Flüchtlinge in Griechenland:Vor Beginn der Abschiebungen - Hunderte Flüchtlinge fliehen aus griechischem Lager

File photo of Afghan refugees walking through a beach where they will wait to board a dinghy sailing off for the Greek island of Chios

Afghanische Flüchtlinge auf dem Weg zu einem Schiff, das sie nach Chios bringen soll. Doch womöglich werden sie bald wieder zurückgeschickt.

(Foto: REUTERS)
  • Ab Montag soll die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei beginnen.
  • In einem Lager auf der griechischen Insel Chios kam es zu Ausschreitungen, anschließend flohen etwa 500 Menschen aus dem Lager, weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlten.
  • Menschenrechtsorganisationen kritisieren die geplante Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei, weil die Sicherheit in dem Land nicht gewährleistet sei.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Vor dem Beginn der massenhaften Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei ist es auf der griechischen Insel Chios zu Ausschreitungen gekommen. Nach Streits zwischen Syrern und Afghanen seien drei Männer mit Stichverletzungen ins Krankenhaus gebracht worden. Die Randalierer zerstörten auch ein Zelt mit medizinischem Gerät. Daraufhin zog die Hilfsorganisation Ärzte der Welt ihr Team aus dem Lager ab.

Auf der Insel sitzen 1600 Flüchtlinge fest, die damit rechnen müssen, von diesem Montag an in die Türkei zurückgeschickt zu werden. Von 4. April an soll der zwischen der EU und Türkei vereinbarte Flüchtlingspakt umgesetzt werden. Die Polizei setzte ANA zufolge Blendgranaten ein, um Proteste in Chios aufzulösen. Das Lager ist für 1200 Menschen ausgelegt. Die Demonstrationen begannen am Donnerstagabend, als die Menschen forderten, das Lager verlassen zu dürfen. Zu der Gewalt kam es dann in der Nacht.

Am Freitagmittag sind mindestens 500 Flüchtlinge aus dem Hotspot auf Chios ausgebrochen. Wie die Zeitung Ta Nea auf ihrer Internetseite berichtete, schnitten sie den Maschendrahtzaun auf, der das Lager umgibt. Anschließend machten sie sich auf den Weg in Richtung des Hafens der Insel. Ihr Leben sei in dem Hotspot nicht mehr sicher, sagten sie Journalisten. Deshalb wollten sie jetzt in ein altes, verlassenes Lager umsiedeln.

Ein klarer Völkerrechtsbruch

Die Türkei hatte sich verpflichtet, Flüchtlinge, die seit dem 20. März in Griechenland angekommen sind, zurückzunehmen. Im Gegenzug sollen die EU-Länder für jeden zurückgeschickten Syrer einen Syrer aus den Flüchtlingslagern in der Türkei auf legalem Wege aufnehmen. Die Bundesregierung rechnet mit mehreren Hundert Flüchtlingen, die bereits am Montag zurückgeschickt werden könnten. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte am Freitag in Berlin, er könne zwar keine ganz konkreten Zahlen nennen, zuständig sei hier auch die EU-Kommission. "Gehen Sie mal davon aus, dass eine nicht unerhebliche dreistellige Anzahl von Flüchtlingen am Montag zurückgeführt wird." In Athen ist die Rede von 500 bis 600 Menschen.

Vor dem Start des Abkommens hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schwere Vorwürfe gegen türkische Behörden erhoben. Tausende Syrer seien in den vergangenen Wochen und Monaten systematisch in das Bürgerkriegsland zurückgeschickt worden. "Männer, Frauen und Kinder wurden in Gruppen von bis zu 100 nach Syrien abgeschoben", sagte die Türkei-Expertin bei Amnesty International in Deutschland, Marie Lucas. Dies sei ein klarer Völkerrechtsbruch.

Türkische Katastrophenschutzbehörde errichtet mehr als 20 Flüchtlingslager

So lange die Türkei Flüchtlingen keinen Schutz gewähre und die Menschenrechte verletze, dürfe die EU "Schutzbedürftige nicht bedenkenlos in die Türkei abschieben in der falschen Annahme, die Türkei sei für diese sicher". Ein Sprecher der Bundesregierung erklärte, er könne die Vorwürfe nicht bestätigen. Die Bundesregierung werde die Behauptungen aber überprüfen.

Auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen hat sich gegen die geplante Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt ausgesprochen. Zunächst müssten Sicherheitsgarantien für die betroffenen Menschen in Kraft sein, um das entsprechende Abkommen der EU mit der Türkei umzusetzen, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming, am Freitag in Genf. In beiden Ländern gebe es noch Defizite.

Athen muss die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebungen schaffen

In Griechenland und der Türkei wurde bis zuletzt mit Hochdruck an den Voraussetzungen für den Flüchtlingspakt gearbeitet. Das türkische rote Kreuz errichtet in der westlichen Provinz Manisa ein neues Camp für bis zu 5000 Flüchtlinge. Das Land beherbergt nach eigenen Angaben bereits knapp drei Millionen Flüchtlinge. Entlang der Grenze zu Syrien hat die türkische Katastrophenschutzbehörde bereits mehr als 20 Flüchtlingslager errichtet.

Das Parlament in Athen muss noch die rechtlichen Voraussetzungen für die Abschiebungen schaffen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf sollte von Freitag an von den Abgeordneten beraten und womöglich noch am Abend beschlossen werden.

Am kommenden Montag werden in Deutschland die ersten Syrer erwartet, die durch den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei ins Land kommen. Das sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Freitag auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Dabei handele es sich vor allem um Familien mit Kindern. "Sie kommen voraussichtlich zunächst in Friedland an", sagte der Sprecher. Es gehe um eine Anzahl von Menschen in einer "niedrigen bis mittleren zweistelligen Größenordnung". Friedland liegt in Niedersachsen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: