Flüchtlingspolitik:Ein Deal mit der Türkei ist von allen schlechten Optionen die beste

Darf sich die EU mit Ankara verständigen? Gegenfrage: Gibt es eine Alternative? Wer keine Einigung will, muss wieder die Grenzen für Flüchtlinge öffnen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Zufall ist es ja nicht, dass die Türkei in der Europäischen Union als Partner erster Wahl keine Beliebtheit genießt. Der Umgang mit Regierung und Präsident ist kompliziert, die Interessen von Austria bis Zypern gegenüber diesem Riesenappendix im Südosten sind nicht in Einklang zu bringen.

Gleichwohl muss man nicht bis ins Jahr 330 nach Christus zurückgehen, um zu verstehen, dass Rom und Byzanz vulgo Brüssel und Ankara schicksalhaft miteinander verbunden sind.

Die Welt zerfällt heute zwar nicht mehr nur in Ost- und West-Rom, aber für die Europäische Union sind die Zustände in der Türkei dennoch von existenzieller Bedeutung. Nichts verkörpert diese antipodische Kraft besser als die militärische Rivalität zwischen Griechenland und der Türkei, die nur qua gemeinsamer Klub-Mitgliedschaft in der Nato gebändigt werden kann.

Antipoden sind Gegenfüßler, Menschen, die an gegenüberliegenden Punkten stehen und sich sozusagen mit den Füßen berühren. Die Flüchtlinge zwingen die Türkei und die EU nun, diese unbequeme Haltung aufzugeben. Aber: Darf Europa das? Dürfen die Deutschen das, wo doch die Türkei zunehmend unberechenbar und ihr Präsident immer autoritärer bis antidemokratischer agiert?

Ein Deal mit Ankara ist anrüchig. Aber gibt es eine Alternative?

Die Antwort liegt in der Gegenfrage: Gibt es eine Alternative? Nein, die gibt es nicht, denn weder kann und mag Europa (und Deutschland in seiner Mitte) all die Menschen aufnehmen, die auf sein Territorium drängen. Noch will es die Zustände ertragen, die es aus Lampedusa oder Idomeni auf den Bildschirm serviert bekommt.

Ein Deal mit der Türkei ist also unter allen schlechten Optionen die beste, weil er hoffentlich das Schlepperwesen eindämmt, den Flüchtlingen Schutz und Berechenbarkeit gibt, Europa nicht aus seiner humanitären Pflicht entlässt, aber gleichzeitig der Hysterie- und Weltuntergangsfraktion die Panik nimmt, die inzwischen zur Währung in einem schmutzigen politischen Geschäft geworden ist.

Sauber ist der Deal deshalb noch lange nicht, weil sich Europa seine Probleme auch ein Stück weit wegdelegiert und dabei mehr als nur ein paar Prinzipien seiner Ordnung ignoriert. Aber noch einmal: Gibt es eine Alternative zu besseren Konditionen?

Die Türkei möchte nicht als Marktplatz für den globalen Menschenhandel gelten

Wichtig im Umgang mit der Türkei ist dies: Ankara handelt nicht aus Großherzigkeit oder Mitleid. "Nur zwei Kräfte vereinen die Menschen: Angst und Interessen", wusste schon der Kaltblüter Napoleon Bonaparte.

Die Interessen der Türkei sind: internationale Anerkennung, Einfluss auf und Zugang zur EU und Unterstützung von außen. Das Land hat kein Interesse, als Marktplatz für den globalen Menschenhandel zu gelten. Und gut wäre es, wenn die Touristen eines Tages zurückkämen.

Europa ist also kein Bittsteller, eine Abhängigkeit besteht wechselseitig in dieser Beziehung zur Türkei. Damit lässt sich umgehen in der Politik. Wer, wie nicht wenige in der CSU, vor einem schmutzigen Deal warnt, der muss eben die Grenzen öffnen. Und wieder in Schwarz und Weiß denken.

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