Berlin:Sofortprogramm gegen steigende Flüchtlingszahlen

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Tagelanges Warten: Ein Flüchtlingsjunge vor dem LaGeSo in Berlin (Foto: Stefanie Loos/Reuters)
  • Mit einem "Konzept für Flüchtlinge" reagiert Berlin auf den starken Zustrom von Asylsuchenden.
  • Mit Hilfe des Sofortprogramms soll dafür gesorgt werden, dass mehr Personal für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Verfügung steht.
  • Die Opposition kritisiert das Programm als unzureichend. Sie spricht von "Stückwerk" und einem "Papiertiger".

Von Jens Schneider, Berlin

Die Überforderung ist jeden Tag zu besichtigen vor dem LaGeSo, dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales. Hunderte Flüchtlinge warten vor dem Gebäude in Moabit darauf, überhaupt erst erfasst zu werden. Einige von ihnen klagen, dass sie mehrere Tage darauf warteten. Zu groß war der Andrang.

Und jeden Tag kommen neue Flüchtlinge an. Nun hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) ein "Konzept für Flüchtlinge" vorgestellt, mit dem der Senat der Stadt auf den starken Zustrom von Asylsuchenden reagieren will. Ein "Koordinierungsstab Flüchtlingsmanagement" soll täglich die Situation bewerten und Lösungen suchen.

Probleme bei der Unterbringung

Umgehend soll mit Hilfe des Sofortprogramms dafür gesorgt werden, dass mehr Personal für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Verfügung steht. Dafür sollen im Berliner Landesamt schnell hundert neue Mitarbeiter eingestellt werden. Zudem ist vorgesehen, Personal aus anderen Behörden in für diesen Aufgabenbereich zu rekrutieren. Müller will zudem pensionierte Beamte fragen, "ob sie uns in dieser schwierigen Situation helfen wollen".

Schnell soll der neue Koordinierungsstab zusätzliche Unterkünfte finden. Derzeit hat das Land Berlin große Schwierigkeiten, die Flüchtlinge unterzubringen. Auch wird für die medizinische Betreuung der Flüchtlinge eine zentrale Impfstelle und die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte geplant.

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Der Stab soll auch helfen, die Hilfsangebote von Freiwilligen zu koordinieren. Zudem wurde ein "Rotes Telefon der Flüchtlingshilfe" eingerichtet. Dort sollen hilfsbereite Bürger erfahren, wo und wie sie helfen können.

"Das ist eine Situation, auf die man sich nicht einstellen konnte", sagte der Regierende Bürgermeister. Er stellte sich damit hinter seinen Sozialsenator Mario Czaja (CDU), dem von der Opposition vorgeworfen wird, dass er nicht rechtzeitig und unzulänglich auf die Entwicklung reagierte.

Müller und Czaja verwiesen darauf, dass in diesem Jahr viel mehr Flüchtlinge gekommen seien als alle Experten prognostiziert hätten. "Über 15 Jahre hinweg kamen früher pro Jahr 1500 bis 1800 Asylbewerber", sagte Czaja. "Das ist die Zahl, die jetzt in der Woche kommt." So seien allein im Juli 4106 Flüchtlinge in Berlin neu aufgenommen worden, in diesem Jahr bisher 15 598.

"Wir erwarten in diesem Jahr in Berlin mindestens 30 000 Flüchtlinge", sagte Müller. "Ich sage, dass Berlin das kann und Berlin das auch schaffen wird." Man müsse in dieser schwierigen Situation "wegkommen von einem Denken in Zuständigkeiten und Geschäftsbereichen". Es sei deshalb vorgesehen, Mitarbeiter auch aus anderen Teilen der Verwaltung nicht nur freiwillig, sondern über Verpflichtungen einzubeziehen, sagte Sozialsenator Czaja.

Müller fordert Einwanderungsgesetz

Für die Sofortmaßnahmen stellt der Senat drei Millionen Euro bereit. Bis zum Ende des Jahres will der Senat 4000 zusätzliche Schlafplätze errichten. Der Sozialsenator berichtete, dass bereits zahlreiche leer stehende Gebäude auf ihre mögliche Eignung geprüft worden seien. Der Senat bekomme viele Hinweise von Bürgern; rund 700 Objekte seien in der Prüfung gewesen. Doch seien viele Gebäude nicht geeignet.

Müller verlangte, dass der Bund die Länder für die Betreuung der Flüchtlinge stärker finanziell unterstützen müsse. "Wir brauchen dringend ein Einwanderungsgesetz", forderte der Sozialdemokrat zudem. Es gehe darum, die Realität in Deutschland anzuerkennen. "Wir müssen uns in dieser Frage ehrlich machen."

Die Opposition kritisierte das Programm als unzureichend. Der Senat habe zu lange tatenlos zugeschaut, wie sich die Situation an der Erstaufnahmeeinrichtung zugespitzt hat, sagte Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop. "Das Konzept bleibt hinter den Erwartungen zurück und wirkt wie Stückwerk statt wie eine Gesamtstrategie aller Senatsverwaltungen."

Der Linken-Fraktionsvorsitzende Udo Wolf sprach von einem "Papiertiger, der von den aktuellen Entwicklungen in der Stadt längst überrollt" sei.

© SZ vom 12.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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