Flüchtlingspolitik:Man handelt nicht mit der Familie

Flüchtlingsjunge im Diavata Camp in Griechenland

Die Flucht reißt vielen Familien auseinander.

(Foto: imago/ZUMA Press)

CDU und CSU fordern, Angehörige von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz weiter von Deutschland fernzuhalten. Das ist ein erschütternder Fehler.

Kommentar von Bernd Kastner

Gewiss, rückblickend kann man sie etwas besser verstehen. Jene, die vor zwei Jahren Angst hatten, dass via Familiennachzug zu den Hunderttausenden Flüchtlingen noch zwei- oder dreimal so viele dazu kommen. Die große Koalition hat im März 2016 den Nachzug zu jenen Flüchtlingen ausgesetzt, die nur subsidiären Schutz genießen, vor allem syrische Bürgerkriegsflüchtlinge sind das. Für eine Notlage vielleicht nachvollziehbar, falsch war es trotzdem. Wenn nun aber CDU/CSU fordern, engste Angehörige weiter fernzuhalten, ist das erst recht ein Fehler, ein, im Wortsinne, erschütternder.

Die Krise ist kein Argument mehr gegen den Familiennachzug. Diese Phase ist vorbei. Die Behörden von Bund, Ländern und Kommunen arbeiten, bei allen Unzulänglichkeiten im Alltag, wieder stabil; die unzähligen ehrenamtlichen Asylgruppen haben sich gefunden und etablierte Strukturen geschaffen, ohne die keine Integration funktioniert.

Die Familiennachzügler belasten Deutschland weniger, als sie der Gesellschaft helfen

Heute weiß man zudem, dass offensichtlich viel weniger Angehörige nachkommen wollen, als bisher erwartet. Von Millionen war vor zwei Jahren die Rede, in Boulevardmedien vor allem; selbst seriöse Quellen wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) oder der Bundesinnenminister gingen davon aus, dass pro Schutzberechtigtem ein, zwei, ja, drei Angehörige nachziehen. Dem ist offenbar nicht so, wie die aktuellen Zahlen von Auswärtigem Amt und Bamf nahelegen. Was nicht heißen soll, dass weitere 100 000 oder 200 000 Flüchtlinge eine Lappalie wären, die mit links zu integrieren wären.

Doch ganz unabhängig davon, wie hoch die "Nachzugsquote" ist, wie viele Familiennachzügler tatsächlich kommen: Sie belasten Deutschland weniger, als sie der Gesellschaft helfen. Man stelle sich einen syrischen Vater vor, der sich allein auf den Weg gemacht hat, weil er Frau und Kindern die Flucht übers Meer nicht zumuten wollte. Dieser Vater, der um seine liebsten in Aleppo bangt, hat keine Kraft fürs Deutschlernen, kaum Energie, sich auf sein Schutzland einzulassen. Er zählt die Stunden und Minuten bis zum nächsten Telefonat, bis zum nächsten Lebenszeichen seiner Familie.

Umgekehrt gilt: Eine Familie, die zusammenlebt, sich im Alltag unterstützen kann, weitgehend frei von Überlebens-Sorgen ist, stabilisiert nicht nur sich selbst. Sie hilft den anderen, zunächst in ihrer Flüchtlingscommunity und dann in der ganzen deutschen Gesellschaft.

Das Abwehrgesetz, euphemistisch "Asylpaket II" genannt, war schon in der Krisenzeit um die Jahreswende 2015/16 ein fataler Fehler, weil die Familie an sich viel zu grundlegend ist für die Stabilität des Landes. Man handelt nicht mit der Familie. Berlin hat damals einen Teil des ethischen Fundaments der Gesellschaft erschüttert; die Unionsparteien rütteln jetzt weiter daran.

Der Staat darf eine Familie nicht willkürlich und nicht absichtlich trennen, er darf sie auch nicht daran hindern, zusammenzufinden, wenn einer aus dieser Familie dem Krieg entkommen ist. Familie gibt Schutz, Familie braucht Schutz. Das steht nicht nur in der Verfassung, das ist ein christlicher Wert.

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