Außenpolitik:Steinmeier erklärt die "nachdenkliche Macht" Deutschlands

Bundestag - Bundeshaushaltsplan 2016

Deutschland ist nicht stärker, sondern die anderen sind schwächer geworden: Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit Kanzlerin Angela Merkel.

(Foto: Thalia Engel/dpa)
  • Unter dem Titel "Deutschlands neue globale Rolle" erklärt Außenminister Steinmeier, warum die Macht der Bundesrepublik in der vergangenen Zeit gewachsen ist.
  • Er prägt dabei das Bild eines "nachdenklichen" Deutschlands.
  • Kanzlerin Merkel, die mächtigste Frau der Welt, erwähnt er nicht. Das hat auch mit dem bevorstehenden Wahlkampf zu tun.

Von Stefan Kornelius

Es gehört zur Jobbeschreibung des deutschen Außenministers, dass er die deutsche Außenpolitik erklärt. Wenn er das allerdings sehr, sehr grundsätzlich tut und als Plattform für seine Worte das Zentralorgan der Weltenlenker wählt, dann herrscht Deutungsalarm. Die Fachzeitschrift Foreign Affairs ist so etwas wie die Prawda der Geopolitik, weshalb der Artikel von Frank-Walter Steinmeier auch den sehr grundsätzlichen Titel trägt: "Deutschlands neue globale Rolle."

Und die hat es in sich. Frank-Walter Steinmeier, so macht es den Eindruck, muss endlich etwas loswerden. Lange hat er geschwiegen zu der Frage, die nicht wenige in den außenpolitischen Denkerstuben umtreibt: Was eigentlich hat es auf sich mit diesem neuen, mächtigen Deutschland, das quasi über Nacht die Führung in Europa übernommen hat? Steinmeiers Erklärung für das Phänomen: Nicht die Deutschen waren es, die stärker geworden sind. Vielmehr sind alle anderen schwächer geworden. "Deutschland hat sich als zentraler Spieler herausgebildet, indem es stabil blieb, während sich die Welt drum herum verändert hat."

Das ist eine Aussage, die bei weniger wohlwollenden Nachbarn als zu selbstbewusst ankommen könnte. Aber Steinmeier tritt zur Beweisführung an und zeichnet einen kühnen Strich der Weltpolitik seit 1999, exakt jenem Jahr also, in dem seine SPD die Regierung übernommen hat. Kurz darauf: die Irak-Invasion, die "dem Standing der Vereinigten Staaten in der Welt geschadet hat". Die Bush-Regierung habe versagt, sie habe Amerika geschwächt, Präsident Barack Obama passe nun die Fähigkeiten seines Landes der veränderten Welt an.

Zweiter Grund für Deutschlands Machtgewinn: Europa und seine Schwächen. Die Integration stagniere, die EU habe "ihr Momentum verloren" und ihr politisches Fundament nicht verstärkt. Insgesamt gilt: Die Welt ist instabiler geworden, neue Akteure wie China reklamieren Platz, Staaten zerfallen und ungebetene Mitspieler wie Terroristen machen das Leben zur Hölle.

Berlin sei eine "nachdenkliche Macht". Heißt das, die anderen denken nicht nach?

Und mittendrin "ist Deutschland bemerkenswert stabil geblieben". Steinmeier, der wahrlich keinen Wir-sind-wieder-wer-Patriotismus versprüht, lässt es an Selbstbewusstsein nicht missen: "Während die Vereinigten Staaten und die EU stolperten, hat sich Deutschland behauptet und ist als eine bedeutende Macht hervorgetreten, vor allem in Ermangelung einer Alternative." Dann schickt er gleich die Generalklausel hinterher, die bei der Debatte über Macht und Stärke fallen muss: "Deutschland hat diesen Status nicht angestrebt. Aber die Umstände haben es in diese Rolle gedrängt."

So weit, so außergewöhnlich, weil Steinmeier es aus Rücksicht auf sein Tagesgeschäft in der Regel eher vermeidet, Zensuren für einzelne Staaten zu verteilen. Dann aber beginnt der innenpolitische und damit deutungspflichtige Teil des Artikels. Weil Steinmeier nun mal mit seinem eigenen Regierungseintritt beginnt, ist es folgerichtig, dass er das Fundament für die deutsche Führungsrolle in den prägenden Ereignissen der Regierung Schröder sieht: Dem Widerstand gegen Bush und den Irak-Krieg; und in der Agenda 2010, die das neue Wirtschaftswunder begründet habe.

Krieg und Frieden sind denn auch Hauptthemen, weil Steinmeier dem Vorwurf entgegenwirken will, Deutschland tue zu wenig zur Friedenssicherung. Falsch, antwortet er, siehe Kosovo, Afghanistan oder Mali. Außerdem ist es die deutsche Zurückhaltung und Nachdenklichkeit, die dem Land politisches Gewicht und Autorität verleihe. Viermal gleich nennt Steinmeier Deutschland eine "nachdenkliche Macht" - eine bislang unbekannte Kategorie zur Messung von Einfluss und politischer Klugheit. Steinmeier wird sich als Vertreter des Landes der Denker die Frage einhandeln, ob denn die anderen aus seiner Sicht nicht genug nachdächten.

Steinmeier ist nicht zimperlich bei der Darstellung der Erfolge: Sein persönlicher Beitrag zum Waffenstillstand in Libanon 2006, zum Iran-Nuklearvertrag, zum Friedensprozess in Syrien. Dann die Vermittlung in der Ukraine, die Euro-Rettung und schließlich die Flüchtlingskrise.

Freilich gibt es da noch eine andere Figur, die mit der außenpolitischen Stärke Deutschlands in Verbindung gebracht wird und ständig auf den Ranglisten der Einflussreichen ganz vorne auftaucht: Angela Merkel. Steinmeier erwähnt in seinem Großentwurf zur Außenpolitik die Bundeskanzlerin mit keiner Silbe. Das muss Merkel nicht kümmern - gerade wurde sie wieder zur mächtigsten Frau der Welt gekürt. Für die Leser von Foreign Affairs, die Deutschland vor allem mit dieser Frau verbinden, fehlt aber die Fußnote: "Achtung Wahlsaison - es beginnt nun der Kampf um die Deutungshoheit für vier turbulente Jahre."

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