Hintergrund:Wie das Interview mit Finanzminister Schäuble ablief

Weekly Government Cabinet Meeting

Wolfgang Schäuble sprach mit der SZ über Flüchtlinge und mögliche Schritte nach den Übergriffen von Köln.

(Foto: Getty Images)

Und was passierte danach? Über das Hin und Her von Terminen, intelligentes Wortschlingen und sensible Korrekturschleifen.

Werkstattbericht von Cerstin Gammelin

Die finale Email kommt am Freitagmittag aus Brüssel, wo Wolfgang Schäuble gerade eine Pressekonferenz gibt. Der Sprecher des Bundesfinanzministers, der währenddessen noch ein letztes Mal das Interview seines Chefs prüft, teilt mit, an einer Stelle müsse aus dem Wort werden das Wort würden werden. Ansonsten sei alles alright: Das Interview mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist autorisiert. Zwischen der finalen Email und dem Zeitpunkt des Interviews liegen 66 Stunden.

Drei Stunden bleiben jetzt noch, um das Interview auf die Seite zu stellen, mit einer Überschrift zu versehen. Ein Kästchen zu Schäuble ist zu schreiben, ein Bild auszuwählen und mit passender Unterschrift zu versehen. Und in der Nachricht auf Seite 1 muss so sorgfältig wie unterhaltsam analysiert werden, was das, was Schäuble sagt, zu bedeuten hat für die Sicherheit im Land und für die Flüchtlinge, für die CDU und die Kanzlerin und natürlich auch wieder für Europa. Es ist die Antwort auf die große Frage zu destillieren, ob und wie lange noch die deutschen Grenzen offen bleiben werden. Es sind die letzten Handgriffe eines viertägigen Prozesses.

Kaffee? Tee? Wasser? Fangen wir an.

Am frühen Dienstagabend fahren zwei SZ-Redakteure zum Interview mit Wolfgang Schäuble ins Bundesfinanzministerium. Mit dabei ist auch Fotografin Regina Schmeken. Eine Stunde soll Zeit sein, später muss Schäuble zu einer Sondersitzung des Kabinetts. Der Terroranschlag in Istanbul. Dann dauert das Gespräch in Schäubles Büro doch länger, Bundesentwicklungshilfeminister Müller (CSU), der mit Schäuble noch vorab kurz sprechen wollte, muss in den langen Fluren des Ministeriums spazieren gehen. Schäuble hat viel zu sagen, er nimmt sich kaum Zeit für ein wenig Smalltalk vorneweg. Christine Lagarde, seine gute Freundin, die man am Morgen gesprochen hat, lasse herzlich grüßen. Aha, Danke. Kaffee? Tee? Wasser? Fangen wir an.

Der Bundesfinanzminister wirkt konzentriert, die Bewältigung der Flüchtlingskrise ist das wichtigste Thema, und zwar in all seinen Details. Was hat sich nach der Gewalt von Köln verändert? Kann es wirklich die von Bundeskanzlerin Merkel geforderte europäische Lösung geben - also, wann werden die europäischen Außengrenzen gesichert sein - oder rückt die Schengengrenze nicht doch einfach weiter ins Innere Europas bis an die deutschen Grenzen? Wird es eine EU-Flüchtlingsabgabe geben, um die europäischen Aufgaben gemeinsam zu finanzieren? Wie viel Unterstützung hat Merkel noch in der CDU - und warum steht er selbst, also Schäuble, hinter der Merkel'schen Linie: aus Loyalität oder aus Überzeugung? Wie lange dürfen Kriegsflüchtlinge wie Syrer bleiben und sollten Soldaten im Inland eingesetzt werden?

Am Morgen nach dem Interview schreiben die beiden Redakteure die Inhalte vom Band auf, darunter viele typisch Schäuble'sche Wortwindungen. In filigraner Kleinarbeit legen sie die Antworten auf entscheidende Fragen frei. Was Zeit braucht, weil Schäuble auch gern Jurist ist. Und weil er nach mehr als vierzig Jahren in der Politik nach Belieben als Kanzleramtschef, Innenminister oder Fraktionschef oder fast-Kanzler reden kann. Weil er gerne ausführlich erklärt, was er damals schon gesagt hat und dabei auch ins Lateinisch-Grundsätzliche wechselt, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt oder Luther zitiert bis ihm einfällt, dass Hölderlin besser passt.

Am Mittwoch kurz vor Mitternacht jedenfalls schicken die SZ-Redakteure das Manuskript an Schäubles Sprecher. Am Donnerstagnachmittag hat es Schäuble gelesen, der Sprecher noch ein bisschen mehr freigelegt, am Abend ist alles leserfreundlicher angeordnet, am Freitagmorgen fehlt nur noch eine Kleinigkeit, am Freitagmittag ist auch die erledigt.

Ein Verfahren, das es fast nur in Deutschland gibt

Die Autorisierung ist abgeschlossen. Das ist im Übrigen ein Verfahren, das es fast nur in Deutschland gibt. Die Politiker können ihre Aussagen präzisieren, streichen, kürzen. Manchmal bleibt vom eigentlichen Gespräch kaum etwas übrig. Für Reporter, die zuvor in Europa oder auch Amerika gearbeitet haben, ist der Vorgang höchst ungewöhnlich. Als Jean-Claude Juncker, der einst als Luxemburger Premier- und Finanzminister niemals auf die Idee kam, seine Interviews danach autorisieren zu wollen, dies im Amt als EU-Kommissionspräsident doch tun wollte, blitzte er bei dem Reporter der Financial Times kalt ab. Seine Zeitung interviewe alle Präsidenten der Welt und lasse Interviews selbst bei Barack Obama nicht noch einmal ändern. Also: Entweder ohne Autorisierung - oder gar nicht. Juncker entschied sich für seine frühere Gewohnheit.

In Deutschland ist es mit dem professionellen Vertrauen noch nicht so weit. Schäuble ist da keine Ausnahme: Übrigens, verlängert hat Schäuble das Gesagte nicht, es passt auf die Seite, die Blattplaner sind zufrieden. Freitagnachmittag 16 Uhr ist alles fertig. Immerhin 60 Minuten, bevor der Druck beginnt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: