Kurs von Horst Seehofer:Piesacken für Fortgeschrittene

CSU-Kongress zur Flüchtlingspolitik

CSU-Chef Horst Seehofer kann im Grunde kein Interesse daran haben, die CDU- geführte Regierung in Berlin zu schwächen. Doch er sieht das Land ins Chaos gleiten.

(Foto: dpa)

Seit Wochen schießt Bayerns Ministerpräsident gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Und er darf sich bestätigt fühlen. Fragt sich nur: Wie weit geht er noch?

Von Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl

Ganz Deutschland hinter Stacheldraht. Das Grundrecht auf Asyl - geschreddert. Sieben Millionen Fremde, die mit ihrer Anwesenheit die kulturelle Statik der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringen. Das sind Szenarien, wie sie derzeit in der CSU verbreitet werden. Sie machen vor allem nur eines: Angst. Wohlgemerkt, es ist nicht der Parteichef, der diese Drohkulissen aufbaut. Aber sie sind in seiner Partei verbreitet, zu sehr verbreitet. Und deshalb hat Horst Seehofer ein Ziel: Die Kanzlerin muss ihren Kurs ändern. Endlich soll sie einräumen, dass Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann. Um es klar zu sagen: Angela Merkel soll einlenken.

Seit Jahrzehnten ist die Verbundenheit der beiden Schwesterparteien CDU und CSU nicht mehr derart strapaziert worden wie seit der Flüchtlingskrise. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende probt den Aufstand. Es ist ein Machtkampf. Aber wie weit ist er bereit zu gehen? Will er Angela Merkel wirklich beschädigen - die Frau, von der er vor zwei Monaten sagte, mit ihr, und wohl nur mit ihr, sei die absolute Mehrheit bei der nächsten Bundestagswahl erreichbar?

Diese Woche in Ingolstadt, Kommunalgipfel mit dem bayerischen Ministerpräsidenten. Seehofer muss sich wüste Beschwerden anhören über "die da" in Berlin. Befragt nach seinem Verhältnis zu Merkel, sagt er im Anschluss: "Ach wissen Sie, die Kanzlerin und ich sehen das viel gelassener, als Sie das glauben." Vielleicht stimmt das. Der CSU-Chef kann nicht das geringste Interesse daran haben, Merkel zu schwächen, doch er hat eine Mission: Das Chaos, in das er die Republik abgleiten sieht, muss ein Ende haben. Und dafür muss die Kanzlerin sich bewegen.

Inzwischen gilt er sogar vielen in der CDU als Hoffnungsmann

Merkel hat sich seiner Meinung nach für die Vision von einem anderen Deutschland entschieden, einer Zuwanderer-Republik. Seehofer hält das für falsch. Er ist überzeugt, dass die Mehrheit der Bürger diesen Wandel nicht will. Er befürchtet eine Erosion in der Gesellschaft - und vor allem: in der Union. Von CDU-Mitgliedern aus anderen Bundesländern erreichen ihn Briefe, dass er für sie mitsprechen muss. Lange Zeit als bayerischer Polterer abgetan, gilt er inzwischen vielen aus der Schwesterpartei als Hoffnungsmann. Als die einzige laute Stimme, die gehört wird. Als einziger, der verhindern kann, dass dieses Land sich grundlegend verändert.

Das ist es, was Seehofer umtreibt. Dafür nimmt er sogar in Kauf, die Kanzlerin zu beschädigen. Seit Wochen verschärft er die Tonlage. Am Freitag drohte er Merkel mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, sollte der Bund nicht Maßnahmen ergreifen, um weiteren Zuzug zu begrenzen. Auch behalte sich Bayern vor, Flüchtlinge an den eigenen Grenzen zurückzuweisen. Bayern ist das Bundesland mit den höchsten Belastungen bei den Flüchtlingen. "Wenn wir die Grenzen nicht sehen, wird uns die Bevölkerung die Grenzen aufzeigen", sagt Seehofer.

So sehen also die nächsten Nadelstiche aus, mit denen Seehofer die Kanzlerin piesackt. Stacheldrahtzäune sind nicht dabei, auch bleibt das Asylrecht unangetastet und von sieben Millionen Fremden ist ebenfalls keine Rede. Diese Szenarien hatten andere in der CSU entworfen - und sie hatte Seehofer prompt zurückgepfiffen. Zwar benutzt auch der Ministerpräsident Begriffe wie "Notwehr", und er dreht die Schraube immer ein bisschen weiter. Er weiß aber, dass er nicht überziehen darf.

Seehofers Beliebtheitswerte nehmen zu, die der Kanzlerin sinken

Augenscheinlich gelingt ihm diese Gratwanderung bislang. So wurden anfangs verpönte Vorschläge von ihm später einhellig von SPD und CDU mitbeschlossen. Sogar von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier darf Seehofer sich bestärkt fühlen. "Wir können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren", schreiben sie im Spiegel. Seehofers Beliebtheitswerte in Umfragen nehmen stetig zu, während die der Kanzlerin sinken. Das Thema nützt ihm zur Profilierung. Auch in seiner Partei steht Seehofer unangefochten da wie nie. So gibt es für ihn keinen Grund nachzulassen. Er weiß: Die Zeit spielt für ihn. Es ist Mitte Oktober. Der Winter naht.

Zäune bauen?

Die Flüchtlingskrise beherrscht die Debatten - auch in der Redaktion der SZ. Zwei sehr unterschiedliche Sichtweisen von SZ-Redakteuren können Sie in der digitalen Ausgabe lesen: Marc-Felix Serrao propagiert für eine zumindest zeitweise Renaissance des Nationalstaats und für eine temporäre Rückkehr "zu deutschen Zäunen und Schlagbäumen". Christiane Schlötzer halt davon nichts.

Viele derzeitige Flüchtlingsunterkünfte sind dann nicht mehr geeignet. Noch mehr Turnhallen werden belegt werden müssen. Noch mehr Bürgermeister und Helfer werden klagen, dass sie nicht mehr können. Wie lange noch? Diese Frage wird immer lauter gestellt werden. Merkel wird sie beantworten müssen. Bald. Im März wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewählt. Die Länder können ihre Probleme nicht allein lösen, die wichtigen Entscheidungen müssen in Berlin getroffen werden.

Es ist der härteste Machtkampf, den Seehofer und Merkel bislang ausgefochten haben. Es wird Verletzungen geben. Seehofer ist sich sicher: nicht auf seiner Seite.

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