Flugzeugabsturz in Ägypten:Der extremistische Islamismus ist stärker denn je

Russian plane crashes in Egypt with 224 aboard

Sollte die Urheberschaft des IS für den Flugzeugabsturz in Ägypten belegt werden, ist eine neue Phase der Terrorbedrohung eröffnet.

(Foto: dpa)

Die Extremisten vom Islamischen Staat brauchen Feinde - und schaffen sich diese selbst. Nun sind Ägypten und wohl auch Russland an der Reihe.

Kommentar von Stefan Kornelius

Vermutlich ist es zu spät, den sogenannten Islamischen Staat (IS) umzubenennen - etwa in Terroristischer Staat oder Organisation zur Verbreitung von Tod und Schrecken. Die Welt hat die Sprachverdrehung dieser Mörderbande unüberlegt übernommen und die Extremisten zu lange unterschätzt. Sicher ist heute: Der IS lässt sich nicht im Zweistromland einhegen, und er wird sich auch nicht mäßigen, wenn man maßvoll mit ihm umgeht.

Es gehört zur Erfahrung aus der Aufstiegsphase von al-Qaida bis zum 11. September 2001, dass sich eine Terrororganisation vom Terror nährt. Sie erhält Macht und Ausstrahlungskraft nicht, indem sie dem Terror abschwört. Der IS muss morden, um zu wachsen. Er braucht Feinde, um zu funktionieren.

Im Zweifel schafft sich der IS diese Feinde selbst - indem er demokratische Gesellschaften durch die Rekrutierung von Kämpfern aus deren Mitte in eine Gegnerschaft zwingt, indem er Kulturgüter sprengt, indem er grauenvoll mordet. Nun hat er offenbar ein Flugzeug zum Absturz gebracht und dabei mehr als 200 Menschen getötet.

Der IS weitet seinen Kampf aus - jetzt offenbar auch auf Russland

Sollte die Urheberschaft des IS für diese Tat belegt werden - und nach Indizienlage und zweimaliger Selbstbezichtigung spricht einiges dafür -, dann hat der IS eine neue Phase der Terrorbedrohung eröffnet. Die Botschaft trifft jeden. Unmittelbar ist sie an Russland und Ägypten gerichtet, mittelbar an alle, die angesichts von Flucht und Krieg um den Frieden auf der Welt besorgt sind. Sie lautet: Der extremistische Islamismus ist stärker denn je. Er hat nicht nur eine territoriale Machtbasis in der Levante, sondern verfügt auch über ein Organisationsgeflecht, von dem ein Osama bin Laden nur träumen konnte.

Dieser Terror kann überall zuschlagen: in Frankreich, am Strand in Tunesien, in der Türkei und nun wohl auch in einem Ferienflieger.

Ein russisches Passagierflugzeug ist ein naheliegendes Terrorziel, weil sich mit seiner Zerstörung ein Feuerwerk an Drohungen, Provokationen und Botschaften in die Welt setzen lässt. Russlands machtvoller Eintritt in den syrischen Bürgerkrieg ist selbstverständlich eine Bedrohung für den IS, auch wenn die russische Luftwaffe bisher offenbar bevorzugt Ziele der Opposition gegen das Assad-Regime angegriffen hat und weniger die Linien des IS. Moskau ergreift aber Partei für das traditionelle Machtgeflecht unter schiitischer Patronage - dem Feind der sunnitischen Extremisten vom IS.

Mit dem Urlauberjet als Angriffsziel würde der Terror auch in die russische Gesellschaft getragen, die - legt man den erwartbaren Reflex von Präsident Putin zugrunde - mit Härte und noch mehr Militärgewalt reagieren dürfte. Russland ist ein mehrfach verwundbarer Gegner. Die islamistischen Kräfte im Land sind alles andere als unter Kontrolle. Die tschetschenische Terrorwelle der frühen 2000er-Jahre hat Russland erschüttert. Putin verdankt dieser Terrorphase einen nicht geringen Teil seiner Macht; sein Aufstieg und die zentralistische Ausrichtung des Landes wären ohne seinen Anti-Terror-Kampf so nicht denkbar gewesen.

Der Anti-Terrorkampf der USA sollte zur Vorsicht mahnen

Nun steht der Präsident vor einer schwierigen Entscheidung. Sein Instinkt wird ihm zu einer Stärkedemonstration raten; die Erfahrung der USA aus einer satten Dekade im Kampf gegen den Terrorismus sollte ihn jedoch zur Vorsicht mahnen. Was den islamistischen Terror bezwingen kann, ist heute so unklar wie vor 14 Jahren. Moskaus Warnung vor vorschnellen Schuldzuweisungen sind also nicht nur aus gebotener Sachlichkeit nachvollziehbar, sie zeugen auch davon, dass sich die Führung des Landes keinen Konflikt aufzwingen lassen will.

Eine vorläufige und vermutlich ungeeignete Antwort auf den Umgang mit Extremisten hat der ägyptische Machthaber Abdel Fattah al-Sisi gegeben, dessen Land anscheinend zum nächsten strategischen Ziel des IS auserkoren wurde. Al-Sisi führt Ägypten mit Hilfe von Militär, Polizei, Geheimdiensten autoritär. Der Islamismus der Muslimbrüder ist in die Gefängnisse gewandert. Im Untergrund aber wächst die Radikalisierung, der Terror bricht überall im Land empor wie Lava aus der sich öffnenden Erde.

Der Mechanismus des Terrors ist fast schon vorhersehbar

Wie in Tunesien oder Marokko ist der Tourismus in Ägypten ein besonders attraktives Ziel für den Terrorismus. Sind die Gäste erst einmal aus dem Land vertrieben, dann lässt sich die Gesellschaft umso leichter spalten und radikalisieren. Die Phänomene sind inzwischen allseits bekannt, der Mechanismus des Terrors ist fast schon vorhersehbar. Allein: Es fehlt der Plan, um ihn zu stoppen, solange kein Rezept gegen Glaubensfanatismus und die Verherrlichung von Tod und Gewalt gefunden ist. Willkommen zur nächsten Umdrehung im Teufelskreis.

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