Flüchtlingspolitik mit Todesfolge:Unschuld des Mittelmeers, Schuld der EU

Mehr als 3000 Menschen sind dieses Jahr im Mittelmeer ertrunken - es sind dies die gezählten Toten. Und die EU-Flüchtlingspolitik? Leidet an Bürokratie, Heuchelei und Hinterfotzigkeit. Es ist zum Heulen.

Von Heribert Prantl

Zum Heulen ist das Elend der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa fliehen wollen. Zum Heulen ist auch die EU-Flüchtlingspolitik. Sie leidet an Bürokratismus, Heuchelei und Hinterfotzigkeit. Die EU hat den Landweg aus den Kriegsgebieten des Mittleren Ostens versperrt, unter anderem mit einem Sperrzaun in der Evros-Region zwischen Griechenland und der Türkei. Man zwingt Flüchtlinge so auf die nasse Fluchtroute übers Meer und vergießt dann, wenn sie dort ertrinken, Krokodilstränen. Die Internationale Organisation für Migration hat soeben mitgeteilt, dass in diesem Jahr schon 3072 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind; es sind dies die gezählten Toten.

Wenn es bei der Rettung des Euro so kläglich wenig Einsatz gegeben hätte wie bei der Rettung von Flüchtlingen: Es gäbe den Euro schon längst nicht mehr. Der EU-Grenzschutzagentur Frontex soll nun ein Miniatur-Rettungsprogramm "Triton" aufgepfropft werden. Man will nicht viel Geld dafür ausgeben, aber so tun, als täte man was. Das ist, so klagt die Hilfsorganisation Pro Asyl zu Recht, "Flüchtlingspolitik mit Todesfolge".

Es ist beschämend, dass die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU nicht einmal gewillt ist, die Kosten für das wunderbare, das grandiose bisherige italienische Rettungsprogramm "Mare Nostrum" zu übernehmen. 108 Millionen Euro jährlich würde das kosten - eine Investition, die Menschen rettet. Aber diese Menschen hätte man ja dann, so denkt wohl mancher im Stillen, auf dem Hals; die Geretteten müßte man aufnehmen und beherbergen. Absaufen lassen ist billig. Deswegen gibt es künftig nur ein Mare Nostrum light.

Pontius Pilatus war ein vergleichsweise mutiger Mann

Die Kosten des Gipfels der Staats- und Regierungschefs der Industriestaaten auf Schloß Elmau im Oberbayern am 4. und 5. Juni 2015 liegen ungefähr so hoch wie Kosten, die für die Rettung von ein paar tausend Flüchtlingen aufzubringen wären. sind. Ist politische Wellness wichtiger als die Rettung von Menschen?

Von der "Zuspitzung der Migrationsprobleme" schreibt Innenminister de Maizière in einem Brief vom an die EU-Kommissarin Malmström. Dann folgen die ewig gleichen, tumben Vorschläge: Bekämpfung der Schleuserbanden, besserer Schutz der EU-Außengrenzen, Rückführungspolitik. Die Abwehr von Flüchtlingen soll also noch perfektioniert werden.

Pontius Pilatus war ein vergleichsweise mutiger Mann. Europas Politiker waschen ihre Hände in Unschuld - sie waschen ihre Hände in dem Wasser, in dem die Flüchtlinge ertrinken.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: