Flüchtlingspolitik:Merkel trennt sich von "Wir schaffen das"

Bundeskanzlerin Merkel besucht Flüchtlingsunterkunft

Der Sommer 2015 war die Zeit der Symbole: Angela Merkel mit einem Flüchtling beim Selfie.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Bundeskanzlerin Merkel hat mitgeteilt, künftig ohne ihren viel zitierten Satz "Wir schaffen das" auskommen zu wollen.
  • Mittlerweile sei dieser "zu einer Art schlichtem Motto, fast zu einer Leerformel" geworden, sagt Merkel und möchte ihn deswegen kaum mehr wiederholen.
  • Am Wochenende wurde Merkels neue Einordnung von "Wir schaffen das" allgemein als Entgegenkommen gegenüber ihren unionsinternen Kritikern gewertet.

Von Nico Fried, Berlin

Es kommt nicht so häufig vor, dass die Bundeskanzlerin ihr eigenes Scheitern einräumt. Keine drei Wochen ist es her, dass Angela Merkel (CDU) im Interview mit der Süddeutschen Zeitung ausführlich erläuterte, wie sie ihren vermutlich berühmtesten Satz gemeint habe: "Wir schaffen das." Gesagt hat sie ihn in Verbindung mit der Flüchtlingspolitik das erste Mal in ihrer Sommerpressekonferenz am 31. August 2015. Danach wiederholte sie ihn immer wieder, zuletzt in der diesjährigen Sommerpressekonferenz. Nun hat sie mitgeteilt, künftig ohne ihn auskommen zu wollen. Ihr SZ-Interview erscheint nun wie eine Art Abschiedsbrief.

In der jüngsten Haushaltsdebatte des Bundestages erschien Merkel erstmals ohne ihren Satz. Am Wochenende hat sie der Wirtschaftswoche erklärt, der Satz werde manchmal überhöht. Mittlerweile sei er "zu einer Art schlichtem Motto, fast zu einer Leerformel" geworden, sagt Merkel. Und deswegen möge sie ihn auch "am liebsten kaum noch wiederholen". Wäre Merkel mit ihrem Satz liiert, müsste man wohl davon sprechen, dass sich die Beziehung überlebt hat. Merkel und ihr Satz gehen nun getrennte Wege.

Mit dem Satz sei auch Europa gemeint

Überhöhung. Leerformel. Das sind interessante Worte, wenn man bedenkt, was Merkel selbst noch vor einigen Tagen alles in den Satz gepackt hat. Allein ihre Erklärung, wer mit dem Wort "Wir" gemeint sei, war recht umfänglich und hätte höher kaum ausgreifen können: "Ich meinte mich als Bundeskanzlerin, dazu alle Politiker, die den Anspruch haben, diese Aufgabe zu bewältigen, und natürlich meinte ich auch die vielen Ehrenamtlichen, die Hilfsorganisationen, die Wirtschaft und die übrige Gesellschaft, letztlich uns alle, denn Deutschland war und ist ein starkes Land." Gemeint sei aber auch Europa. "Und wenn Sie es noch weiter denken wollen, sind auch all die in das Wir einbezogen, aus deren Regionen die Flüchtlinge kommen. Also all jene, die mit dazu beitragen können und müssen, wenn es um die Bewältigung von Flüchtlingskrisen geht."

Wenn Merkel gehofft haben sollte, mit dieser ausführlichen Interpretation ihre größten Kritiker zu überzeugen, so war das ein Trugschluss. CSU-Chef Horst Seehofer hat bereits verkündet, dass er sich den Satz "beim besten Willen nicht zu eigen machen" könne. Sein potenzieller Nachfolger als bayerischer Ministerpräsident, Markus Söder, hatte wegen der sinkenden Zustimmungsraten für die Union wiedergeholt gefordert, es müsse heißen: "Wir haben verstanden und wir ändern das." Und auch der Koalitionspartner SPD, allen voran Parteichef Sigmar Gabriel, hatte kritisiert, es reiche nicht zu sagen "Wir schaffen das", man müsse auch sagen, wie.

Distanzieren will sich Merkel von ihrem Satz nicht

Sie alle können nun einen kleinen Erfolg feiern, weil Merkel ihren Satz ziehen lässt. "Manch einer fühlt sich von ihm sogar provoziert", sagt die Kanzlerin. "So war er natürlich nie gemeint, sondern anspornend, dezidiert anerkennend. Und zwar weil ich genau weiß, dass wir alle in unserem Land gemeinsam sehr viel zu schultern haben, aber dass sich das in den übertrieben oft wiederholten drei Wörtern nicht sofort abbildet." Auf die Frage, ob das heiße, sie distanziere sich von dem Satz, antwortete Merkel: "Nein. Es heißt, dass ich persönlich diesen Satz nicht wie eine Phrase jeden Tag immer wieder vor mir hertragen und wiederholen werde."

Am Wochenende wurde Merkels neue Einordnung von "Wir schaffen das" allgemein als Entgegenkommen gegenüber ihren unionsinternen Kritikern gewertet. Um die Annäherung von CDU und CSU vor dem Bundestagswahlkampf 2017 einigermaßen hinzukriegen, müssen beide Seiten Konzessionen machen, ohne dass die Vorsitzenden Merkel und Seehofer ihr Gesicht verlieren. Im Gegenzug ist nun zu erwarten, dass Seehofer der Kanzlerin im Streit um die Obergrenze für Flüchtlinge entgegenkommt - wenn auch umgekehrt wie Merkel ihm: Seehofer behält die Forderung rhetorisch bei, meint sie aber inhaltlich nicht mehr so.

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