Föderalismus-Reform:Kompromiss der Erschöpften

Die Länder weiten ihren Einfluss auf die Gesetzgebung aus - das Gegenteil war geplant.

Heribert Prantl

Was lange währt, wird endlich - nein, nicht gut, aber lang. Über die Güte der Föderalismusreform gehen die Meinungen der Experten weit auseinander. Das papierene Ergebnis jahrzehntelanger Diskussion, zweijähriger Kommissionsarbeit und sechsmonatigen Ringens im schwarz-roten Koalitionsausschuss ist jedenfalls lang; es handelt sich um die umfangreichste Grundgesetzänderung in der Geschichte der Bundesrepublik. Bundestag und Bundesrat müssen mit Zweidrittel-Mehrheit vierzig Verfassungsänderungen beschließen.

Noch nie seit Gründung der Republik ist in das Gefüge von Bund und Ländern so grundlegend eingegriffen worden. Das Ziel der Reform war, ganz unbescheiden: die Neuorganisation der Bundesrepublik. Herausgekommen ist eine Umorganisation, bei der nicht wenige Sachverständige sich fragen, ob die letzten Dinge nicht schlimmer sind als die ersten. Die Zahl der Bundesgesetze, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen, soll deutlich reduziert werden.

Die Prognosen, in welchem Umfang das mit den neuen Regelungen erreicht wird, schwanken stark: Ein Bundestagsgutachten behauptet, der Anteil der Zustimmungsgesetze wäre - hätte die Reform schon gegolten - in der vergangenen Legislaturperiode von 51 auf 24 Prozent gesunken. Bisher musste der Bundesrat zustimmen, wenn der Bund in seine Verwaltungskompetenz eingriff. Künftig soll er ("nur" sagen die Reformer) zustimmen müssen, wenn die Bundesgesetze zu einer erheblichen Kostenbelastung der Länder führen.

Etliche Sachverständige hielten das bei der zweiwöchigen Anhörung im Bundestag für ein problematisches Kriterium. Sie meinten, die Neuregelung könne zu noch mehr Gesetzesblockaden durch den Bundesrat führen als bisher.

Neue Zuständigkeiten für die Länder

Der Bund hat jedenfalls, um die bisher übliche Blockaden von Bundesgesetzen in der Ländervertretung (echt oder vermeintlich) abzubauen, einen hohen Preis bezahlt: Er hat eine lange Liste von Zuständigkeiten an die Länder abgegeben: das Dienstrecht, die Besoldung und Versorgung der Landes- und der Kommunalbeamten; das Demonstrations- und Versammlungsrecht; das Heimrecht für Pflegebedürftige und deren Angehörige; die soziale Wohnraumförderung; das Ladenschluss- und Gaststättenrecht; die Gesetzgebung für Flurbereinigung, für Spielhallen und Messen, für die Rechtsverhältnisse der Presse und für den gesamten Strafvollzug.

Nach einem Kompromiss in letzter Minute bleibt dem Bund das Notarrecht. Der Bund bekommt für das Bundeskriminalamt Zuständigkeiten zur Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus.

Was bringt die Reform dem Bürger? "Mehr Transparenz", lautet die Standardantwort, "mehr Klarheit darüber, wer wofür zuständig und verantwortlich ist." Umso kurioser sind die neuen Regelungen im Umwelt- und Naturschutzrecht.

Der Bund kann künftig das Umweltrecht zwar in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zusammenfassen, jedem Land wird aber erlaubt, einzelne Seiten oder auch ganze Packen herauszureißen: Jedes Land darf, "abweichungsfeste Kerne" ausgenommen, in weiten Teilen des Umweltrechts eigene, vom Bundesrecht abweichende Gesetze erlassen. Der Bund kann dann seinerseits wieder die Landesgesetze durch ein Bundesgesetz ablösen, der Landesgesetzgeber dann wieder ein Landesgesetz erlassen und so weiter und so fort.

Diese Ping-Pong-Gesetzgebung war einer der vielen Kritikpunkte, welche die Experten bei der Anhörung durch Bundestag und Bundesrat aufgelistet hatten. Hundert Sachverständige wurden zwei Wochen lang gehört - es war dies die größte Sachverständigenanhörung, die es je in einem Gesetzgebungsverfahren in Deutschland gegeben hat. Nach der Anhörung erschien es kaum noch vorstellbar, dass die große Koalition ihr Reformpaket ohne wesentliche Änderungen durch die Parlamente bringen würde.

Der Staatsrechtler Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität hatte seine Expertise in vier Punkten zusammengefasst, die mit dem Votum vieler Sachverständiger übereinstimmte: "Erstens: Die Reform ist notwendig. Zweitens: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie kommt, ist hoch. Drittens: Die Vorlage ist im Kern gesund. Viertens: Sie darf auf keinen Fall ohne Korrekturen durchgehen."

Dieser Wunsch, diese Forderung, ist nicht in Erfüllung gegangen. Außer im Bereich der Bildung wurde im gewaltigen Gesetzgebungspaket kaum noch etwas geändert. Die Ministerpräsidenten haben ihre Mitwirkungsrechte auf EU-Ebene erfolgreich verteidigt, in Brüssel bleibt Deutschland weiterhin schlecht aufgestellt. Die Länder können sich freuen, der Bund kann es nicht.

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