Flug MH 17:Bundesregierung warnte nicht vor Abschussgefahr

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Vor dem Absturz der Boeing 777 in der Ostukraine lagen deutschen Diplomaten Gefahrenhinweise vor. Drei Lufthansa-Maschinen überflogen am gleichen Tag das Gebiet.

Von Hans Leyendecker

Der Bundesregierung lagen vor dem Abschuss einer Boeing 777 der Malaysia Airlines über der Ostukraine im Juli 2014 klare Gefahrenhinweise vor, die sie nicht an deutsche Fluggesellschaften weitergegeben hat. Das berichten WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung mit Hinweis auf vertrauliche Berichte des Auswärtigen Amtes (AA). Bei dem Abschuss der Maschine mit der Flugnummer MH 17 waren am 17. Juli vorigen Jahres 298 Menschen ums Leben gekommen. An diesem Tag flogen auch drei Maschinen der Lufthansa über das Gebiet, eine nur zwanzig Minuten vor Flug MH 17. Es war Zufall, dass nicht eine Lufthansa-Maschine getroffen wurde.

In einem Drahtbericht, einer geheimen Nachricht, wenige Tage vor dem Abschuss hatten Diplomaten des AA die Lage in der Ostukraine als "besorgniserregend" bezeichnet. Als Grund für die Einschätzung wurde der Abschuss einer Antonov-Militärmaschine in Höhe von mehr als 6000 Metern genannt. Dies stelle "eine neue Qualität" dar. Der Abschuss eines Flugzeuges in dieser Höhe ist für Militärexperten ein klarer Hinweis, dass auch Ziele in größeren Höhen getroffen werden können, also auch eine Gefahr für zivile Passagiermaschinen besteht.

Dass die Luftsicherheit über der Ukraine nicht mehr gegeben sei, hatte auch der Bundesnachrichtendienst in seinen täglichen Berichten mitgeteilt. Üblicherweise müssen die Fluglinien umgehend über eine veränderte Sicherheitslage informiert werden. Dies geschieht in der Regel durch sogenannte warnende Kommunikate, die das Bundesverkehrsministerium den Airlines zuleitet. Doch dies geschah erst nach dem Abschuss der Boeing 777. "Fakt ist, dass uns keine Informationen vonseiten der Behörden vor dem 17. Juli vorlagen", betont ein Sprecher der Lufthansa. "Wenn die Bundesregierung unser Unternehmen mit der Bewertung ,neue Qualität' gewarnt hätte, wäre Lufthansa sicher nicht mehr über der Ostukraine geflogen", sagt ein Insider der Fluggesellschaft.

Der ausgebliebene Warnhinweis ist ein Detail einer knapp sechs Monate dauernden Recherche der Sender und der SZ. Fazit ist, dass es so gut wie keinen Zweifel mehr gibt, dass die Boeing 777 von einem Raketensystem zur Flugabwehr, einer Buk M1, aus dem Gebiet der Separatisten abgeschossen wurde. Zwei internationale Teams mit Ermittlern und Flugunfallexperten arbeiten an der Aufarbeitung des Falles.

Das Auswärtige Amt schweigt bislang zu der Frage der Verantwortung, das Bundesverkehrsministerium schreibt auf Anfrage: "Zu einer etwaigen Verschärfung der Sicherheitslage für zivile Überflüge über die Ukraine hatte die Bundesregierung vor dem Absturz des MH17-Flugzeuges keine Informationen." Intern entschuldigt sich die Bundesregierung damit, dass der Bundesnachrichtendienst anfangs davon ausgegangen sei, dass die vorausgegangenen Abschüsse von Militärmaschinen mit kleineren Abwehrraketen von der Schulter erzielt worden seien. In der Nachschau sieht man dies offenbar selbst als Fehler.

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