Flüchtlingspolitik:Griff in Merkels Lenkrad

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Baden-Württembergs Innenminister und CDU-Chef Thomas Strobl (li.) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). (Foto: Marijan Murat/dpa)

Mit seinem scharfen Asylpapier bestimmt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl den Kurs der CDU auf Bundesebene mit. In der grün-schwarzen Koalition in Stuttgart dürfte das zu Erschütterungen führen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Aus Sicht von Thomas Strobl findet politisches Handeln entweder "vor der Kurve" oder "hinter der Kurve" statt. In der Flüchtlingskrise war seine Partei demnach vergangenes Jahr bereits hinter der Kurve, als sie zu steuern und zu bremsen begann. Der CDU-Brummi schlingerte knapp am Totalschaden vorbei. Deshalb nimmt Strobl nun für sich in Anspruch, die CDU auf die nächste Kurve vorzubereiten. Er hat beim Bundesparteitag vergangene Woche eine drastische Verschärfung der Abschieberegeln ins Programm schreiben lassen: Abschiebehaft erweitern, Sozialleistungen kürzen. "Sehr gut und richtungsweisend" nennt Strobl den in Essen verabschiedeten Leitantrag mit Blick auf die Bundestagswahl 2017. "Er trägt die starke Handschrift der CDU Baden-Württemberg." Man könnte auch sagen: Strobl greift Angela Merkel ins Lenkrad.

Die Parteivorsitzende Merkel hat ihren Stellvertreter Strobl nach dem Wahlfiasko der Südwest-CDU ermuntert, mit Winfried Kretschmann eine Koalition zu zimmern. Strobl, damals Vize-Chef der Unionsfraktion im Bundestag, hatte zunächst wenig Lust auf Stuttgart, gekränkt von der Niederlage im Mitgliederentscheid um die Spitzenkandidatur gegen Guido Wolf. Jetzt macht Strobl Bundespolitik als Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident Baden-Württembergs. Was die Kanzlerin von seinem Asylpapier hält, das passagenweise Aufnahme im Leitantrag fand? In der Parteizentrale jedenfalls ist man, gelinde gesagt, verwundert. Als der Leitantrag im Bundesvorstand vorbereitet wurde, habe Strobl stillgehalten; der große Aufschlag mittels Bild am Sonntag kurz vor dem Parteitag habe wohl vor allem der Eigenprofilierung gedient.

Strobl lässt sich davon nicht beirren. Er habe an allen Asyl- und Sicherheitsgesetzen der vergangenen Jahre mitgewirkt, sagt er in seinem Amtszimmer, Blick hinein in den Schlossgarten. "Anfangs gab es immer Kriegsgeschrei bei SPD und Grünen und oft genug auch Stirnrunzeln bei manchen Parteifreunden. Am Ende wurde praktisch alles verabschiedet." Was Loyalitätsbekundungen für Merkel betrifft, lässt er sich weiterhin von niemandem übertreffen. Anderseits leugnet er nicht, dass er zu jenen zählt, die in der CDU den Abschied von Merkels Willkommenskultur deutlicher als bisher vollziehen wollen.

Die "neue Konsequenz" im Umgang mit ausreisepflichtigen Asylbewerbern - er spricht von einer halben Million im nächsten Jahr - soll konservative Wähler zurückgewinnen und die AfD einhegen. Er werde da hartnäckig bleiben, sagt Strobl und verweist auf eine Arbeitsgruppe mit ihm und Innenminister Thomas de Maizière, die sich fortlaufend mit dem Thema Rückführung befassen soll. Bei der Wiederwahl zum stellvertretenden Vorsitzenden erhielt Strobl nur 73 Prozent der Stimmen, doch in der Außenwirkung war das Asylpapier sein größter Erfolg seit dem Abschied aus Berlin. Es gab damit dem in der Südwest-CDU verbreiteten Ärger über Merkels Zögerlichkeit ein Ventil; ihre Schlappe bei der Suche nach einem Bundespräsidenten hatte den Unmut zusätzlich angefacht.

Der grüne Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand nennt das Strobl-Papier "schäbig"

Was Strobl wirklich antreibt? Vielen in der Landespolitik gilt er als sprunghaft. Einst Grünen-Fresser, dann Modernisierer mit liberalem Profil als Landesvorsitzender und Bundespolitiker, ein Grünen-Versteher in den Koalitionsverhandlungen. Nun wieder Hardliner? Strobl, sagt, er habe seine Haltung nicht korrigiert. Er plädiere seit jeher dafür, Schutzbedürftige mit offenen Armen aufzunehmen. "Ich erwarte aber nicht, dass alle am Münchner Bahnhof stehen und jeden Flüchtling mit Handschlag begrüßen." Dass er ursprünglich sogar forderte, kranke Asylbewerber abzuschieben, verweist er nun in die Kategorie der üblichen Zuspitzungen.

Solche Ideen kommen aus dem mit Personal und Kompetenzen aufgestockten Innenministerium. Als Staatssekretär, zuständig für innere Sicherheit, hat er Martin Jäger an seiner Seite. Der war zuvor Sprecher von Strobls Schwiegervater Wolfgang Schäuble im Bundesfinanzministerium. Dass letztlich Schäuble hinter dem Asylpapier stecke, bezeichnet Strobl als reine Spekulation, die er nicht kommentiere.

Einige Zeit kursierte in Stuttgart das Gerücht, Strobl wolle mit seinem Ministerium aus dem Stuttgarter Kessel hinauf in die Clay-Villa ziehen, Halbhanglage, gleich neben die Villa Reitzenstein, in der Kretschmann residiert. Das habe er zum Spaß einmal vorgeschlagen, sagt Strobl, aber die Anekdote passt zum Bild, das in Stuttgart von ihm gezeichnet wird: Von Details der Landespolitik halte er sich im Zweifel fern.

In Wahrheit hat die grün-schwarze Regierung drei Machtzentren, neben den Grünen und der Strobl-CDU auch die Landtags-CDU. Etliche Abgeordnete fühlen sich von Strobl übergangen bei der Besetzung von Ministerposten, andere sind bis heute der Meinung, man hätte die Verhandlungen mit den Grünen platzen und Neuwahlen anstreben sollen. Zum Vorsitzenden wählte die Fraktion Wolfgang Reinhart, einen alten Rivalen Strobls. Der ist in Stuttgart besser vernetzt als der Innenminister und müht sich mit Geschick, jedes Zugeständnis, das den Grünen abgerungen wird, als Erfolg der Fraktion darzustellen.

Thomas Strobl wird mit seinen Vorstößen zur Flüchtlingspolitik, seinem Markenkern, die Koalition noch manchen Erschütterungen aussetzen. Der grüne Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand nannte das Strobl-Papier "schäbig", Kretschmann legt Wert darauf, es habe nichts mit seiner Regierung zu tun. Strobl wiederum beharrt darauf, in Fragen der inneren Sicherheit seien Kretschmann und er "nicht weit auseinander". Jenseits solcher Sticheleien wissen auch die Grünen, dass Thomas Strobl ein Anker dieses Bündnisses ist. Nach dem Mord an einer Freiburger Studentin, mutmaßlich begangen von einem Asylbewerber, warnte er vor Verallgemeinerungen; die vom Bundesparteitag beschlossene Forderung nach Abschaffung des Doppel-Passes zählt nicht zu seinen Prioritäten. Er habe die Koalition mit den Grünen aus Verantwortung für das Land geschlossen, sagt Strobl. "Aber wenn man nach der Bundestagswahl sagt, das ist ein erfolgreiches Modell, würde mich das natürlich freuen."

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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