Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg:"Bloß weg hier - die Russen kommen"

Im Winter 1944/45 flüchteten die Deutschen in Ostpreußen, Pommern, Brandenburg, Schlesien und Polen. Die Flucht vor der Roten Armee ging schließlich über in eine systematische Vertreibung, mit der die Alliierten das Aufbrechen neuer ethnischer Konflikte in Osteuropa verhindern wollten. Mehr als zwölf Millionen Deutsche verloren ihre Heimat.

Von Robert Probst

In der Sprache der Diplomaten nennt sich der Vorgang "Bevölkerungstransfer". Er umschreibt die größte Flucht- und Vertreibungswelle in der modernen Geschichte zwischen den Jahren 1939 und 1950 in verschiedenen Phasen und Ausformungen. Der Begriff umfasst nicht die entsetzlichen Umstände wie Verlust von Haus und Hof, Hunger, Kälte, übernatürliche Anstrengungen, ständige Angst vor feindlichen An- und Übergriffen, und schließlich das Gefühl des Entwurzeltseins.

Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg: Deutsche Flüchtlinge auf dem Weg in den Westen

Deutsche Flüchtlinge auf dem Weg in den Westen

(Foto: Foto: AP)

Der Zweite Weltkrieg bedeutete für etwa 20 Millionen Menschen in Europa den Verlust ihrer Heimat - Polen, Tschechen, Slowaken, Weißrussen, Ukrainer, Litauer, Ungarn und Deutsche.

Lange bevor auf der "Konferenz von Potsdam" im Sommer 1945 ein Transfer in "geordneter und humaner Weise" verfügt wurde, waren Millionen Deutsche während der Endphase des Krieges vor der anrückenden Roten Armee nach Westen geflüchtet. Die "Westverschiebung" Polens war freilich seit den Konferenzen von Teheran 1943 und Jalta (Februar 1945) beschlossene Sache - ethnische Säuberungen inklusive.

Schon im Sommer 1944 wurden erste Trecks aus Jugoslawien und Rumänien evakuiert. Als die Sowjettruppen dann im Herbst 1944 in Ostpreußen eindrangen und schnell weiter vorrückten, setzten sich große Menschenmassen in Bewegung, allerdings meist viel zu spät und völlig unvorbereitet, weil die NS-Führung, die immer noch von "Pflanzgärten germanischen Blutes im Osten" träumte, die Flucht untersagte und erschwerte.

In kaum vorstellbaren Dimensionen hatte sich das NS-Regime nämlich eine "völkische Neuordnung" Europas ausgedacht. Hitlers "Generalplan Ost" hatte vorgesehen, bis zu 20 Millionen "Fremdrassige" zu deportieren oder zu ermorden und durch "Volksdeutsche" zu ersetzen. Ziel war 1941: "Die Ausschaltung des schädigenden Einflusses volksfremder Bevölkerungsteile" und die Verschiebung der deutschen Grenzen um 1000 Kilometer Richtung Osten. 1945 kam der Rückschlag: aus Rache und aus politischem Kalkül.

Brutale Übergriffe

Besonders dramatische Szenen spielten sich Anfang 1945 im Gebiet um die später eingeschlossenen Städte Danzig und Königsberg ab. Nachdem die Rote Armee den Landweg abgeschnitten hatte, blieb für Hunderttausende nur noch die Flucht übers eisbedeckte Haff und die Hoffnung, auf eines der Schiffe Richtung Westen zu gelangen.

Bis zur Kapitulation am 8. Mai gelang es der Kriegsmarine - allerdings unter großen Verlusten - in gefährlichen Fahrten über die Ostsee etwa 2,5 Millionen Flüchtlinge zu retten. Wer es nicht schaffte, dem drohten Mord, Vergewaltigung, Folter, Plünderung oder Deportation.

Nach Kriegsende folgten "wilde" Vertreibungen von Hunderttausenden Menschen in den von der Roten Armee befreiten Gebiete in Polen und der Tschechoslowakei, zum Teil begleitet von brutalen Übergriffen. Im Herbst 1945 begann dann die letzte Phase. Mit den Beschlüssen von Potsdam wurde die Umsiedlung von mehr als vier Millionen weiterer Deutscher Richtung Westen von Seiten der Siegermächte sanktioniert.

Genaue Bilanzen gibt es nicht, doch allgemein wird angenommen, dass von den 18 Millionen Deutschen und "Volksdeutschen", die 1939 in den Ostprovinzen und osteuropäischen Siedlungsgebieten wohnten, bis 1947 zwischen zwölf und 14 Millionen ihre Heimat verloren, bis zu zwei Millionen Menschen sollen umgekommen sein. Etwa eine Million wurde in sowjetische Lager verschleppt.

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