur Selbstständigkeit des Kindes kann tendenziell das Gegenteil bewirken. Kinder können sich kaum noch alleine beschäftigen, da sie seit der Säuglingszeit daran gewöhnt sind, dass ständig jemand zur Verfügung steht, der sich ihnen widmet."

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Wie lebt eine junge Mutter heute? Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat folgende Berechnung angestellt: Eine Mutter von zwei Kindern, von denen das jüngere noch nicht schulpflichtig ist, wendet für Haushalt und Beruf im Schnitt etwa 61 Wochenstunden auf. Das setzt sich so zusammen: 23 Stunden für den Haushalt, 17 für die Kinderbetreuung, 15 für die Erwerbsarbeit, sieben Stunden fürs Pendeln.

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Das Thema Mutter, Mutterrolle, Mutterbild läuft gut auf dem Buchmarkt - von Regretting bis Muttitasking. Es gibt Abnehmer(-innen) für wirklich alles: So beklagen die Autorinnen Alina Bronsky und Denise Wilk in ihrem im März erschienen Werk "Die Abschaffung der Mutter", dass Mütter heute ständig angefeindet würden. Weit verbreitet sei gar ein "Mütter-Bashing". Die Soziologin Sabine Brombach von der Ostfalia-Hochschule für Angewandte Wissenschaften leistet Schützinnenhilfe. Frauen unterlägen in Deutschland einem "Bevormundungssystem", das es als selbstverständlich voraussetze, dass sie mit ihren Kindern sämtliche Vorsorge- und Impftermine beim Kinderarzt wahrnähmen und möglichst nur gute Bioprodukte auf den Tisch brächten.

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Wenigstens gibt es auch mal Blumen zum Dank. Der Fachverband Deutscher Floristen freut sich, mitteilen zu dürfen, dass die Bundesbürger im Durchschnitt rund 14 Euro für ihren Muttertags-Strauß ausgeben. Marcel Schulz, der es zur Meisterschaft bei den Floristen gebracht hat und dieses Jahr beim Europa-Cup im italienischen Genua auftreten darf, empfiehlt heuer ein bunt-romantisches Blüten-Bouquet in verschiedenen Rot-Tönen mit den Worten: "Am Muttertag darf es ruhig einmal eine echte Liebeserklärung sein. Denn Mütter sind nicht nur Mütter, sondern auch Frauen, die das Besondere schätzen."

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