Flüchtlingskrise:Die gefährlichen Alternativen zur Westbalkan-Route

Flüchtlinge passieren Grenzzaun

Flüchtlinge versuchen, unter einem Stacheldraht die grenze zwischen Ungarn und Serbien zu überqueren.

(Foto: dpa)

Die Balkan-Route ist für immer mehr Flüchtlinge versperrt. Beobachter gehen davon aus, dass sich viele nun andere Wege nach Mittel- und Nordeuropa suchen werden. Gefährlichere Wege.

Von Marc Bädorf und Lukas Ondreka

Am Mittwoch haben Österreich und die Balkanstaaten beschlossen, Mazedonien bei den Kontrollen und der Registrierung von Flüchtlingen zu unterstützen. Doch schon jetzt ist die Balkan-Route für viele Schutzsuchende abgeriegelt. In Idomeni, dem wichtigsten Grenzübergang von Griechenland nach Mazedonien, dürfen inzwischen nur noch Syrer und Iraker weiterreisen. 3000 Afghanen sind dort gestrandet, da sie an der Grenze abgewiesen wurden.

Experten gehen davon aus, dass Flüchtlinge, denen die Balkan-Route verwehrt ist, sich auf alternativen Routen auf den Weg nach Mittel- und Nordeuropa machen werden. "Die Menschen werden sich nicht von Zäunen aufhalten lassen. Sie werden andere Wege suchen", sagt Neven Crvenkovic, Sprecher für das UN-Flüchtlingshilfswerk in Südosteuropa. Einige dieser Routen wurden bereits in der Vergangenheit benutzt, andere sind neu - gefährlich sind alle.

Karte Balkanroute

Die Balkan-Route ist fast dicht: Diese Routen könnten Flüchtlinge einschlagen.

(Foto: SZ.de)

Welche Routen könnten Flüchtlinge in Zukunft einschlagen?

  • Routen über Albanien: Das Land könnte zu einem wichtigen Transitland für Flüchtlinge werden, die in den Norden Europas wollen, sagt Leonard Doyle von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Genf. Von dort aus könnten sie nach Ansicht des Experten über Montenegro und Kroatien weiter nach Westeuropa fliehen - entlang der so genannten Adriaroute. Auch eine Reise über den Kosovo wäre möglich, da die Grenze zu Serbien kaum bewacht ist. Eine weitere Option sei auch die Straße von Otranto. Dort trennen nur 72 Kilometer Meer Albanien und Italien. Über die Meerenge flohen Zehntausende Albaner nach dem Fall des kommunistischen Regimes 1991 nach Europa.
  • Von Griechenland nach Italien: Von den Häfen in den griechischen Städten Patras und Igoumenitsa machen sich seit einiger Zeit nur noch wenige Flüchtlinge auf den Weg nach Europa. Doch das könnte sich ändern: Sollten Österreich und die Balkanstaaten die Grenzen weiter abriegeln, könnte die Überfahrt von Griechenland nach Italien für Schmuggler und Flüchtlinge wieder interessant werden. Karl Kopp, Europaexperte von ProAsyl, sieht ein "Comeback" der gefährlichen Route, die vor der Öffnung der Westbalkanroute im Sommer 2015 genutzt wurde.
  • Ostbalkan-Route: Wenige Flüchtlinge haben bisher Rumänien auf dem Weg nach Nordeuropa durchquert. Karl Kopp kann sich vorstellen, dass Schlepper Flüchtlinge in Zukunft verstärkt von Griechenland über Bulgarien in den Norden schicken. Damit würden wahrscheinlich auch mehr Menschen durch Rumänien fliehen. Auch eine Route über das Schwarze Meer hält er für möglich. 2014 gab es vereinzelte Versuche, über das Binnenmeer direkt aus der Türkei nach Rumänien zu gelangen. Das nächste Etappenziel der Flüchtlinge wäre Ungarn. Budapest hat indes angekündigt, einen Grenzzaun zu Rumänien bauen und so auch diesen Weg zu blockieren.

Wie gefährlich sind die neuen Routen?

IOM-Experte Leonard Doyle geht davon aus, dass aufgrund der Blockaden der Balkan-Route das Geschäft krimineller Schlepperbanden boomen wird: Wo es keine geduldeten Fluchtrouten wie im Fall von Mazedonien gebe, müssten Flüchtlinge nun gefährlichere Wege einschlagen - und sich dabei in die Hände von Schleusern begeben. Aus Bulgarien und Albanien gab es in der Vergangenheit bereits Berichte über Entführungen - und Polizeigewalt. "Wir erwarten schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen", warnt der IOM-Experte.

Überall in Europa könnten Geflüchtete dann an geschlossenen Grenzen sowie in Gefängnissen und Auffanglagern stranden. "Darunter werden die Schwächsten leiden - Frauen und Kinder", sagt Karl Kopp von ProAsyl. Wenn wieder mehr Menschen versuchen, Europa über das Meer zu erreichen, sei darüber hinaus zu befürchten, dass auch wieder mehr Flüchtlinge ertrinken oder in Containern auf Frachtschiffen ersticken.

Was bedeutet Grenzschließung auf dem Balkan für Flüchtlinge in Griechenland?

Trotz der Kälte und des unruhigen Meeres sind in diesem Jahr schon mehr als 100 000 Menschen vor allem aus der Türkei auf die griechischen Inseln übergesetzt. Wenn der Frühling kommt, dürfte diese Zahl wieder ansteigen - in Spitzenzeiten im vergangenen Oktober und November waren es bis zu 10 000 Menschen am Tag.

Wenn die Balkan-Route für viele Flüchtlinge dicht ist, wird es dann zu einem Rückstau in Griechenland kommen. Athen versucht nun, neue Aufnahmelager zu bauen. Ein erstes, noch nicht ganz fertig gestellt, wurde am Mittwoch nahe Thessaloniki eröffnet. Griechenland sieht sich von der EU im Stich gelassen: Ministerpräsident Alexis Tsipras hat angekündigt, keinem EU-Abkommen mehr zuzustimmen, "wenn die Last und Verantwortung nicht im richtigen Verhältnis geteilt" werde.

Auch Menschenrechtsaktivisten beurteilen die Lage als kritisch: "Für das kleine Land ist das zu viel", sagt Bernd Kasparek. Der Migrationsforscher beobachtet die Situation für die Nichtregierungsorganisation Bordermonitoring.eu in Athen. Schon jetzt seien die existierenden Camps heillos überfüllt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk geht sogar davon aus, dass die Aufnahmekapazität Griechenlands in wenigen Tagen erschöpft sein wird.

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