Flüchtlingspolitik:Die EU muss die Türkei zu einem guten Ort für Flüchtlinge machen

German Chancellor Angela Merkel visits Turkey

Angela Merkel und der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu versuchen, Lösungen für gestrandete Flüchtlinge zu finden.

(Foto: dpa)
  • Die Kanzlerin und die EU setzen in der Flüchtlingskrise auf die Türkei.
  • Ankara aber provoziert vor dem Treffen am Montag lieber statt sich als sichere Heimstatt für Flüchtlinge zu präsentieren.
  • Daran kann auch das Anlaufen erster EU-Hilfsprogramme wenig ändern.

Analyse von Stefan Braun

Sigmar Gabriel und Horst Seehofer drehen in diesen Tagen eine herrliche Volte. Noch vor dem EU-Türkei-Gipfel an diesem Montag erklären sie, dass man die große Wende, die viele von diesem Treffen erwarten, längst vollzogen habe. Gemeint ist die Wende in der Flüchtlingspolitik, auf die alle hoffen, die die Flüchtlingszahlen in Deutschland schnell senken möchten.

Beide beziehen sich auf die Tatsache, dass derzeit viel weniger Menschen eintreffen als im Herbst 2015. Und mindestens Seehofer möchte sich das auch persönlich ans Revers heften, weil Mazedonien an der Grenze zu Griechenland das tut, was er schon lange fordert: dafür zu sorgen, dass niemand mehr durch kommt. Das klingt wie ein Erfolg und ist doch nur eine Verschnaufpause. Vor allem aber macht es eine Einigung mit der Türkei noch lange nicht überflüssig.

Sicher, eine Wende hat es bereits gegeben. Binnen weniger Monate hat die große Koalition zwei Asylpakete und ein verschärftes Ausweisungsgesetz beschlossen. Nimmt man die drei Beschlüsse zusammen, dann hat es ein derart restriktives Flüchtlingsrecht in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg noch nicht gegeben. Wegen des großen Flüchtlingsandrangs hat sich die rechtliche Lage für viele Asylbewerber deutlich verschlechtert.

Im März 2016 herrscht eine Rechtslage, die im März 2015 undenkbar gewesen wäre

Die Zahl sicherer Herkunftsländer wurde erhöht; für Menschen "mit geringer Bleibeperspektive" wurden die Verfahren beschleunigt und besondere Aufnahmezentren eingerichtet; dazu wurden nach den Silvester-Ereignissen von Köln die Ausweisungs- und Abschieberegeln schärfer gefasst und zahlreiche Ausnahmen abgeschafft, die in der Vergangenheit wenigstens zu einer Duldung führten.

Im März 2016 herrscht eine Rechtslage, die im März 2015 undenkbar gewesen wäre. Wer das Wende nennt, liegt nicht falsch.

Trotzdem ist die so genannte große Wende bislang - ausgeblieben. Denn die national beschlossenen Asylrechtsänderungen ändern nichts daran, dass die Menschen in Ländern wie Syrien weiterhin aus größter Not aufbrechen. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass derzeit kaum ein Flüchtling die Grenze von Griechenland nach Mazedonien überschreitet. Die Schlepper und die Menschen werden sich Ausweichrouten suchen, ob nun über das Schwarze Meer und die Ukraine oder über Italien - beruhigt ist da also gar nichts.

Die Türkei muss zu einem hoffnungsvollen Zufluchtsort werden

Entscheidend für die große Wende wird also sein, ob es beim Treffen mit der Türkei gelingt, aus dem Land mehr als eine vorgelagerte Grenzstation der EU zu machen. Das Land muss glaubhaft und verlässlich mit so viel Technik und Finanzhilfen unterstützt werden, dass das Land zu einem hoffnungsvollen Zufluchtsort über Zeit werden kann. Das bedeutet: Die Türkei muss mit großzügiger Unterstützung der EU zu einem Land gemacht werden, das in der Lage ist, Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak Unterkunft, Verpflegung und - wahrscheinlich am wichtigsten - eine gute Ausbildung für ihre Kinder zu bieten.

Nur dann werden die Menschen in der Türkei bleiben, bis sie wieder nach Hause zurückkehren können. Wenn das mit einem entschlossenen Kampf gegen Schlepper und Kriminelle kombiniert wird, ist das richtig. Aber es muss Hand in Hand gehen. Sonst wird es nichts bringen.

Ob es gelingt? Noch sollte man sich da keine zu großen Hoffnungen machen. Zu viel wird noch immer über die europäische Grenzschutzagentur Frontex, über Nato, Schmuggler und Polizei geredet - und zu wenig über eine Aufwertung der Türkei als sichere Heimstatt. Ja, die Bundeskanzlerin hat Geld für die türkische Seite eingeworben. Und pünktlich zum Gipfel hat die EU am Samstag erste spürbare Hilfsmaßnahmen gestartet. Aber in ihrer Not setzt Angela Merkel nach wie vor mehr auf den Zaun namens Türkei.

Und die türkische Regierung nährt täglich neu den Verdacht, dass sie sich der EU vor allem aus taktischen Gründen andient und sich um die humanitären Aspekte der Aufgabe am Ende doch kaum kümmert. Dass sie ausgerechnet an diesem Wochenende eine der wichtigsten Zeitungen des Landes unter staatliche Kuratel stellt, bestätigt das auf dramatische Weise.

Der Weg also bleibt weit, auch unmittelbar vor dem Gipfel. Erst wenn Syrer und Iraker das Gefühl bekommen, in der Türkei ihre Zukunft nicht zu verspielen, erst dann kann irgendjemand in Ankara, Brüssel oder Berlin behaupten, die Wende zum Guten sei erreicht worden.

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