Flüchtlinge in Deutschland:Rückkehr in den Bürgerkrieg

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Auch in diesen kalten Wintertagen erreichen viele Flüchtlinge Deutschland. Doch nicht alle wollen bleiben. (Foto: dpa)

Noch immer fallen Bomben in Syrien und dem Irak. Trotzdem wollen viele Flüchtlinge nun nach Hause.

Von Julia Ley

Yasser und Mohammad treten ungeduldig von einem Bein auf das andere. Die beiden Syrer stehen in der eisigen Kälte vor ihrer Notunterkunft in Grünwald bei München. Jedes Mal, wenn sie ausatmen, steigt vor ihrem Gesicht eine kleine Wolke auf. In ihrem Rücken liegt die Traglufthalle, in der die Stadt München sie untergebracht hat. Es ist kein luxuriöses Zuhause, aber drinnen ist es zumindest warm.

Die provisorische Behausung ist nicht der Grund, warum Yasser und Mohammad hier so schnell wie möglich wieder wegwollen. Vor drei Monaten sind die beiden Cousins aus Syrien geflohen. Yasser hat sein IT-Geschäft verkauft, um das nötige Geld zusammenzubekommen. Gemeinsam bestiegen sie die unsicheren Boote über das Mittelmeer, dann ging es weiter durch Griechenland, Kroatien, Slowenien - bis sie schließlich in diesem Münchner Villenvorort landeten. Es war keine leichte Reise, sagen sie, teuer, gefährlich. Trotzdem wollen sie jetzt nur noch eins: nach Hause.

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"Ich kann nicht ohne meine Familie leben", sagt Mohammad. Er hatte erwartet, dass das alles schneller ginge in Deutschland: Arbeit, Wohnung, Familie nachholen. Stattdessen sitzt er seit drei Monaten herum. Sein Asylverfahren hat noch nicht einmal angefangen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit der Bearbeitung der Fälle nicht mehr nachkommt. Während Mohammad die Stunden totschlägt, wartet seine Frau im Libanon und vermisst ihn - vor Kurzem hat sie erfahren, dass sie zum zweiten Mal schwanger ist.

Auch Mohammads Cousin Yasser hat sich ein besseres Leben erhofft, in Syrien gab es für ihn keine Perspektive mehr. Hinzu kam, dass er und seine Frau keine Kinder bekommen konnten, fünf Jahre lang haben sie es versucht. Auch damit, hoffte er, würde man ihm in Deutschland helfen können. Doch dann kam alles anders. Gerade in Bayern angekommen, erreichte ihn die Nachricht seiner Frau: schwanger, endlich. Nun will er nur noch zurück.

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Sylvia Glaser von der Münchner Rückkehrberatung "Coming Home", die mit Geld aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU (AMIF) und von der bayerischen Regierung finanziert wird, kann das auch nicht genau sagen - auch wenn sie jedes Mal danach fragt. "In 80 Prozent der Fälle geben die Menschen familiäre Gründe an", sagt Glaser. Der Vater gerade verstorben, die Mutter schwer krank. Manche hätten es so eilig, dass sie nicht mal die knapp zwei Wochen warten könnten, die Glaser und ihre Kollegen in der Regel brauchen, um die finanziellen Mittel bewilligt zu bekommen. "Die machen es dann auf eigene Faust".

Zu ihr kommen vor allem Menschen aus dem Kosovo oder Albanien, die hier nicht bleiben dürfen. In letzter Zeit aber kommen auch vermehrt Syrer, Iraker und Afghanen - Kriegsflüchtlinge, die durchaus Chancen auf Asyl haben. Ob es wirklich jedes Mal familiäre Gründe gebe, oder ob die Menschen das sagten, um nicht zuzugeben, dass sie sich nicht wohlfühlten, kann sie nicht sicher sagen. Oft spielten wohl auch falsche Erwartungen eine Rolle. Viele seien nicht darauf vorbereitet, dass hier alles so lange dauere. Das sei vor allem dann ein Problem, wenn die Familie weiter im Krieg ausharren muss. Gerade junge Menschen seien mit dem Druck und der Einsamkeit dann überfordert. Ihnen fehlten die sozialen Strukturen, die Einbindung in die Familie.

Krisja Popov, die für den Verein "Hilfe von Mensch zu Mensch" als Asylsozialberaterin in der Unterkunft Grünwald tätig ist und auch Yasser und Mohammad betreut, teilt diese Einschätzung. Meist sei die Familie der Grund, manchmal auch das Gefühl, sich in Deutschland nicht zurechtzufinden. Aber natürlich will nur zurück, wer auch zurück kann. Yasser und Mohammad seien deshalb eher eine Ausnahme: "Syrer zeigen mir oft die Bilder von ihren zerstörten Häusern", sagt Popov. "Wohin sollen die zurück?"

Etwas anders sieht es bei den Irakern aus. Am Berliner Flughafen Tegel stehen irakische Flüchtlinge Schlange, um Tickets für die wöchentlichen Direktflüge nach Erbil und Bagdad zu buchen. Wie viele das wirklich sind, ist schwer zu sagen, denn statistisch erfasst werden die Ausreisenden nur dann, wenn sie die Hilfe des offiziellen Rückkehrprogramms der Regierung in Anspruch nehmen. Das haben dem Bamf zufolge 2015 immerhin 724 Iraker getan, aber nur 309 Afghanen und 13 Syrer. Bei 25 250 Syrern und jeweils mehr als 4 000 Irakern und Afghanen, die allein im Dezember 2015 in Deutschland Asyl beantragt haben, ist das nicht wirklich viel.

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Allerdings dürften die offiziellen Zahlen auch deutlich zu niedrig sein, da sie nichts darüber aussagen, wie viele selbstständig zurückkehren. Das Auswärtige Amt gab kürzlich eine erstaunliche Zahl heraus: Zwischen Oktober und Dezember 2015 sollen irakische Vertretungen in Deutschland 1250 Pässe für Rückkehrer ausgestellt haben.

Die Zahl von 13 Syrien-Rückkehrern ist noch weniger aussagekräftig. Da es kaum noch Direktflüge gibt und viele ohnehin nicht in die Heimat, sondern in ein Nachbarland zurückkehren wollen, können ihnen die Rückkehrberatungen oft gar nicht helfen. Ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung oder ein Visum für eines der Nachbarländer, dürften sie die Menschen nicht über eine Rückkehr dorthin beraten, erklärt Glaser. Rückkehrinteressierte gibt es aber schon: Sie schätzt, dass sich allein bei "Coming Home" in München wöchentlich etwa zehn Syrer melden.

Auch Yasser und Mohammad wollen nicht nach Syrien, sondern in den Libanon, wo ihre Familien leben. Ein Ticket dahin kostet zwischen 200 und 300 Euro. Viel Geld für sie, dennoch würden sie lieber heute als morgen fliegen. Angesichts der Diskussion um die Flüchtlingszahlen sollte man meinen, dass die Regierung sich über jeden freut, der freiwillig geht.

Tatsächlich sitzen sie fest. Popov, die Asylsozialberaterin in Grünwald, hat schon viele Stunden mit ihrem Fall zugebracht. Bei ihrer Ankunft in Passau habe die Bundespolizei den beiden die Pässe abgenommen, erklärt sie. Seither sind sie verschollen. Sie sollten in die Unterkunft nachgeschickt werden, doch dann landete anscheinend einer beim Bamf und einer bei der Münchner Verwaltung. Beim Bamf gehe niemand ans Telefon, in München können sie die Pässe nicht mehr auffinden. "Die Ämter sind überlastet, es herrscht totales Chaos", sagt Popov.

Bis Yasser und Mohammad ausreisen können, dürften also noch einige Wochen vergehen. Vielleicht sogar Monate. Wenn sie Pech haben, haben sie die Geburt ihrer Kinder dann schon verpasst.

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