Flüchtlinge:Nackt unter der Brücke

In einem humanen Rechtsstaat steht die Würde des Menschen auch über dem Wunsch nach Strafe und dem Zorn von Ämtern.

Von Bernd Kastner

Irgendwann ist ihnen in der Ausländerbehörde wohl der Kragen geplatzt. Ein Asylbewerber weigert sich, bei der Beschaffung seines Passes mitzuwirken, und verhindert so seine Abschiebung nach Kamerun. Seit einigen Jahren erhält der Mann nur noch Essen, Kleidung und Unterkunft vom Staat, aber keinen Cent für Bustickets oder zum Telefonieren. So nachvollziehbar es ist, wenn sich Beamte nicht auf der Nase herumtanzen lassen wollen, so fragwürdig ist das Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel, das diese Sanktion jetzt absegnete.

Es genügt, sagen die Richter, wenn man einen solch renitenten Menschen nicht nackt unter einer Brücke verhungern lässt. Diese Art der Strafe aber widerspricht Grundsatzurteilen des Bundesverfassungsgerichts. Es zählt zum menschenwürdigen Existenzminimum ausdrücklich auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.

Die Kasseler Entscheidung ist gefährlich. Gemäß den obersten Sozialrichtern dürften Behörden nun die Daumenschrauben anziehen, bis hin zum sozialen Aushungern. Bald auch bei afghanischen Flüchtlingen, die nicht zurückwollen ins Land der Taliban? Irgendwann dann bei deutschen Hartz-IV-Empfängern, die eine Auflage missachten? In einem humanen Rechtsstaat steht die Würde des Menschen über allem. Auch über dem Wunsch nach Strafe und dem Zorn von Ämtern.

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