Flüchtlinge:Zweifelhafter Bericht schürt Ängste unter Russlanddeutschen

Demo von Russlanddeutschen gegen erfundene Vergewaltigung

Demo von Russlanddeutschen wegen einer vermeintlichen Vergewaltigung - und gegen Flüchtlinge. Hier in Villingen-Schwenningen.

(Foto: dpa)

Ein russischer Sender berichtet von der Vergewaltigung eines Mädchens. Die Polizei sagt, es war keine. Doch da ist die Empörung nicht mehr aufzuhalten.

Von Benedikt Peters

Auf ihren Bannern steht "Hände weg von meinem Kind" und "Lisa wir sind mit Dir." Und sie schreien Parolen: "Wir sind gegen die Flüchtlinge!" "Wir sind Deutsch!" So zeigt es ein Video, das ein sogenannter "Internationaler Konvent der Russlanddeutschen" ins Netz gestellt hat. Die bisher unbekannte Gruppe hatte am Wochenende zusammen mit "Bärgida", dem Berliner Pegida-Ableger, zum Protest vor dem Kanzleramt aufgerufen, die Polizei zählte 700 Menschen.

Darunter waren der Sprache nach zu urteilen, nicht nur die üblichen Pegida-Schreihälse, sondern auch einige Menschen russischer Herkunft. Medien berichteten zudem, es habe sich überwiegend um Russlanddeutsche gehandelt, um deutschstämmige Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die nicht nur nach, sondern auch schon vor den politischen Umbrüchen 1990/91 nach Deutschland übergesiedelt sind. Sie demonstrierten nicht nur in Berlin. In Villingen-Schwenningen waren es 1300, in Schweinfurt noch mal 700. In Ellwangen bei Stuttgart zogen 500 vor ein Flüchtlingsheim. Überwiegend in Süddeutschland, wo die meisten von ihnen leben, gingen mehrere Tausend Russlanddeutsche gegen Flüchtlinge auf die Straße.

Geht Pegida also nun ein Bündnis mit Immigranten ein, um Stimmung gegen andere Immigranten zu machen? So einfach ist es nicht. In diesem Fall hat das russische Fernsehen aufgewiegelt.

Aufs Bett geschmissen und 30 Stunden lang vergewaltigt?

Der Sender "Perwij Kanal" zum Beispiel verbreitete vor einer Woche einen Videobeitrag über eine Entführung und Vergewaltigung in Berlin. Die Polizei sagt, dass beides nie stattgefunden hat. Es geht um eine 13-jährige Schülerin aus Marzahn, die aus einer russlanddeutschen Familie stammt. Sie verschwand am 11. Januar, nach einem Tag tauchte sie wieder auf.

Ihre Tante erzählt im Sender "Perwij Kanal", ein "Mann arabischen Aussehens" habe das Mädchen entführt, mit zwei ausländisch aussehenden Komplizen "auf ein Bett geschmissen" und es "30 Stunden lang" vergewaltigt. Die rechte Gruppe "Anonymous Kollektiv" (mit der Hackergruppe hat es nichts zu tun) verbreitete das Video mit deutschen Untertiteln auf Facebook. Gegen Ende enthält es eine Sequenz, in der es heißt, solche Taten seien derzeit in Deutschland keine Einzelfälle. Als Beleg wird ein dunkelhaariger Mann gezeigt, der gebrochenes Deutsch mit schwäbischem Einschlag spricht und mit einer Vergewaltigung prahlt. Was der Sender verschweigt: Das Video des Mannes wurde schon 2009 bei Youtube hochgeladen.

Die Berliner Polizei ist davon überzeugt, dass weder die Entführung noch die Vergewaltigung stattgefunden haben. Mehr möchte sie zu dem Fall aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte des Mädchens und der Familie nicht sagen. Berliner Medien verbreiteten ebenfalls die Nachricht von der Falschmeldung. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen.

Ein Verband distanziert sich

Offizielle Vertreter von Verbänden der Russlanddeutschen distanzieren sich von den Demonstrationen. "Wir haben entschieden davon abgeraten, da hinzugehen", sagt Julia Iwakin vom Jugend- und Studentenring der Deutschen aus Russland. "Wir haben gesagt, sie sollen die Ermittlungen abwarten. Man kann nicht von diesem Fall oder den Geschehnissen von Köln auf alle Flüchtlinge schließen."

Der "Internationale Konvent", der zur Kundgebung aufgerufen hat, ist ihr nicht bekannt. "Ich denke, das ist eine private Initiative, die sich über soziale Netzwerke verbreitet hat. Mit den etablierten Verbänden der Russlanddeutschen hat sie nichts zu tun."

Was Iwakin allerdings verstehen kann, ist, dass manche Russlanddeutsche, mit denen sie spricht, das Vertrauen in deutsche Medien verloren haben. "Viele fanden die Berichterstattung über die Ukraine-Krise zu einseitig. Sie haben sich abgewandt", sagt die Verbandssprecherin. Und schauen jetzt eben russisches Fernsehen.

Sie bekomme mit, dass auch nach den Ereignissen von Köln die Sorge auch bei den Menschen in ihrem Umfeld gestiegen sei, sagt Iwakin. "Aber das darf man nicht verallgemeinern. Vor Flüchtlingsheime zu ziehen, hilft nicht weiter."

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