Flüchtlinge:Große Klappe, Loch im Zaun

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In Südosteuropa rufen immer mehr Staaten nach dem Militär zur Abwehr von Migranten. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich die Flüchtlinge davon kaum abschrecken lassen. Und sei es, weil sie um die Bestechlichkeit der Grenzer wissen.

Von Florian Hassel

Seit mehr als einem Jahr ist der Weg über den Balkan für nach Europa drängende Flüchtlinge weitgehend verschlossen - zumindest wenn man das Jahr 2015 als Vergleich nimmt, als Hunderttausende über diese Route ankamen. Wer fernab von Krieg, Verfolgung oder auch nur Armut ein besseres Leben sucht, den wird das freilich wenig interessieren, auch wenn europäische Populisten gern Patentrezepte vorlegen: etwa die Renationalisierung der Grenzkontrollen oder den Einsatz von Militär und Waffen für eine scheinbar wirksamere Grenzsicherung.

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán schickte schon 2015 Soldaten an die Grenze zu Serbien. Eine AfD-Politikerin schlug Anfang 2016 den Einsatz von Waffen gegen Flüchtlinge auch an der deutschen Grenze vor. In diesem Sommer wollte erst Österreichs Außenminister Sebastian Kurz Punkte mit seinem Vorschlag sammeln, die österreichisch-italienische Grenze am Brennerpass mit Panzern gegen Flüchtlinge zu sichern. Nun legt Bulgariens neuer Verteidigungsminister Krasimir Karakachanov nach.

Derlei populistische Vorschläge sind oft menschenverachtend, realitätsfern oder verlagern das Problem nur. Doch sie entfalten gleichwohl ihre Wirkung: Sie ernten Applaus bei zunehmend verunsicherten Wählern. Bemerkenswerterweise funktionieren die Dumpfparolen dort besonders gut, wo es kaum Flüchtlinge gibt.

Grenzen lassen sich kaum mit Militär gegen Migranten sichern

Im Bulgarien etwa schüren Politiker wie Verteidigungsminister Karakachanov oder Vize-Regierungschef Valeri Simeonov - beide Anführer der nationalistisch-populistischen "Vereinigten Patrioten" - die Angst vor Flüchtlingen nach Kräften. Dabei geht es auch um viel Geld: Von der EU etwa hätte Bulgarien gern Hunderte Millionen Euro zur Bekämpfung "illegaler Migranten". Auch innenpolitisch sammeln die bulgarischen "Patrioten" Kapital: Drei Viertel der Bulgaren fühlen sich von Flüchtlingen bedroht. Dass im sieben Millionen Einwohner zählenden Land nur einige Tausende Flüchtlinge leben, die Zahl neu eintreffender Flüchtlinge zudem drastisch zurückgeht, fällt nicht weiter auf.

Auch in Polen ist das Gefühl der Bedrohung durch Flüchtlinge stark gestiegen, obwohl es Flüchtlinge in Polen praktisch nicht gibt. Die nationalpopulistische Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) unter Jarosław Kaczyński schließt die Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur aus, sondern schürt auch weiterhin systematisch die Angst vor ihnen - oft in einem Atemzug mit Schmähungen gegenüber Deutschland oder der EU. So warnte kürzlich das Parteimagazin Gazeta Polska mit einem atemberaubend widerlichen Titelbild: "Die Flüchtlinge brachten tödliche Krankheiten". Bei Pis-Wählern fallen die Manipulationen auf fruchtbaren Boden - und werden weitergehen, ja sogar stärker werden, wenn ein Wahlkampf ansteht.

Ob im Süden Ungarns, am Brenner oder an der bulgarisch-türkischen Grenze: Überall gaukeln sie vor, dass man das eigene Land abschotten kann, wenn man nur kamerawirksam Soldaten in den Einsatz schickt. Das Trugbild zerfällt spätestens, wenn man ganz Europa betrachtet. Flüchtlinge und ihre Schlepper suchen sich eben andere Routen, aktuell wieder über Italien oder nun auch Spanien.

In den Staaten Südosteuropas sind die Grenzen übrigens auch trotz des Militärs durchlässig. Viele meist schlecht bezahlte türkische oder bulgarische Grenzbeamte akzeptieren gerne ein Bestechungsgeld von bis zu mehreren Tausend Euro, um einen einzigen Flüchtling durchzulassen. Korruption ist eben doch stärker als das Militär. Soldaten, Metallzäune, Infrarotbewegungsmelder oder Drohnen sichern die eigene Grenze nicht. Sie garantieren nur, dass die Einkünfte der Schlepper und der korrupten Grenzer steigen.

© SZ vom 18.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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