Folgen der Finanzkrise für Griechenland:Die Mauern der Bürokratie müssen fallen

Griechenland erstickt an seiner Bürokratie. Korruption und Vetternwirtschaft ziehen eine zerstörerische Mauer mitten durch das Land. Viele junge Leute bekommen keine Chance. Gelingt es nicht, dieses System zu zerschlagen, ist Hellas nicht zu retten.

Christiane Schlötzer

Es ist schon wieder fünf Jahre her, da bewegte der deutsche Spielfilm "Das Leben der Anderen" das Land. Darin ging es um das falsche Leben im richtigen, um Täuschung und Verrat. In Griechenland zog dieses oscarprämierte deutsche Drama so viele Menschen in die Kinos wie kaum ein anderer europäischer Film zuvor - und es trieb nicht wenige dann in Tränen wieder hinaus auf die Straßen.

Unions of the public and private sector in Greece staged a 24-hou

Die Menschen in Griechenland demonstrieren gegen harte und ungerechte Einschnitte - aber die Ungerechtigkeit erwächst aus der korrupten Bürokratie des Landes.

(Foto: dpa)

Weil sie nicht wahrhaben wollten, dass das andere Deutschland, die DDR, so war, wie es war. Kein treusorgender Staat, keine sozialistische Idylle, dafür Stasi-Land. Schon damals, 15 Jahre nach dem Mauerfall, hätte man merken können, dass in Griechenland eine andere Zeit gilt, dass sich dort Träume und politische Illusionen länger halten als im Westen Europas.

Es könnte sein, dass Angela Merkel von dieser speziellen Rückwärtsgewandtheit mehr ahnt als andere. Bei ihrer jüngsten Begegnung mit dem griechischen Premier Giorgos Papandreou berichtete die Kanzlerin jedenfalls ausführlich über den bürokratischen Umbau, der nach der Auflösung der DDR nötig wurde. Deutsche Experten, die Ähnliches in Athen leisten könnten, bot die Kanzlerin auch an. Papandreou hörte interessiert zu.

Der Vergleich ist gewagt, aber es spricht doch einiges für die Analogie: Griechenland braucht nicht weniger als einen Mauerfall. Kein Zweifel, Hellas ist eine Demokratie, und was ein Unrechtsstaat ist, das wissen die Griechen nur zu gut, aus eigener Erfahrung mit Diktaturen. Die griechische Mauer verläuft auch nicht entlang der Staatsgrenzen, sie geht mitten durch das Land.

Sie besteht aus festem Gestrüpp, dem eingesponnenen Gewebe der Bürokratie, aus Patronage, potenten Familiennetzwerken und anderen Klientelbeziehungen. Sie setzt sich zusammen aus jahrzehntelang genährten Gewissheiten und Erwartungen an einen Staat, der beispielsweise fast jedem Universitätsabsolventen - mit dem richtigen Parteibuch - einen Job in einem Staatsbetrieb versprach. So war das, lange Zeit.

Die Mauer bröckelt

Jetzt bröckelt die Mauer - gefallen ist sie noch nicht. Griechische Staatsdiener müssen sich von Regierungsmitgliedern sagen lassen, sie seien faul und unfähig. Von denselben Politikern, die noch vor kurzem Beamtenposten als Wahlgeschenke verteilten. Das Vertrauen in die politische Klasse und ihre Krisenkompetenz schwindet denn auch dramatisch. Neun von zehn Griechen sind nach einer Umfrage weder mit den regierenden Sozialisten noch mit der konservativen Fundamentalopposition zufrieden.

Einen auch nur annähernd großen Verlust an Vertrauen in die politische Elite Griechenlands gab es seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 noch nie. Dies trifft die beiden großen Kräfte, die sich seit rund 40 Jahren immer wieder an der Macht ablösen, gleichermaßen. Das ist kein Wunder, denn beide Parteien, die linke Pasok und die rechte Nea Dimokratia, haben in etwa dieselben Fehler gemacht. Sie haben das Gemeinwesen zugunsten einer individuellen Günstlingswirtschaft vernachlässigt.

So haben sie es etwa zugelassen, dass griechische Schüler in ihren Schulen so wenig lernen, dass sie ihre Lehrer nachmittags für Privatunterricht bezahlen müssen; sie haben das staatliche Gesundheitswesen so weit heruntergewirtschaftet, dass internationale Pharmafirmen für ihre Produkte europaweit einzigartig hohe Preise kassieren konnten. Und zuletzt haben die Politiker es versäumt, auch Männer und Frauen aus den eigenen Reihen für all die mittlerweile bekannt gewordenen Korruptionsskandale, für Verschwendung und Großmannssucht zur Rechenschaft zu ziehen.

So tut sich ein politisches Vakuum auf, das von Tag zu Tag größer wird. Populisten stehen schon bereit - ganz rechts und auch ganz links. Sie würden nur zu gern in die Lücke springen; sie präsentieren Rezepte, die das Land noch weiter in den Abgrund reißen würden.

Daneben aber gibt es noch ein anderes Griechenland. Es besteht aus Menschen, die warten, dass jemand die Lücke mit neuen Ideen füllt, auch mit neuen Parteien. Dieses andere Griechenland, das sind junge Leute, die jeden Tag überlegen, ob sie nun auswandern oder doch bleiben sollen. Junge Unternehmensgründer gehören dazu. Sie hoffen, dass ihr Land endlich sie fördert und nicht länger eine quasi-sozialistische Staatswirtschaft. Es sind Menschen, die hoffen, dass die Mauer fällt.

Das alte Land kämpft gegen den Untergang

Das alte Griechenland aber kämpft gegen den eigenen Untergang, gegen den Machtverlust. Dieser Kampf trägt absurde Züge. Etwa jeder fünfte Staatsdiener soll bis 2014 seinen Arbeitsplatz verlieren, 30.000 von ihnen noch dieses Jahr. Der Abbau ist bitter nötig. Aber weil die Regierung sich nicht traut, nun endlich nach Leistung statt nach Parteisympathien zu entscheiden, soll horizontal gekürzt werden, nach dem Muster: alle Älteren zuerst. Bleibt es dabei, würde Griechenland auf einen Schlag die Hälfte seiner Botschafter im Ausland verlieren.

Zum alten Griechenland gehören diejenigen, die meinen, das Land müsse sich gar nicht verändern. Das gilt auch für Teile der Richterschaft, auf deren Schreibtischen 150.000 unerledigte Steuerstrafverfahren dahindämmern. Beachtliche Bereiche der Steuerverwaltung gehören ebenfalls dazu; sie gelten als so korrupt, dass man in der Regierung eine Privatisierung ihrer Aufgaben erwogen hat.

Das neue, das andere Griechenland aber ist froh, dass nun eine Taskforce aus EU-Beamten im Land ist und die eigene Verwaltung zu Reformen antreibt. Dieses andere Griechenland ist selten in den Fernsehnachrichten zu sehen, weil es sich nicht neben den Steinewerfern auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament postiert.

Zu diesem Griechenland gehören auch jene jungen Leute, die derzeit trotz aller Widrigkeiten und praktisch ohne Geld die dritte Athener Kunstbiennale mit internationaler Beteiligung auf die Beine stellen. Dieses zweite Griechenland bilden Menschen, die nichts mehr von ihrem Staat erwarten, die drei Jobs machen, auch wenn sie damit nur 700 Euro verdienen. Weil sie wissen, dass dieser Staat ihre Zukunft verspielt hat, indem er beispielsweise auch die Rentenkassen mit Staatsanleihen vollgepumpt hat - die nun kaum mehr etwas wert sind.

Das neue Griechenland hofft ganz generell, dass die EU es nicht allein lässt. Weil das Land ohne das stete Drängen aus Brüssel, Berlin und Paris sich eben nicht ändern müsste. Weil die Politiker in Athen, wenn Hellas aus der Euro-Zone fällt, zwar wieder viele billige Drachmen drucken könnten, dann wohl aber auch weiter nach den alten politisch-mafiösen Regeln spielen würden. Außenpolitisch könnte ein seiner Bindungen lediges Griechenland - in europäischer Randlage und als Nachbar der aufstrebenden Türkei - ebenfalls in Versuchungen geraten. Nationalistische, populistische Töne sind ohnehin schon zu vernehmen.

Das alte und das neue Griechenland werden noch eine ganze Weile miteinander ringen. Wer diesen Kampf gewinnen wird, ist noch unklar. Eines aber ist gewiss: Wenn das alte Hellas gewinnt, ist Griechenland nicht zu retten.

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