Flüchtlingspolitik:Seehofer: Merkel riskiert Absturz

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Nach dem Wahldebakel fordert der CSU-Chef einen Kurswechsel. Die Kanzlerin will an ihrer Linie festhalten.

Von W. Wittl und A. Zoch, München

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Verluste für die CDU bei den Landtagswahlen am Sonntag auf die Flüchtlingsfrage zurückgeführt. Es sei "ein schwerer Tag für die CDU" gewesen, räumte Merkel am Montag in Berlin ein. An ihrer Flüchtlingspolitik will die CDU-Vorsitzende dennoch festhalten. CSU-Chef Horst Seehofer attackierte die Kanzlerin deshalb scharf: "Das ist eine Existenzfrage für beide Parteien (CDU und CSU), das ist keine Phrase", sagte er am Montag in München. "Aus dem Sinkflug kann ein Sturzflug und ein Absturz werden. Wir brauchen eine andere Politik."

Seehofer forderte Merkel zu einer grundlegenden Korrektur auf. Die Ursache für den Absturz sei "sehr eindeutig", sagte er. Der zentrale Grund ist die Flüchtlingspolitik. Es hat überhaupt keinen Sinn, da vorbeizureden." Das Land sei gespalten. Notwendig sei ein Signal an die Bevölkerung, "dass wir verstanden haben und dass wir aus diesem Wahlergebnis auch Konsequenzen ziehen". Seehofer sprach nach dem Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) von einer "tektonischen Verschiebung der politischen Landschaft in Deutschland". Die Fortsetzung der bisherigen Politik könne "dazu führen, dass sogar auf Bundesebene keine große Koalition mehr zu einer Mehrheit führt". Die Antwort könne nicht sein: "Die Politik ist richtig, und wir brauchen nichts zu ändern." Merkel indes warb weiter für Geduld: Sie sei "nach wie vor der Überzeugung, dass wir eine europäische Lösung brauchen", sagte sie. Zwar sei es gelungen, die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zu reduzieren. Die Last werde durch die Grenzschließung der Balkanstaaten aber nur auf Griechenland abgewälzt. "Die nachhaltige Lösung ist noch nicht vorhanden." Diese brauche Zeit. Merkel widersprach Seehofer in seiner Einschätzung, das gute Ergebnis für die AfD gefährde den Bestand der Union: "Ich sehe es nicht als existenzielles Problem der CDU, aber ich sehe es als Problem", sagte die Kanzlerin. Notwendig sei eine argumentative Auseinandersetzung mit der AfD, aber eine "klare Abgrenzung, was Kooperation anbelangt".

Am Mittwoch wollen sich die Unionsspitzen zu einem Gespräch im Kanzleramt treffen. Dort soll es neben der Wahlanalyse auch um den EU-Flüchtlingsgipfel mit der Türkei Ende der Woche gehen. Die CSU will der Kanzlerin klare Vorgaben mit auf den Weg geben. Die CSU lehnt eine EU-Vollmitgliedschaft sowie eine volle Visafreiheit in einem Vorstandsbeschluss ab. Auch müsse Merkel die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei deutlich ansprechen. Merkel betonte, die Gespräche mit der Türkei würden "ergebnisoffen geführt".

SPD-Chef Sigmar Gabriel wertet den Sieg in Rheinland-Pfalz als persönlichen Erfolg Malu Dreyers - und als Beweis, "dass die SPD gewinnen kann". (Foto: Markus Schreiber/AP)

In ihrer Wahlanalyse beschäftigte sich die SPD ebenfalls mit der Flüchtlingspolitik und der AfD. "Wir werden den Populisten nicht hinterherlaufen", sagte Parteichef Sigmar Gabriel. "Wir werden alles dafür tun, dass wir das demokratische Zentrum in Deutschland stabil halten." In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt hatte die SPD deutlich verloren, sie liegt dort hinter der AfD. "Die Stärke der AfD muss uns wirklich Sorgen machen", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die Partei müsse sich mit der AfD auseinandersetzen.

Die rechtspopulistische Partei sieht sich selbst in Konkurrenz zur SPD. "Wir wollen die Partei des sozialen Friedens sein", sagte Parteichefin Frauke Petry am Montag in Berlin. Ihr Vize Alexander Gauland sagte, die AfD wolle sich um jene Menschen kümmern, die das Gefühl hätten, "die Flüchtlinge nehmen ihnen etwas weg". Petry sieht sich in ihrem islamkritischen Kurs bestärkt: Der Islam sei ein Thema, "das emotional viele Bürger berührt". Die Partei richte sich in allen drei Ländern nun auf die Arbeit in der Opposition ein. Die Regierungsbildung wird schwierig, da die bisher regierenden Koalitionen in den Ländern keine Mehrheit mehr haben. In Sachsen-Anhalt ist nur ein Dreier-Bündnis aus CDU, SPD und Grünen möglich. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte, er wolle eine "Regierung der Mitte" bilden. Der Landesvorstand der Grünen in Sachsen-Anhalt sprach sich am Montagabend für Sondierungsgespräche mit CDU und SPD aus. In Rheinland-Pfalz strebt Malu Dreyer eine Ampel mit Grünen und FDP an. Die große Koalition mit der CDU sei nur "Ultima Ratio". Die FDP äußerte sich zunächst zurückhaltend. In Baden-Württemberg könnte der grüne Wahlsieger Winfried Kretschmann ein grün-schwarzes oder ein Ampel-Bündnis mit SPD und FDP schmieden. Für Letzteres sieht FDP-Chef Christian Lindner wenig Chancen, da der Ministerpräsident einen Politikwechsel mit der FDP zuvor ausgeschlossen habe. Einem vom unterlegenen CDU-Spitzenkandidaten Guido Wolf favorisierten "Deutschland-Bündnis" aus CDU, SPD und FDP erteilte der SPD-Landesvorstand am Montagabend eine Absage. Für Gespräche mit den Grünen zeigte sich Wolf offen.

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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