Flüchtlingsbetreuer:Und sie helfen immer noch

Flüchtlingsbetreuer: Vorführung für die Kanzlerin: Übung der Jugendfeuerwehr Berlin-Wedding, die eine eigene Flüchtlingsgruppe aufgemacht hat.

Vorführung für die Kanzlerin: Übung der Jugendfeuerwehr Berlin-Wedding, die eine eigene Flüchtlingsgruppe aufgemacht hat.

(Foto: Rico THUMSER /DJF)

Die Flüchtlingspolitik in Deutschland ist heftig umstritten. Trotzdem packen viele Ehrenamtliche an und helfen. Warum, das erzählen vier von ihnen.

Von Stefan Braun

Für die einen sind viel zu viele gekommen, die anderen würden in der Not noch mehr Menschen helfen. Im Umgang mit der Flüchtlingskrise stehen Gegner und Befürworter auch im Wahljahr unversöhnlich nebeneinander. Die Gesellschaft erscheint gespalten zwischen ganz links und ganz rechts, zwischen pro Asyl und pro AfD. Dazu passt, dass gut die Hälfte der Menschen eine Belastungsgrenze erreicht sehen. Das jedenfalls sagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Kein Wunder, dass Angela Merkel zuletzt Flüchtlingshelfer ins Kanzleramt einlud. Sie merkt, dass sie für diese Menschen was tun muss. Ein Heimspiel war es trotzdem nicht. Sie musste sich anhören, dass Behörden zu langsam arbeiten und vielerorts Wohnungen fehlen. Sie musste begründen, warum die Regierung Menschen in gefährliche Länder zurückschickt und zwischen Flüchtlingen vom Westbalkan, aus Syrien und aus Nordafrika unterscheidet. Merkel weiß, wie sehr das die Gesellschaft aufwühlt: "Das ist etwas, was wir so in unserem Land noch nicht erlebt haben."

Mittendrin sind die, über die kaum jemand spricht, obwohl sie die Arbeit machen. Die freiwilligen Helfer, die sich zu Zigtausenden um die Betreuung und Integration der Menschen kümmern. Über sie geht die politische Debatte hinweg. Wer sich nicht selbst engagiert oder einen kennt, der sich einsetzt, hat keine Ahnung, wie es Flüchtlingen und Helfern heute geht. Wir stellen vier von ihnen vor - mit ihren Zielen und Sorgen, ihrer Kritik und ihren Forderungen.

Ami Schütte, 27. Sie lebt im brandenburgischen Bad Belzig und engagiert sich seit drei Jahren im Projekt "People meet People" - Menschen treffen Menschen. Mit acht Freunden hat sie die Initiative im Herbst 2015 gegründet. Damals kamen binnen weniger Tage dreihundert Menschen; Bad Belzig ist eine Kleinstadt mit rund 11 000 Einwohnern. Ami und ihre Mitstreiter gaben sich einen Namen und organisierten einen Saal bei der örtlichen Arbeiterwohlfahrt. Sie wollten einen Ort der Begegnung. Zum Reden, zum Zuhören, zum besseren Verstehen, für die Flüchtlinge, aber auch für Alteingesessene aus Bad Belzig.

Der Anfang war schwer; sie unterschätzten vollkommen, wie wichtig es ist, den Flüchtlingen Zeit zu geben. "Wir wollten pünktlich anfangen, wir wollten gleich diskutieren, also haben wir am Tag X zur Uhrzeit Y eingeladen - und konnten das gleich wieder vergessen." Es folgten "kulturelle Anpassungen", Schütte lächelt bei dieser Einordnung. Seither sind die Treffen zur festen Einrichtung geworden. "Erst wird gemeinsam gekocht, dann gemeinsam gegessen, danach spielt irgendwer Musik - und dann fangen die Menschen an zu erzählen. Dann öffnen sie sich, berichten, schildern, was sie erlebt haben. Meistens bis spät in die Nacht." Hitzige Debatten habe es dabei schon viele gegeben. Offenen Streit aber nicht, da habe der geschützte Raum geholfen. Den wollen dann doch alle retten.

Noch immer sind fast 300 Flüchtlinge am Ort, auch wenn es großteils nicht mehr die gleichen Menschen sind, die damals ankamen. Nachdem bis zum Winter gut zweihundert auf andere Gemeinden verteilt wurden, kamen ebenso viele neu in die Stadt, weil ein Flüchtlingsheim in der Umgebung aufgelöst wurde. Das klingt, als seien Flüchtlinge in Bad Belzig willkommen. Ami Schütte aber erzählt, dass es "viele Verschlossene und eine rechte Bewegung" gebe. Man lebe "nebeneinander her", so sei das halt. Trotzdem will sie versuchen, auch mit denen, die alles ablehnen, ins Gespräch zu kommen.

ami schuette

Ami Schütte engagiert sich beim Projekt "People meet People"

(Foto: privat)

Ihr größtes Problem ist nicht der Protest, sondern der seelische Zustand vieler Geflüchteter: "Wir brauchen für die Traumatisierten mehr Hilfen, mehr Betreuung, mehr Psychologen." Nach wie vor gebe es sehr viele Traumatisierte und viel zu wenige Anlaufstellen. "Die, die im Heim leben, schaffen es oft nicht mal bis in die Beratungsstellen."

Die zweite ganz große Belastung seien die immer größeren Probleme und Behinderungen beim Familiennachzug. "Viele müssen noch immer jeden Tag um ihre Angehörigen in Syrien oder im Irak fürchten." Das sei schwer auszuhalten, für alle. Über diesen Teil der Politik, die Blockaden und Hürden ärgert sich Ami Schütte; gleichzeitig lobt sie die örtliche Verwaltung. Und die Leute vom Job-Center: "Sie kommen geduldig immer wieder, um zu beraten, zu helfen, um mit den Flüchtlingen nach Wegen zu suchen."

Die Initiative hat es seit dem Winter ein wenig leichter: Die Stuttgarter Robert Bosch Stiftung hat sie ins Förderprogramm "Neulandgewinner" aufgenommen.

"Wir wollten die Werte Deutschlands leben"

Hartmut Ziebs, 58. Er ist Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes. Mehr als 1,3 Millionen Menschen gehören seinem Verband an, in der Berufsfeuerwehr, bei den Freiwilligen und in den Werkfeuerwehren. In der schwierigen Phase im Herbst 2015 waren mehr als 50 000 von Ihnen rund um die Uhr im Einsatz. Zelte errichten, Betten bauen, Decken ausgeben, Wasser reichen. Der Verband war mittendrin; und ihr Präsident sagt: "Wir wollten die Werte Deutschlands leben."

Ziebs erzählt, dass zu Beginn Chaos herrschte, ein gewaltiges Chaos, aber das sei seiner Ansicht nach unvermeidlich gewesen. Mittendrin waren oft genug auch die eigenen Leute; in den ersten Wochen stellten die Feuerwehren nicht selten die Stabsstellen zur Verteilung der Menschen. "Es konnte sich keiner vorstellen, wie groß die erste Welle tatsächlich sein würde." Ziebs ärgert sich nicht über Merkels Entscheidung, die Menschen aufzunehmen. Er ärgert sich über jene, die sofort geschimpft, gelästert, protestiert haben. "Ich hätte mir gewünscht, dass alle Politiker und alle Verantwortlichen an einem Strang und in eine Richtung gezogen hätten."

Inzwischen machen die Feuerwehren anderes; die Zeltlager sind längst geräumt, die meisten Turnhallen sind es auch. Also bilden sie aus, laden ein in die Freiwilligen Feuerwehren, unterrichten Technisches, holen Flüchtlinge zum Sport und zu anderen Veranstaltungen. Außerdem überlegt der Verband, ob er mit seinen Senioren in den Sprachunterricht einsteigt. Und was ist Ziebs' größte Sorge? "Als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, haben wir die Notwendigkeit der Integration nicht erkannt. Das darf uns nie wieder passieren." Was hält er von der Kritik an der Flüchtlingsaufnahme? "Ich will nicht wissen, was nicht geht. Ich will wissen, was geht."

Anfeindungen erlebt Ziebs nicht, trotz seiner leidenschaftlichen Bereitschaft zu helfen. Aber er ahnt, dass das nicht die ganze Wahrheit sein kann: "Vielleicht sagt man mir auch nicht alles."

Flüchtlingsbetreuer: Hartmut Ziebs, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes

Hartmut Ziebs, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes

(Foto: Rico-Thumser.de; R. Thumser/DFV)

"Wir sind zu wenig Helfer. Die Stimmung kippt."

Monika Nickel-Schuhmacher, 54. Sie kümmert sich seit drei Jahren um Flüchtlinge in Weilrod in Hessen, eine Kleinstadt mit 6000 Einwohnern. Damals seien Menschen aus dem Krieg direkt nach Weilrod gekommen. Herzlich, unendlich dankbar, tapfer. Und dabei sofort gastfreundlich, obwohl selbst Großfamilien nur ein paar Quadratmeter Unterkunft zur Verfügung standen. "Ich dachte sofort: Was würdest Du Dir jetzt wünschen? Genau das versuchen wir seither."

Den Anfang machte eine Kleiderspende, daraus wurde die Leitung einer Kleiderkammer, dann half sie bei der Komplett-Ausstattung einer Gemeinschaftsunterkunft in einem kleinen Dorf der Umgebung. "Wir haben die Menschen teils mitten in der Nacht empfangen, mit Reis, Tee und Tomaten, mit Brot und Wasser, Töpfen und Geschirr." Die Kreisverwaltung habe Objekte angemietet, die noch gar nicht fertig gewesen seien. "Die Menschen kamen ins Nichts."

Bis heute helfen Nickel und ihre zehn Mitstreiter den Flüchtlingen bei mehr oder weniger allem, was anfällt. "Wir begleiten sie zum Arzt, wir füllen mit ihnen Anträge aus, wir helfen bei Geburten genauso wie bei der Arbeitssuche. Und dazu schlichten wir bei Streitigkeiten zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen." Nickel erzählt, dass sie und ihre Freunde allmählich auf dem Zahnfleisch daher kommen. "Wir sind zu wenig Helfer. Die Stimmung kippt."

Nickels größtes Glück? "Wenn jemand bleiben darf." Nickels größtes Problem? "Wenn Angehörige unserer Geflüchteten sterben - und wir nicht wissen, wie wir Trost spenden können." Ihr Zorn gilt jenen, die sich gegen die Flüchtlinge wenden. "Wir haben vor siebzig Jahren elf Millionen aufgenommen, da ging es allen viel schlechter."

Was sie nicht ertragen könne, sei das "menschenverachtende Wohlstandsjammern" derer, die sich in der Krise gegen die Flüchtlinge gestellt hätten. Die 54-Jährige bekommt Kritik und Aggression hautnah zu spüren. "Freunde, die sich abwenden; Kollegen, die sogar mit rechten Sprüchen provozieren'', das gehöre zum Alltag. Mit denen aber diskutiere sie nicht mehr. "Ich ziehe meine Konsequenzen."

Und was würde sie der Kanzlerin zurufen? "Sie hat viel zu langsam reagiert, als wir um Hilfe gebeten haben." Die Freiwilligen hätten viele Probleme früh angemahnt, seien aber nicht gehört worden. "Sie hätte zu ihrem Wort stehen sollen."

"Wir können nicht sagen, der Flüchtling ist weniger wert als der andere"

Leif Brändle, 27. Er ist der Ansprechpartner des "Freundeskreises Leutenbach und Winnenden". Hier kümmern sich mehr als 250 Ehrenamtliche um Geflüchtete. Begonnen hat in Winnenden die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit bereits 2009 mit verschiedenen Sprachangeboten. Im Herbst 2014 ist dann - mit den Begegnungsabenden, dem Garten ohne Grenzen und der Fahrradwerkstatt - der Freundeskreis Flüchtlinge entstanden. "Wir merkten: da kommen Hunderte zu uns - und bleiben eine fremde Welt, wenn wir nichts machen." Also bemühten sie sich um erste Begegnungen, wollten die Arme ausbreiten - und mussten lernen, dass das nur gelingt, wenn sich nicht alles nur um die Flüchtlinge dreht, sondern auch die Helfer sich öffnen. Von sich erzählen, also von den Wünschen, Ängsten, Hoffnungen, die auch Deutsche umtreiben.

Binnen Wochen ist daraus ein Netzwerk an Hilfen und Begegnungen entstanden. Beginnend mit dem "Cool Monday", dem "Wednesday Welcome", dem "Café International" und dem "Friendly Friday" - alles feste Abendangebote, bei denen die Türen für alle offen sind und Einheimische wie Geflüchtete erzählen, fragen, spielen und in Vorträgen die eigene Geschichte schildern. Hinzu kommen eine große Fahrradwerkstatt, ein "Garten ohne Grenzen", als Fluchtpunkt für jene, die in den Unterkünften kaum Raum für sich haben. Außerdem begleiten Brändle und seine Mitstreiter die Geflüchteten auf Ämter, zu Ärzten, zum Job-Center und zu Arbeitgebern.

Doch so groß die Begeisterung ist und so offen die Unterstützung der Stadt - die Stimmung bei den Helfern in Winnenden ist angespannt. Die Zahl der Ablehnungen nimmt zu, die Zahl der Abschiebungen ebenso. Brändle und seine Kollegen sind immer häufiger in der Situation, dass sie verzweifelten Familien erklären sollen, warum sie zurück müssen. "Uns schauen kleine Kinder in die Augen und sagen: aber da ist es doch lebensgefährlich." Brändle verlangt, dass Integrationsleistungen mindestens beim Bleiberecht "doch bitte mehr berücksichtig werden". Auch bei ihm steigt die Zahl der Fälle, in denen gut Integrierte von heute auf morgen gehen müssen. Vor allem Afghanen, in deren Herkunftsland die Lage alles andere als sicher sei.

Brändle allerdings sagt noch etwas anderes: dass ihm und seinen Mitstreitern so gar nicht einleuchtet, zwischen guten und schlechten, richtigen und falschen Flüchtlingen zu unterscheiden. Zu viele Fälle hat er erlebt, bei denen sich die Schicksale dramatisch ähneln. "Wir können das nicht. Wir können nicht sagen, der Flüchtling ist weniger wert als der andere. Ausgeschlossen."

freundeskreis leutenbach und winnenden

Mitglieder des Freundeskreises Leutenbach und Winnenden

(Foto: Timo Joos)
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