Flüchtlingsdrama in Traiskirchen:"Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten"

Flüchtlinge in Österreich

Zeltlager mit gemischten Duschen: In Traiskirchen schlafen die Menschen in gespendeten Outdoorzelten.

(Foto: dpa)

Schlafen im Freien, zu wenig ärztliche Versorgung, und in den Bädern eine "Peepshow": Amnesty International prangert die verheerenden Zustände im Flüchtlingslager Traiskirchen an.

Von Cathrin Kahlweit, Traiskirchen

Dass sich ein reiches Land wie Österreich von Amnesty International (AI) vorhalten lassen muss, es verletze "fast alle menschenrechtlichen Konventionen", das kommt nicht alle Tage vor. Und es ist auch selten, dass dem Österreich-Generalsekretär von AI, Heinz Patzelt, bei einer Pressekonferenz die Stimme versagt. Aber als die Organisation am Freitagmorgen in Wien ihren Bericht über das Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge im niederösterreichischen Traiskirchen vorlegt, ist die Empörung mit Händen zu greifen.

Eine Untersuchungskommission von Amnesty hatte das Lager, das seit Monaten aus allen Nähten platzt, vor einigen Tagen besucht und eine schier endlose Liste an Missständen entdeckt: Für 1800 Menschen ausgelegt, hätten sich dort Ende Juli 4500 Flüchtlinge aufgehalten, zeitweilig hätten bis zu 1500 Menschen im Freien schlafen müssen. Es gebe nicht genug sanitäre Anlagen, für Frauen sei das Duschen in den gemischten Bädern eine "Peepshow". Es gebe zu wenig ärztliche Versorgung; die Menschen müssten in der Hitze stundenlang nach Essen anstehen, unbegleitete Minderjährige seien schutz- und obdachlos. Betreuung und Administration seien miserabel organisiert.

"Die Mängel in der Versorgung resultieren in einer unmenschlichen und menschenunwürdigen Situation für viele Asylwerber und Asylbewerberinnen", folgert Patzelt. "Ich habe so etwas in Österreich nicht für möglich gehalten." Er frage sich, ob die Flüchtlinge erst im großen Marmorsaal der Bundesregierung hausen müssten, bis etwas geschehe.

Die Probleme sind lange bekannt, geschehen ist wenig

Dabei ist allen Beteiligten - und vor allem den politisch Verantwortlichen - seit Monaten klar, dass etwas geschehen muss. Traiskirchen war schon früh im Jahr komplett überbelegt; hier wurden alle Flüchtlinge, die nach Österreich kommen, zuerst registriert und dann auf die Bundesländer und Kommunen verteilt. Da aber nicht alle Bundesländer die ihnen zugewiesene Zahl von Asylbewerbern aufnehmen und viele Kommunen sich nach wie vor schlicht weigern, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, tobt ein heftiger Streit über Quoten und Zuweisungen, über mangelnde Durchgriffsrechte des Bundes und unzureichende Entlastungsversuche.

Diskutiert wurden kurzfristige Lösungen - seien es die Öffnung von Kasernen oder dezentrale Zeltlager, weitere Aufnahmezentren in den Ländern und ein Bearbeitungsstopp für Asylanträge. Geschehen ist bisher konkret eher wenig: Zwar sind in zahlreichen Städten Zeltstädte entstanden, aber eine politische Lösung für das Unterbringungsproblem liegt nach wie vor in weiter Ferne. Der Vorstoß, ein neues Gesetz zu verabschieden, das dem Bund ermöglichen soll, in Ländern und Gemeinden in bundeseigenen Einrichtungen auch gegen deren Willen Flüchtlinge unterzubringen, ist gerade erst auf den Herbst verschoben worden.

Vor dem Bundesamt für Asyl schlafen die Menschen im Park

Den Flüchtlingen in Traiskirchen hilft die Dauerdebatte bisher nicht, die Kritiker als gewollte Abschreckungsmaßnahme, andere als pure Unfähigkeit der Verwaltung und der Innenministerin geißeln. Der Augenschein in Traiskirchen entspricht dem, was Amnesty International berichtet. Hunderte von Männern, Frauen und Kindern schlafen im Park vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auf dem Boden, auf Isomatten, unter Zeltplanen. Auf einem angrenzenden Gelände wurden Busse für jene aufgestellt, die aufgrund eines aktuellen Aufnahmestopps nicht mehr ins Lager dürfen; für sie sind sanitäre Anlagen und Nahrungsmittel noch schwerer zu erreichen, in den Bussen ist es glühend heiß.

Am Tor der Erstaufnahmestelle drängen sich Dutzende: Manche haben schon Papiere und dürfen hinein, andere haben keine und werden an die Busse verwiesen, viele sind neu und wissen nicht wohin, einige suchen einen Arzt. In der Pforte: zwei überforderte Mitarbeiter, die kaum eine Fremdsprache können und den Hilfesuchenden oft nicht klarmachen können, dass sie hier nicht durchgehen dürfen. Wohin dann? Heillose Verwirrung ist die Folge. Am Tor wirbt ein Plakat für die "freiwillige Ausreisehilfe". Davor haben sich missionierende Christen aufgestellt und halten den meist muslimischen Flüchtlingen Flyer entgegen, auf denen sie erfahren können, was die Bibel zu bieten hat.

Im Chaos bieten die Helfer sich gegenseitig Windeln an

Entlang der Einfriedung des riesigen Geländes reichen Helfer Zelte über den Zaun. "Die Leute brauchen alles, was Urlauber für einen Outdoor-Urlaub brauchen", sagt Patricia Laude aus Korneuburg bitter, die mit 170 Freiwilligen jeden Tag Hilfslieferungen zusammenstellt und ausliefert. Überall stehen Menschen und reichen aus ihren Kofferräumen Windeln und Kleider über den hohen Zaun, einige Frauen schauen gemeinsam mit Flüchtlingskindern, die hinter den Metallstreben auf Mauerabsätzen kauern, bunte Bilderbücher an. Irgendjemand hat Schuhe gebracht und sie vor der Mauer auf dem Boden ausgelegt, nun hocken Flüchtlinge in dem Schuhberg und suchen zusammengehörende Paare. Manchmal kommt es zu bizarren Szenen: Helfer bieten sich gegenseitig Wasser oder Windeln für die Kinder an, weil sie einander für Flüchtlinge halten.

Einen der schärfsten Kritikpunkte im Bericht von Amnesty International hatte die Leiterin der AI-Untersuchungskommission, Daniela Pichler, formuliert: Die Organisation sei mangelhaft, viele Missstände könnten durch besseres Management und durch Hilfe von außen behoben werden; die Behörden lehnten das aber ab. So hätten Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen angeboten, die Asylbewerber medizinisch zu betreuen, das sei nicht zugelassen worden.

Die Caritas hat einen Bus am Straßenrand stehen; an die Metallwand ist ein Schild geklebt: "Mittwochs Schuhe, Donnerstags Frauen, Freitags Männer". Hier werden Pakete mit Deo und Zahnpasta, Tampons und Rasierern verteilt; aufs Gelände dürfen "Unbefugte" aber nicht, selbst wenn sie nur helfen wollen. Das macht eine Verordnung klar: "U-Boote", die sich ohne Genehmigung auf dem Gelände aufhielten, würden hart bestraft.

Derzeit ist es in Traiskirchen heiß und trocken, das Gras ist verdorrt. Das Lagern und Schlafen im Freien ist hart, aber möglich. Nur: Was wird aus den Obdachlosen im Erstaufnahmelager Traiskirchen, wenn am Montag auch in Österreich der angesagte Regen kommt?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: