Flüchtlings-Demos in Cottbus:"Wir wollen die nicht. Schreiben Sie das"

In Cottbus demonstrieren fast 1000 Menschen gegen Hass, doppelt so viele gehen gegen Fremde auf die Straße. Wem gehört die Stadt? Die Menschen haben unterschiedliche Antworten.

Von Antonie Rietzschel, Cottbus

Wem gehört Cottbus? Die Antwort auf die Frage kommt an diesem Samstagvormittag laut und klar durch die Lautsprecheranlage: "Uns allen!" Mit "allen" sind die knapp 1000 Menschen gemeint, die sich auf dem Altmarkt der Stadt versammelt haben, um zu demonstrieren. Sie tragen Luftballons und Buttons mit einer weißen Blüte, darauf die Aufschrift "Gegen Hass". Unter ihnen sind alteingesessene Cottbusser und Flüchtlinge. Ein Syrer hat die Demonstration angemeldet, um ein Zeichen des Friedens in Zeiten großer Unruhe zu setzen. Seit Wochen kommt es immer wieder zu Angriffen. Flüchtlinge gegen Deutsche, Deutsche gegen Flüchtlinge. Fremdenfeinde und Rechtsextreme beschwören bürgerkriegsähnliche Zustände. Deutschlandweit ist die Stadt verschrien als braunes Nest.

Unter den Cottbussern, die zur Demo gekommen sind, ist viel Frust zu spüren über die Berichterstattung der letzten Tage. "Fremdenfeindlichkeit ist ein Problem in ganz Deutschland, nicht nur in Cottbus", sagt ein älterer Herr, der sich in der Stadt engagiert. Damit hat er Recht. Doch in Cottbus gibt es seit Jahren eine gut vernetzte rechtsextreme Szene - mit Überschneidungen zwischen der Hooligan und- Kampfsportszene.

Hinzu kommen gute Verbindungen zu der Identitären Bewegung (IB). Deren Brandenburger Regionalchef studiert in Cottbus. Die Mitglieder der IB verstehen es, den Unmut von Bürgern für sich zu nutzen. Der lokale Ableger "Ein Prozent" hat Cottbus bereits zur möglichen "patriotischen Hochburg" ausgerufen. "Ein Prozent" unterstützt den Verein "Zukunft Heimat", der am 20. April eine ziemlich erfolgreiche Kundgebung abhielt. 1000 Teilnehmer kamen, darunter besorgte Bürger - aber auch Rechtsextreme.

Ein Hilferuf in Richtung Landespolitik

Hans-Christoph Berndt ist Vorsitzender des 2015 entstandenen Vereins "Zukunft Heimat". Er steht an diesem Vormittag am Rand der Demonstration "Gegen Hass" und erzählt von der Angst, die die Cottbusser angeblich hätten, "vor Flüchtlingsgruppen". Auch er fühle sich nicht mehr sicher, schaue, welche Wege er gehe, sagt Berndt. Auf dem Altmarkt stehen mehrere Gruppen Geflüchteter, vor allem junge Männer mit einheimischen Cottbussern zusammen. "Angst? Woher denn", sagt eine ältere Frau.

Wie von selbst kommt das Gespräch auf das Blechen Carré. "Ich bin da jeden Tag und ich habe noch nie Angst gehabt." Das Einkaufszentrum war in den vergangenen Wochen Schauplatz von Konflikten zwischen Geflüchteten und Einheimischen. Am 12. Januar zückte hier ein 14-jähriger Syrer ein Messer und bedrohte ein Ehepaar. Fünf Tage später soll ein weiterer Flüchtling einem jungen Deutschen mit dem Messer eine Wunde zugefügt haben.

Oberbürgermeister Holger Kelch nutzte die Vorfälle, um einen Hilferuf Richtung Landespolitik zu senden. 4300 Geflüchtete seien zu viel für die Stadt mit 100 000 Einwohnern. Die Stadt nimmt derzeit keine Flüchtlinge mehr auf. Cottbus bekam mehr Polizisten. Außerdem sollen mehr Sozialarbeiter eingesetzt werden. Auffällig ist die Unwucht in der Debatte. Nach fremdenfeindlichen Demonstrationen am 20. Januar verurteilte der Bürgermeister den Rassismus "einiger" - aber im Kern ging es immer wieder um die "Belastung", die durch die Flüchtlinge entstehe.

Kaum einer spricht noch von dem Angriff auf drei Geflüchtete in der Silvesternacht. Sie suchten Schutz in ihrer Unterkunft - doch der Wachdienst soll auch die Angreifer hineingelassen haben. Der Vorfall ist kein Thema mehr, dafür jede Schlägerei zwischen Geflüchteten. Ein Streit zwischen zwei Syrern schafft es in die überregionale Presse. Schauplatz ist mal wieder das Blechen Carré.

In dem Einkaufszentrum treffen sich nachmittags regelmäßig Jugendgruppen. Deutsche mit Deutschen, Syrer mit Syrern - manchmal sind die Gruppen gemischt. Sie sitzen quatschend auf den Bänken oder starren auf ihre Handys. Die Polizei patrouilliert jetzt regelmäßig gemeinsam mit dem Ordnungsamt. Einem Teenager steigt die Schamesröte ins Gesicht, als er einem Beamten in schwarzer, martialisch aussehender Uniform den Ausweis zeigen muss. Schließlich soll er seine Tasche ausleeren.

Tarek und Ammar stören die Kontrollen nicht. "Die überprüfen auch Deutsche. Das ist fair." Die beiden Jugendlichen kommen regelmäßig ins Blechen Carré. Sie sitzen mit gesenkten Köpfen auf einer Bank. Bloß nicht auffallen. Denn sie fühlen sich längst nicht von allen Cottbussern fair behandelt. Die Anfeindungen haben seit den Vorfällen stark zugenommen, das erzählen Einheimische und Geflüchtete gleichermaßen. Tarek und Ammar berichten von den letzten Tagen: "Ich wollte ins Fitness-Studio - dann hat mich einer angespuckt. Vorhin meint einer zu mir: Was guckst du so blöd", sagt Ammar. "Scheiß Ausländer. Geh zurück nach Syrien", das seien die üblichen Sprüche, sagt Tarek, der gerade seinen Hauptschulabschluss macht. Und immer wieder die Frage: "Na Syrer, wo ist dein Messer?" "Sie geben uns allen die Schuld für die Tat Einzelner", sagt Tarek. "Ich sage doch auch nicht, dass alle Deutschen Nazis sind."

Nach den letzten Wochen ist die Verunsicherung in Cottbus groß. Wem gehört die Stadt - oder vielmehr: Wer prägt sie? "Sicher nicht die Rechtsextremen", sagt Julia Kaiser. "Heimat und Herz" heißt das Café, in das sie zum Gespräch bittet. Die 30-Jährige hat den Ort bewusst gewählt. Bei "Heimat und Herz" können die Kunden nicht nur Kuchen und Brot aus eigener Herstellung essen und kaufen. Im Regal stehen Honig, Öl, Kaffee, Marmelade und Gin made in Cottbus. "Es ist ein Ort, der zeigt, dass es hier Menschen gibt, denen die Region wichtig ist - ohne sich als Patrioten aufzuspielen." Julia Kaiser bestellt sich die Tagessuppe, und setzt sich an den Holztisch am Fenster.

Sie ist über Umwege nach Cottbus gekommen. Geboren in Österreich, lebte sie in der Türkei, in Australien, in Tschechien. Vor sechs Jahren zog sie für ihren Masterstudiengang nach Cottbus - und blieb. Obwohl sie sich selbst die "schöneren Ecken der Stadt schön reden musste ", wie sie sagt. Cottbus ist ihr Zuhause geworden, das sie gegen Zuschreibungen verteidigt, wie sie in den letzten Wochen zu lesen waren: "Das hier ist keine Nazi-Stadt. Natürlich gibt es hier eine starke rechtsextreme Szene - aber es gibt auch so viele Menschen, die sich den Arsch aufreißen."

"Die Leute sehen die Straße als ihr einziges Forum"

Wer mit Julia Kaiser in der Stadt unterwegs ist, sieht diese Menschen. Sie grüßen sie, bleiben für einen kurzen Plausch stehen. Selbst durch das Fenster von "Heimat und Herz" winkt ihr von draußen eine Frau zu. "Cottbus ist klein, dafür gibt es ein gutes Netzwerk aus Engagierten. Man kann gut was reißen", sagt sie. Kaiser selbst hat einen Umsonst-Laden in der Stadt eröffnet. Mithilfe von urban gardening soll in Cottbus ein Stadtgarten entstehen, ein Herzensprojekt.

Leider hat Julia Kaiser gerade nicht viel Zeit, wegen ihrer eigentlichen Arbeit. Sie betreut für den Paritätischen Wohlfahrtsverband das Sprechcafé in Cottbus. Drei Mal in der Woche treffen sich Cottbusser Einheimische, Geflüchtete und anderweitig Zugereiste, um zu reden - oder um "Mensch ärgere dich nicht" zu spielen. Allein zum Sprechcafé im Stadtteil Sandow kommen durchschnittlich 40 Menschen. Letztes Mal saß Kaiser, die gebürtige Österreicherin mit einem Kanadier und einem Syrer am Tisch. "Wir hatten alle völlig unterschiedliche Hintergründe. Was uns aber verband, war, dass wir doch irgendwie versuchen, hier anzukommen."

Kaiser findet Begegnung wichtig. Sie hat auch schon eine neue Idee für ein Projekt: Ein Bürgerforum bei dem aktuelle Stadt-Themen besprochen werden. "Die Leute haben das Gefühl, nicht gehört zu werden - und sehen die Straße als ihr einziges Forum", sagt sie. Man müsse den Leuten das Gefühl geben, dass man sich auch um sie kümmere. "Es reicht nicht, nur die Fassaden der Stadt schön zu machen", sagt sie und zeigt auf die hübschen Häuser der Fußgängerzone.

Die Straßen von Cottbus. Sie sind an diesem Samstag auch wieder Schauplatz für die Unzufriedenen in der Stadt. "Zukunft Heimat" hat an diesem Samstag ebenfalls eine Kundgebung angemeldet. Es sind mehr Menschen gekommen als am Morgen. Etwa 2000 drängen sich auf dem Oberkirchenplatz. Frauen und Männer in bunten Jacken sind zu sehen. "Einfache Bürger", wie sie sagen. Aber auch viel "Thor Steinar", eine unter Rechten bevorzugte Modemarke. Wer hier denn zur rechtsextremen und gewaltbereiten Szene gehöre - die Frage einer Rednerin ist eine ironische Anspielung auf die Berichterstattung. Ganz ernsthaft recken sich einige Arme in die Höhe.

Hans-Christoph Berndt, der Vorsitzende des Vereins "Zukunft Heimat", betont in Interviews immer wieder, dass sich die Demonstrationen allein gegen die Asylpolitik Merkels richten, nicht gegen Geflüchtete selbst. Und ja, er finde es unfair, alle Asylsuchende für die Vorfälle in Cottbus verantwortlich zu machen. Ein Widerspruch zu dem, was an diesem Nachmittag zu hören ist. Die Redner beschwören Bilder von "Gruppen angeblicher Schutzsuchender", die bewaffnet durch die Stadt laufen würden. Frauen seien für sie "Beute".

Wem gehört Cottbus? "Den Bürgern", sagt ein Rentner, der am Rand der Kundgebung steht. "Und nicht sowas, was sich jetzt hier rum treibt", sagt er. Mit "sowas" meint er Flüchtlinge. "Wir wollen die nicht. Schreiben Sie das. Wir wollen nicht, dass unsere Frauen und Töchter hier mit Messern bedroht werden." Sätze wie diese sind schockierende Normalität unter den Demonstranten, die sich hier eingefunden haben. Je länger man sich mit den Leuten unterhält, desto tiefer der Einblick in die Gedankenwelt. Erst heißt es, Kriegsflüchtlinge hätten ein Recht hier zu sein. Im Laufe des Gesprächs werden sie zu Feiglingen, die ihre Familie in ihrer Heimat zurück gelassen haben. Dann ist nur noch die Rede von "denen" und "Messern".

Am späten Nachmittag sind die Demonstrationen in Cottbus vorüber. Die Straßen und Plätze leeren sich. Alles blieb friedlich. Und jetzt? Hat Tarek, der junge Syrer, der regelmäßig im Einkaufszentrum abhängt, nie daran gedacht fortzuziehen? "Nein, ich lasse mir doch nicht von ein paar Nazis die Zukunft verbauen!" Julia Kaiser im Café "Heimat und Herz" sitzt hinter der Glasscheibe und nickt Richtung Fußgängerzone, wo Mädchen lachend mit Kaffeebechern vorüber laufen. "Vielleicht wird es noch mal knallen - aber das Leben geht immer weiter."

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