Flüchtlinge:Italien ist der zynische Handlanger Europas

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Vor Lampedusa kentern immer wieder Boote mit Flüchtlingen. Italien verhandelt mit Libyen, damit sie erst gar nicht so weit kommt.

(Foto: Chris McGrath/Getty)

Das Land nutzt die guten Verbindungen in seine ehemalige Kolonie Libyen, um Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa zu stoppen. Das kann keine dauerhafte Lösung sein.

Kommentar von Oliver Meiler

Italien werde die Sache mit den Flüchtlingen schon regeln, darauf verlässt sich derzeit ganz Europa. Das kommt selten genug vor. Italien verhandelt dafür mit Libyen, der ehemaligen Kolonie in Nordafrika, Ausgangspunkt vieler Menschen für die Flucht über das Mittelmeer. Was da genau ausgehandelt wird, ist den Europäern ziemlich egal. Allzu besorgte Stimmen, die gefragt hätten, wo die Flüchtlinge denn plötzlich alle geblieben seien, gab es jedenfalls nicht.

Dabei ist der Migrationsstrom über das Meer in diesem Sommer plötzlich fast versiegt, mitten im angekündigten Rekordjahr. Und niemand scheint sich allzu sehr darüber wundern. Man ist wohl einfach nur erleichtert. Zunächst muss man sagen, dass Italien zum Handeln gedrängt worden war - von Europa. Seit der Schließung der Balkanroute war der Weg über das zentrale Mittelmeer zur Hauptader der Flucht geworden. Hunderttausende Menschen gelangten nach Italien. Und sie blieben hängen, weil die Nachbarn im Norden die Grenzen verriegelten. Die Last zu teilen und Migranten zu übernehmen, war vielen Partnerstaaten in der EU zu viel, obschon es einen Deal für die Umverteilung gibt. Und so handelte Italien eben alleine. Es bremste die humanitären Helfer, bildete die libysche Küstenwache aus, schickte Schiffe und Geld. Alles mit dem Ziel, die Migranten zu stoppen, bevor sie internationale Gewässer erreichen.

Natürlich ist das zynisch. Die Flüchtlinge werden zurückgebracht in libysche Auffangzentren, von denen es heißt, es seien Orte des Grauens und der Gewalt, verwaltet von Milizen. Doch den Vorwurf des Zynismus muss sich ganz Europa gefallen lassen. Italien tritt in dieser Angelegenheit als Handlanger auf, versteht sich aber gleichzeitig als eine Art Ordnungsmacht in Libyen - sofern es in Libyen überhaupt Aussicht auf Ordnung gibt. Niemand kennt das komplizierte, in viele Stammesgebiete geteilte, mittlerweile zerrüttete Staatsgebilde besser als die Italiener, die dort von 1911 bis 1947 als Kolonialherren geherrscht hatten. Unter Mussolini war die Herrschaft besonders brutal gewesen. Libyens Langzeitmachthaber Gaddafi sorgte noch Jahrzehnte später dafür, dass die Wunden weiter schwärten.

Trotzdem ist Italien politisch und wirtschaftlich stets eng verbunden gewesen mit Libyen - bis heute. Als einziges westliches Land entsendet es noch immer einen Botschafter nach Tripolis. Ganze Delegationen italienischer Unternehmer reisen nach Libyen, nicht selten in Gesellschaft von Bürgermeistern. Da ist ein Netz entstanden. Die italienische Regierung schickt regelmäßig Medikamente und Lebensmittel nach Libyen, und damit das auch ja niemandem entgeht, pappen sie große Aufkleber mit der italienischen Trikolore auf die Hilfspakete. Zuweilen versucht Frankreich, den Italienern die Mittlerrolle zu entreißen, weil es ebenfalls am Öl und am Gas der Libyer interessiert ist. In Rom gibt man sich dann pikiert, sogar offen verärgert, als sei Libyen noch immer ein italienischer Hinterhof.

Dabei kann Italien keineswegs garantieren, dass der Flüchtlingsstrom nicht morgen wieder anzieht. Rom verhandelt nur mit der Regierung in Tripolis, die auch von den Vereinten Nationen unterstützt wird. Deren Rivalen im Osten des Landes, in Tobruk, drohen den Italienern mit Vergeltung. Von der libyschen Küstenwache, die nun allenthalben gelobt wird, hatte es bis vor Kurzem geheißen, sie stecke mit Schleusern unter einer Decke. Was ist, wenn sie die Seite wieder wechseln? Aber die noch viel wichtigere Frage lautet: Wer hilft den Flüchtlingen, die nun zurückbleiben, in den Lagern des Grauens?

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