Flugzeugkatastrophe von Smolensk:Anflug in den Tod

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Wer war die vierte Stimme im Cockpit? Polnische Medien enthüllen neue Details über den tödlichen Flugzeugabsturz von Präsident Kaczynski. Premier Tusk muss Kritik einstecken.

Thomas Urban, Warschau

Einen Monat nach dem Absturz des polnischen Präsidentenflugzeuges unweit des Militärflughafens im russischen Smolensk haben Experten aus beiden Ländern technische Mängel am Flugzeug als Ursache ausgeschlossen.

Trauerplakat zeigt Lech Kaczynski: War er die vierte Stimme im Cockpit? (Foto: Foto: Getty Images)

Die polnischen Medien berichteten am Wochenende, dass sich die Untersuchungen nun vor allem auf Fehler der Piloten und Fluglotsen sowie auf Mängel an den technischen Einrichtungen des Flughafens konzentrierten. Das Flugzeug des sowjetischen Typs Tupolew Tu-154 war am 10. April in dichtem Nebel wenige hundert Meter vor der Landebahn zerschellt. Keine der 96 Personen an Bord überlebte. Unter ihnen waren der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski, die fünf höchstrangigen polnischen Generäle und drei Vizeminister.

Das polnische Internet und die Boulevardmedien sind voller Verschwörungstheorien. Die Untersuchung des Unglücks wird von der Warschauer Presse in einen Zusammenhang mit den vorgezogenen Präsidentenwahlen gestellt, die für den 20. Juni angesetzt sind.

Um die Nachfolge des verunglückten Präsidenten bemüht sich nämlich auch dessen Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski, der an der Spitze der nationalkonservativen Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) steht. Den Umfragen zufolge haben nur er und Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski von der regierenden konservativen Bürgerplattform (PO) Chancen auf einen Wahlsieg.

Entsprechend wird jede Mitteilung über die Katastrophe daraufhin untersucht, ob die Regierung, also die PO, oder aber das Präsidentenamt, somit also die PiS, dafür verantwortlich zu machen sind.

Die Experten haben in ihren Zwischenberichten einige der Versionen korrigiert, die zunächst von den Medien verbreitet worden sind. So ist die Unglücksmaschine keineswegs viermal über dem Flughafen gekreist, bevor sie zu der letztlich misslungenen Landung angesetzt hat. Vielmehr geschah das Unglück gleich beim ersten Landeversuch. Ursprünglich hatte es geheißen, der Pilot sei mit 1900 Flugstunden eher unerfahren gewesen. Doch bezog sich diese Zahl auf den Copiloten. Der Pilot selbst war in den Tagen vor dem Absturz bereits ein halbes Dutzend Mal von Warschau nach Smolensk geflogen.

Die polnischen Medien druckten Bilder eines russischen Pressefotografen, auf denen Soldaten auf dem Smolensker Flughafen die Glühbirnen für die Beleuchtung der Landebahn erneuerten. Daraus wird geschlossen, dass die Beleuchtung zuvor defekt war. Russische Zeitungen berichteten unter Berufung auf Mitglieder der Untersuchungskommission, dass der rechte Flügel der Maschine rund ein Kilometer vor der Landebahn mehrere Bäume geschreddert habe und dann abgerissen sei. Die Maschine habe sich darauf um die Längsachse gedreht, sei wenige Sekunden kopfüber weitergeflogen, bevor sie aufgeschlagen und explodiert sei.

Bislang gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Präsident Kaczynski den Piloten die Landung befohlen hat. Doch wurde bekannt, dass auf dem Flugschreiber die Stimme einer vierten, bislang noch nicht identifizierten Person im Cockpit ausgemacht worden sei. Dies deckt sich mit den Aussagen eines Anwohners, der zu der Absturzstelle gekommen war, bevor die russischen Behörden sie abgesperrt haben. Der Mann berichtete den russischen Medien, in dem Cockpit habe die Leiche einer vierten Person in Zivilkleidung gelegen.

Die Untersuchungskommission wollte diese Information allerdings nicht kommentieren. Sie gab nur bekannt, dass die letzten Worte der Piloten nicht veröffentlicht werden sollen, woraus die Medien schlossen, dass es sich um Flüche handelt.

Auf polnischer Seite hat Premierminister Donald Tusk (PO) die Untersuchung an sich gezogen, was ihm allerdings sehr viel Kritik auch aus eigenen Reihen eingebracht hat. Warschauer Kommentatoren vertraten die Auffassung, dass es besser gewesen wäre, das Parlament mit der Aufsicht über die Experten zu beauftragen. Tusk wird aus den Reihen der PiS auch vorgeworfen, es zugelassen zu haben, dass Moskau den Verlauf der Untersuchung allein bestimmt.

Es entspricht zwar dem internationalen Abkommen von Chicago über die Untersuchung von Flugzeugunglücken, dass die Behörden des Landes ermitteln, in dem sich die Absturzstelle befindet. Doch haben Warschau und Moskau 1993 ein Abkommen geschlossen, nach dem beim Absturz von Militärmaschinen Experten beider Länder daran beteiligt sind. Die Tupolew, die erst wenige Monate zuvor generalüberholt und modernster Elektronik ausgerüstet worden war, unterstand dem Verteidigungsministerium in Warschau.

© SZ vom 10.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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