Flüchtlingskrise:Nato-Schiffe sollen die Ägäis überwachen

Griechenland, die Türkei und Deutschland initiieren den Einsatz. Er richtet sich gegen gut organisierte Schlepperbanden.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Der Durchbruch kam vor dem Abendessen. Den ganzen Tag über hatte Ursula von der Leyen (CDU) zwischen dem türkischen Verteidigungsminister Ismet Yilmaz und seinem griechischen Kollegen Panos Kammenos vermittelt. Die beiden Herren, wiewohl Nato-Verbündete, sollen das erste Mal direkt miteinander verhandelt haben. Am Ende stand am Mittwochabend ein Papier, das noch vor Kurzem für unmöglich gehalten worden wäre: Türken und Griechen schlagen darin zusammen mit Deutschland einen Nato-Einsatz gegen Schlepperbanden in der Ägäis vor. Erst am Montag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Ankara so eine Mission befürwortet und am Dienstag mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras telefoniert, um ihn ins Boot zu holen.

Am Donnerstagmorgen dann kann von der Leyen Vollzug melden. In der Sitzung der Nato-Verteidigungsminister sei die "große Unterstützung aller Alliierten zu spüren gewesen". US-Verteidigungsminister Ashton Carter spendet Glückwünsche. Die Verbündeten sind überrumpelt worden, aber die Aussicht auf türkisch-griechische Kooperation nimmt sie für das Vorhaben ein.

Flüchtlinge müssen nach Seerecht gerettet werden. Schiffe sollen sie dann in die Türkei zurück bringen

Von der Leyen spricht über jene 3000 Menschen, die bei gutem Wetter immer noch Tag für Tag von Schleppern in Schlauchbooten auf den Weg von der Türkei nach Griechenland geschickt werden. "Dahinter steht eine ausgedehnte Logistikorganisation und Infrastruktur hochkrimineller Art", sagt die Ministerin. "Wir können das nicht länger tolerieren. Wir können das vor allem gar nicht tolerieren zwischen zwei Nato-Staaten, nämlich der Türkei und Griechenland."

Bisher war es nicht gelungen, Türken und Griechen zu echter Zusammenarbeit im Kampf gegen die gut organisierten Schlepper im östlichen Mittelmeer zu bewegen. Ein Einsatz der EU-Grenzschutzagentur Frontex auch auf türkischer Seite wäre für die Regierung in Ankara nicht akzeptabel. Nun soll laut von der Leyen die Nato dafür sorgen, dass es wenigstens ein vernünftiges Lagebild gibt, das sowohl Türken als auch Griechen zur Verfügung steht. Die Schiffe dafür sind schon da. Ein ständiger Verband der Nato unter derzeit deutscher Führung befindet sich im östlichen Mittelmeer. Die Größe so eines Verbandes wechselt, normalerweise umfasst er drei bis sechs große Schiffe. Für die neue Aufgabe sind mehr Schiffe erwünscht. Eine Zusage kam umgehend aus Dänemark.

Das Tempo, mit dem die Mission auf den Weg gebracht wird, ist für Nato-Verhältnisse atemberaubend. Der oberste Nato-Kommandeur, US-General Philip Breedlove, soll umgehend mit den Planungen beginnen und hat den Marine-Verband bereits in Richtung Kreta beordert. Binnen 24 Stunden sollen die Schiff im Einsatzgebiet in der Ägäis ein. "Es geht nicht darum, Flüchtlingsboote zu stoppen oder zurückzudrängen", betont Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Aufgabe soll lediglich sein, den Seeraum zu überwachen und die Griechen, die EU-Grenzschutzagentur Frontex sowie die Türken mit "hochwertigen" Informationen zu versorgen. "Ich habe die Aufgabe bekommen, die Mission zu definieren, die Einsatzregeln und Instruktionen auszuarbeiten, also alles, was wir tun werden", berichtet Breedlove. Einzelheiten könne er noch nicht nennen. "Wir hatten hier eine wirklich schnelle Entscheidungsfindung, nun müssen wir uns an die militärische Arbeit machen."

Klar aber ist: Flüchtlinge müssen nach Seerecht gerettet werden - und sollen dann in die Türkei zurückgebracht werden. Dies war Voraussetzung für die Zustimmung der Nato-Partner. "Damit geht ein klares Signal aus an die Schlepperbanden", sagt von der Leyen. Flüchtlinge sollen nach ihren Worten selbst dann in die Türkei zurückgebracht werden, wenn sie von Nato-Schiffen in griechischen Hoheitsgewässern gerettet wurden.

Bemerkenswert ist die türkisch-griechische Einigung, weil beide Länder seit Jahrzehnten in einen Streit um Hoheitsrechte in der Ägäis verstrickt sind. Empfindlichkeiten konnten aber durch die Vereinbarung überwunden werden, dass türkische Schiffe des Nato-Verbandes nicht in griechische Hoheitsgewässer fahren und umgekehrt.

Damit, dass ein Mandat des Bundestages nötig werden könnte, rechnet Ursula von der Leyen nicht: Es handele sich "um eine reine Seeraum-Überwachung auf Nato-Gebiet". Kritik an der "Militarisierung" der Flüchtlingspolitik von Grünen und Linken wies sie zurück. In einer so außergewöhnlichen Situation können man "gar nicht genug Hilfe bekommen".

Allerdings wird von der Leyen auch Skepsis in der eigenen Partei überwinden müssen. "Das Flüchtlingsthema ist eine Aufgabe, die Europa mit seinen Institutionen und Instrumenten lösen kann und muss", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Norbert Röttgen (CDU), der Welt. Der EU-Grenzschutz genüge nicht, argumentiert von der Leyen. Man müsse sich auch um "Gegenküste" kümmern, und das gehe am besten unter dem Dach der Nato.

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