Flüchtlingspolitik der CSU:Die CSU präsentiert ein AfD-Nachplapper-Papier

Abschluss Kabinettsklausur

Seehofers CSU macht es ganz wie die AfD, die sich auch nicht um Fakten und Evidenz schert.

(Foto: dpa)

Gerade erst hatte die Bundeskanzlerin zur verbalen Mäßigung aufgerufen. Da kommt die CSU mit Forderungen um die Ecke, die nichts anderes als eine Ohrfeige sind.

Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Keine 24 Stunden hat es gedauert, bis Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel zeigt, was er von ihrer gestrigen Aufforderung zur Mäßigung hält: Rein gar nichts. Das Papier, das der CSU-Parteivorstand am Wochenende zur Flüchtlingspolitik beschließen soll, ist jetzt an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist kein Papier der Mäßigung. Es ist ein AfD-Nachplapper-Papier.

Die Forderungen reichen von einer gesetzlichen Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr, über Transitzonen an der Grenze, der Zurückweisung von Ausländern ohne Bleiberecht bis hin zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, einem Burka-Verbot und einem "Einwanderungsbegrenzungsgesetz".

Alles gipfelt in der Aussage: "In Zukunft muss gelten: Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis." Und: "Wer auf Burka und Niqab nicht verzichten möchte, sollte sich ein anderes Land aussuchen." Das klingt nach mitternächtlichem Bierzeltbesuch. Grölende Zustimmung ist garantiert. Krachlederner lässt sich eine Position jedenfalls kaum vertreten.

Gerade erst hatte Angela Merkel verbale Abrüstung gefordert

Wie sagte Angela Merkel? "Politiker, die wie wir hier Verantwortung tragen, sollten sich in ihrer Sprache mäßigen." Denn: Wenn "auch wir anfangen, in unserer Sprache zu eskalieren", dann gewinnen die anderen. "Wenn wir anfangen, uns sprachlich und tatsächlich an denen zu orientieren, dann verlieren am Ende wir die Orientierung."

So gesehen ist das Papier eine schallende Ohrfeige für die Bundeskanzlerin. Die hat noch etwas gesagt: Dass nämlich "Sorgen ernst zu nehmen und das Erläutern von Fakten zwei Seiten ein- und derselben Medaille sind".

Seehofers CSU aber macht es ganz wie die AfD, die sich auch nicht um Fakten und Evidenz schert. Zum Beispiel das angekündigte Verbot der Vollverschleierung "wo es rechtlich möglich ist". Mit dem Zusatz, wer die Burka tragen wolle, sollte sich ein anderes Land suchen. Das Thema ist hochemotional, keine Frage. Die Sorge vieler Menschen ist: Laufen überall vollverschleierte Frauen herum, sind sie fremd im eigenen Land.

Nach einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge tragen aber 70 Prozent der muslimischen Frauen nicht mal ein Kopftuch. Die Vollverschleierung kommt praktisch nicht vor. Manche Islamwissenschaftler schätzen die Zahl der Burka-tragenden Frauen in Deutschland auf 100. Bei Niqab-Trägerinnen schwanken die Zahlen zwischen 100 und 300. Selbst im Berliner Wedding oder in Neukölln müsste Horst Seehofer einige Zeit warten, um eine vollverschleierte Frau zu Gesicht zu bekommen.

Die CSU ignoriert Fakten und redet den Leuten nach dem Mund

Gerda Hasselfeldt, mächtige Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, sagte am Mittwoch über ein Burka-Verbot: "Ich weiß sehr wohl, dass dieses kein Massenphänomen ist. Aber täuschen wir uns nicht, für die Bevölkerung ist es ein ernsthaftes Problem." 100 Burka-Trägerinnen in Deutschland sind nicht nur kein Massenphänomen. Sie sind gar kein Problem. Ein Verbot dürfte überdies nur dort möglich sein, wo die staatliche Neutralität oberste Priorität hat. Richterinnen etwa oder Lehrerinnen sollten sicher nicht in der Burka im Gerichtssaal oder vor der Klasse erscheinen.

Es spricht nichts dagegen, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen. Aber das bedeutet nicht, ihnen nach dem Mund zu reden, wenn faktisch gar kein Problem da ist. Oder das Lösungsangebot unredlich. Wie eine gesetzlich festgelegte Obergrenze von 200 000 Flüchtenden pro Jahr. Es kann ein politisches Ziel sein, dass nicht mehr als 200 000 kommen. Aber eine gesetzliche Grenze wäre in jedem Fall grundgesetzwidrig.

Wer mit solchen Vorschlägen die politische Debatte zu bestimmen versucht, der stärkt am Ende die AfD, aber nicht die eigene Position. Bisher haben alle Versuche der Union, die AfD rechts abzufangen, dazu geführt, dass die CDU verloren und die AfD gewonnen hat. Das war in Baden-Württemberg so, in Rheinland-Pfalz und jetzt auch in Mecklenburg-Vorpommern.

Sorgen werden gleichgesetzt mit echten Problemen

Das Papier der CSU ist in seinen Forderungen und - fast noch schlimmer - in seiner Tonalität, ein Eingeständnis, dass die AfD doch irgendwie recht hat. Und dass schon was dran ist an den oft irrationalen Sorgen und Ängsten vieler Menschen. Sorgen werden gleichgesetzt mit echten Problemen.

Nach dieser Logik müsste die CSU den Sorgen und Ängsten jener Menschen gleichermaßen begegnen, die an Chemtrails glauben. Also daran, dass die Kondensstreifen von Flugzeugen keine Kondensstreifen sind. Sondern von der CIA ausgebrachte Chemikalien, die das Bewusstsein der Menschen verändern oder einen Wetterkrieg auslösen sollen. Das ist natürlich Unsinn. Natürlich gibt es nachvollziehbare Gründe dafür, ein Problem mit Burkas zu haben. Nicht nachvollziehbar ist, warum so viel Energie darauf verwendet wird, ein Problem zu beheben, das keines ist.

Damit sich die Menschen ernstgenommen fühlen, sagt nun sinngemaß die CSU. Warum dann nicht auch Chemtrails verbieten? Ein abwegiger Gedanke? Nun, der umweltpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen, Martin Bäumer, wollte immerhin schon mal eine Studie in Auftrag geben, um das Thema aus der Welt zu schaffen. Das wäre vielleicht auch eine Idee für die Christsozialen: eine Studie, die die Verbreitung der Burka in Deutschland untersucht. Teile der Antwort dürften in der CSU Verunsicherung auslösen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: