Flüchtlinge:Im Schatten des Erfolgs

Flüchtlinge: Eine Gruppe geretteter Flüchtlinge, die meisten aus Myanmar und Bangladesh, kommen in Indonesien an. Viele andere wurden zurückgeschickt.

Eine Gruppe geretteter Flüchtlinge, die meisten aus Myanmar und Bangladesh, kommen in Indonesien an. Viele andere wurden zurückgeschickt.

(Foto: AFP)

Die Welt ist voller Retter. Umso absurder wirkt es, wenn immer mehr Menschen auf hoher See ertrinken oder verdursten. Die Regierungen bleiben Antworten schuldig - nicht nur im Mittelmeerraum, sondern auch in Südostasien.

Kommentar von Arne Perras

Im Pariser Louvre hängt ein Gemälde von Théodore Géricault. "Das Floß der Medusa". Der Franzose fängt darauf die Qualen des Schiffbruchs ein, man kann sich der Wirkung dieser Szene kaum entziehen. Das Grauen rückt ganz nahe heran, auch wenn das Sterben auf dem Meer in diesem Fall schon zwei Jahrhunderte zurückliegt.

Bilder von Schiffbrüchigen dringen nun wieder ins Bewusstsein, die Europäer beschäftigt vor allem das Leiden im Mittelmeer. Aber die Krise reicht weiter. Auch im südlichen Asien verschärfen sich das Flüchtlingselend und die Probleme der Massenmigration.

Es spielen sich grauenvolle Szenen ab

Wer all diese Bewegungen betrachtet, merkt, dass Europa mit seinen Abwehrreflexen nicht alleine ist. In Australien sind sie noch stärker. Neuerdings aber sind es die Länder in Südostasien, die von sich reden machen. Thailand bläst unter dem Druck des Westens zum Kampf gegen Schleuser- und Schlepperbanden - und macht damit die Ausmaße des asiatischen Menschenhandels sichtbar, der sich zuvor meist im Verborgenen entwickelt und die Schlepperei in ein Milliardengeschäft verwandelt hat.

Südostasien gilt als Erfolgsgeschichte, als aufstrebende Region, in der Wohlstand wächst und Armut schwindet. Das ist richtig, aber nicht das ganze Bild.Im Schatten der Erfolge spielen sich, wie jetzt vor den Küsten, grauenvolle Szenen ab. Auf hoher See kämpfen Hunderte, wenn nicht Tausende Flüchtlinge um ihr Überleben. Aber Malaysia, Thailand und Indonesien wehren sie ab, lassen die wenigsten an Land.

Immer mehr Menschen sterben auf hoher See

Zu den Errungenschaften der hochtechnisierten Zivilisation gehört es, dass man notleidenden Menschen schneller und besser helfen kann als früher. Wo einst große Hungersnöte Tausende Leben nahmen, fliegen heute UN-Helikopter ein und verteilen Essen. Wo Erdbeben Menschen in ihren Häusern verschütten, sind Suchstaffeln und Notärzte aus aller Welt zur Stelle. Und selbst wer auf wissenschaftlicher Mission in die Tiefen einer Höhle hinabklettert und dort verunglückt, kann darauf hoffen, dass ihn bestens gerüstete Helfer aus dem Loch herausziehen.

Die Welt ist voller Retter. Umso absurder wirkt es, wenn immer mehr Menschen auf hoher See ertrinken oder verdursten. Die Qualen des Schiffbruchs, die der Vergangenheit angehören sollten, sind keineswegs verschwunden. Sie nagen Tag für Tag am Gewissen der Weltgemeinschaft. Vor Thailand und Malaysia waren zuletzt besonders verstörende Bilder zu sehen, die denen auf dem Floß der Medusa kaum nachstehen: Männer, Frauen und Kinder, die auf einem rostigen Seelenverkäufer gefangen sind, halb verdurstet und verhungert, vom Kapitän verlassen, dem Tode nah.

Auch Angst vor dem Flüchtlingssog

Das Seerecht ist in solchen Fällen eindeutig. Diese Menschen sind aus akuter Lebensgefahr zu retten, ohne Wenn und Aber. Was danach geschieht, ist eine andere Frage. Und auch, wie man schon vorher verhindern könnte, dass jedes Jahr so viele Menschen in diese Notlagen geraten. Weder die Europäer noch die Asiaten haben darauf Antworten. Alle wissen, dass Staatszerfall, Bürgerkriege, Klimawandel und das Elend junger Generationen die Wanderbewegungen forcieren. Aber zu lösen sind diese Probleme allenfalls langfristig. Das zu versuchen, ist extrem wichtig. Aber es löst den akuten Druck nicht auf.

Wer dachte, dass das Elend auf dem Mittelmeer keine Steigerung mehr erfahren könne, stößt nun auf die Tragödien im Indischen Ozean, wo die Seelenverkäufer der Schlepper oft monatelang unterwegs sind, bevor sie ein rettendes Ufer erreichen. Dass das thailändische Militär aus der Luft Wasserflaschen abwirft, aber die Boote nicht an Land holen will, ist zynisch und bezeichnend. Die Regierungen der Region scheuen davor zurück, ihren humanitären Verpflichtungen nachzukommen. Ihr Kalkül lautet: Wenn wir die Schiffe landen lassen, wird dies einen Sog entwickeln, dem wir nicht mehr Herr werden.

Die Staaten müssen das Problem alleine lösen

Das entspricht der Logik der Australier, die anrückende "Boat People" entweder noch auf dem Meer zurückschicken oder auf benachbarte Pazifikinseln abschieben. Gelöst ist damit nichts. Und in Südostasien ist alles noch komplizierter als anderswo, weil dort der neue Ehrgeiz, Schlepper zu bekämpfen, vor allem dem Druck des Westens entspringt. Thailand muss Sanktionen der USA fürchten, wenn es nicht tätig wird. Aber anders als in Europa sind es bislang Kräfte in den Zielländern selbst, die Migranten in großer Zahl anlocken, weil sie als billige Arbeitskräfte gefragt sind, die keine Rechte einfordern können. Man kann sie nicht selten wie Sklaven ausbeuten.

Bislang haben viele Staaten ein Auge zugedrückt, während korrupte Beamte oder Sicherheitskräfte mitverdienten an der Ware Mensch. Nun wollen Thailand und Malaysia zeigen, dass sie durchgreifen im Kampf gegen die Schlepper. Doch dieser brachiale Schwenk führt nun dazu, das viele Menschen auf den Booten gefangen sind, ohne Wasser und Essen. Diese Form der Abschreckung darf man nicht dulden.

Die Schattenwirtschaft ist über Jahre gewachsen, die Migranten schuften in Fabriken, Plantagen und auf Fischkuttern. Die Staaten sind zu schwach oder nicht willens, dieser breiten Ausbeutung einen Riegel vorzuschieben. So greifen Migration und Zwangsarbeit eng ineinander. Das ist nicht überall so, aber doch verbreiteter, als es die Regierungen zugeben.

Nur gemeinsam könnte es funktionieren

Der Bedarf an Arbeitskräften schafft den Sog, der Migranten in die dynamischen Volkswirtschaften Südostasiens zieht. Zugleich ist es das wachsende Leid in den Heimatländern, das die Flüchtlinge antreibt. In Bangladesch drückt viele die Armut, in Myanmar hat die muslimische Minderheit der Rohingyas keine Zukunft, weil sie der Staat nicht als Bürger anerkennt. So wirken zwei Kräfte: Zug und Druck. In Asien ergänzen sie sich in besonderem Maße.

Es ist nicht zu erwarten, dass sie Staaten im Alleingang steuern und in menschenwürdige Bahnen lenken können. Nur gemeinsam könnte es gehen. In Südostasien allerdings sind die Voraussetzungen dafür noch schlechter als in Europa, weil Asean nur ein recht loser Staatenverband ist und die Interessen der Mitglieder auseinanderdriften. Es werden kaum die letzten Bilder von Schiffbrüchigen sein, die jetzt die Welt schockieren.

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