Flüchtlingskontingente:Ticket nach Deutschland

Wie lässt sich die Zuwanderung steuern? Forscher empfehlen Aufnahmeprogramme für Syrien-Flüchtlinge. Diese müssten allerdings am besten europaweit organisiert werden.

Von Martin Schneider, Berlin

Es ist wohl der Traum vieler Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien: nach Deutschland reisen. Ohne sich im Schlauchboot aufs Mittelmeer wagen zu müssen. Ohne lange Wanderungen auf dem Balkan. Ohne Stacheldraht an der ungarischen Grenze. Einfach per Flugzeug.

Fakt ist: Einige Tausend Syrer kamen so bereits in die Bundesrepublik - über sogenannte Aufnahmeprogramme. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen (SVR), in dem unter anderem die Bertelsmann-Stiftung oder die Robert-Bosch-Stiftung vertreten sind, hat am Dienstag in Berlin in einem Positionspapier dafür geworben, diese Programme auszubauen und weiterzuentwickeln. Neben der direkten Hilfe in den Krisenregionen und dem Asylverfahren sei dies ein dritter Weg, um Lösungen in der Flüchtlingsfrage zu finden.

Der Bund hat bisher bereits drei solcher Aufnahmeprogramme für insgesamt 20 000 syrische Flüchtlinge aufgelegt. Das erste startete im Mai 2013, das dritte im Juli 2014, mittlerweile sind die Kontingente des dritten nahezu ausgeschöpft. Im Rahmen dieser Programme konnten Flüchtlinge etwa in Libanon, in der Türkei oder in Ägypten Anträge auf Aufnahme in der Bundesrepublik stellen. Wenn sie bewilligt wurden, ging es mit dem Flugzeug nach Deutschland. Daneben haben die Bundesländer - außer Bayern - eigene Programme nach ähnlichem Modell geschaffen. Darüber kamen noch einmal 15 000 Syrer. Von den 300 000 Syrern, die zwischen Januar 2011 und September 2015 nach Deutschland kamen, sind damit also mehr als zehn Prozent als sogenannte Kontingentflüchtlinge direkt aus den Nachbarländern Syriens eingeflogen.

A Syrian Refugee Family Seeks A New Life In Hamburg

Getrennt geflüchtet, nun wieder vereint: Der Syrer Wael al-Awis umarmt seine Frau in Hamburg.

(Foto: Astrid Riecken/Getty)

Die Bundesrepublik hat bisher 300 000 Syrern Zuflucht gewährt

Die Forscher des Sachverständigenrats sehen mehrere Vorteile in solchen Programmen. Zum einen könne man die Schutzsuchenden in Deutschland fairer verteilen und mehr Frauen und Kinder aufnehmen. Auf der Balkanroute, derzeit der bevorzugte Weg syrischer Flüchtlinge nach Mitteleuropa, sind vor allem junge Männer unterwegs, die sich zutrauen, die harte und gefährliche Reise zu überstehen. Zum anderen würde man Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen. Und drittens könne man den Zuzug besser steuern und damit die überforderten Erstaufnahmeeinrichtungen entlasten, heißt es in den Handlungsempfehlungen der Sachverständigen.

Aber die Forscher erkennen auch Probleme bei der Ausgestaltung der Programme. So wurden Flüchtlinge bei den Bundesprogrammen vorrangig und bei den Länderprogrammen ausschließlich angenommen, wenn eine in Deutschland lebende Person - in den meisten Fällen ein Verwandter - sich verpflichtete, auf unbestimmte Zeit sämtliche Lebenshaltungskosten mit Ausnahme der medizinischen Versorgung zu übernehmen. Das war eine hohe Hürde, weil völlig unkalkulierbar ist, was das finanziell einmal bedeuten könnte. Zudem bringt diese Vorgabe Angehörige in die schwierige moralische Situation, zwar Tochter, Neffen oder Oma aus den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens holen zu können, aber nur, wenn sie finanziell für alles geradestehen, was in ferner Zukunft noch kommen könnte. Um solche Härten zu vermeiden, empfehlen die Forscher, solche Verpflichtungserklärungen zeitlich zu befristen.

Seehofer setzt Merkel unter Druck

Angesichts sinkender Umfragewerte für die Union verschärft CSU-Chef Horst Seehofer seine Angriffe auf Kanzlerin Angela Merkel. Ausschlaggebend für die Einbußen hält Seehofer die derzeitige Asylpolitik der Bundesregierung. Diese könne zu einer gesellschaftlichen Spaltung führen, sagte der bayerische Ministerpräsident am Dienstag. Die Bild-Zeitung hatte unter Berufung auf den INSA-Meinungstrend gemeldet, dass CDU und CSU nur noch auf 37 Prozent kämen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Dieselbe Zahl hatte bereits das Meinungsforschungsinstitut Emnid ermittelt. Das ist der niedrigste Wert für die Union seit mehr als zwei Jahren. Er gehe sogar davon aus, dass der tatsächliche Wert "jetzt schon tiefer" sei, als die Umfragen es ausdrückten, sagte Seehofer: "Die Union wird weiter abnehmen - CDU und CSU - das geht an beiden nicht spurlos vorüber." Merkel warf er indirekt vor, nicht Wort zu halten. Gemessen an der mit der CDU-Chefin getroffenen Vereinbarung zu Transitzonen für Flüchtlinge sei das bisherige Ergebnis "enttäuschend". Auf die Frage, wie lange er das noch mitmache, sagte Seehofer: "Das muss ich mit mir selber und mit guten Freunden ausmachen." Kritik der Opposition, dass er mit seiner Politik und Wortwahl rechtspopulistische Gruppen wie die AfD und Pegida erst stärke, wies der CSU-Chef zurück. Ausländerfeindliche und rassistische Äußerungen bei Pegida-Aufmärschen seien "völlig inakzeptabel", die CSU verurteile diese. Man müsse aber auch sehen, dass die derzeitige Zuwanderungspolitik völlig unabhängig von Pegida die Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung und Radikalisierung heraufbeschwöre. "Und dafür ist nicht jemand verantwortlich, der dies als Problem beschreibt, sondern die Verantwortung besteht bei der Politik, wenn sie das Problem nicht löst."

Wolfgang Wittl

Verwandte müssen sich verpflichten, für die Aufgenommenen aufzukommen

Wirklich die derzeit völlig ungesteuerte Asyl-Wanderung in geordnete Bahnen lenken könnten jedoch auch Aufnahmeprogramme nur, wenn die Kontingente so hoch sind, dass sie eine ernsthafte Alternative zur Flucht über Wasser und Land bieten - nach Ansicht der Forscher am besten europaweit organisiert. Allerdings sieht es derzeit nicht so aus, als ob sich die EU-Staaten auf ein solches Programm einigen könnten. "Wenn der gesunde Menschenverstand eine Rolle spielt, dann sollten die Europäer an solchen Möglichkeiten aber Interesse zeigen", sagte SVR-Geschäftsführerin Cornelia Schu.

Aber würden dann nicht noch mehr Menschen nach Europa kommen? Die Migrationsforscher des SVR kalkulieren anders: Biete man legale Möglichkeiten der Zuwanderung an, würden sich wohl weniger Menschen auf die ungeordnete Flucht nach Europa begeben. Allerdings: Daran, dass Aufnahmeprogramme der "flüchtlingspolitische Königsweg" seien, haben die Wissenschaftler auch ihre Zweifel.

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