Flüchtlinge:EU will "Bearbeitungszentren" auf Balkanroute

Flüchtlinge: Griechenland soll endlich umsetzen, was vereinbart wurde, findet Minister Schäuble: Flüchtlinge bei ihrer Ankunft auf der griechischen Insel Lesbos.

Griechenland soll endlich umsetzen, was vereinbart wurde, findet Minister Schäuble: Flüchtlinge bei ihrer Ankunft auf der griechischen Insel Lesbos.

(Foto: Aris Messinis/AFP)
  • Beim Sondertreffen der EU-Innenminister in Brüssel geht es um die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen.
  • Vor allem in Griechenland, wo täglich mehr als 5000 Flüchtlinge ankommen, sollen die Dinge in geregelte Bahnen gelenkt werden.
  • Bis Ende November sollen in Griechenland und Italien endlich die "Hotspots" zur Registrierung der Flüchtlinge funktionieren.
  • Überdies soll es "Bearbeitungszentren" entlang der Balkanroute für Migranten geben.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Zwei Zahlen dokumentieren in der europäischen Flüchtlingskrise die enorme Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. 160 000 Flüchtlinge sollen nach einem Beschluss der EU-Staaten aus den besonders betroffenen Ländern weiterverteilt werden in der Union. Bisher tatsächlich verteilt wurden: 135. Aus Italien sind 105, aus Griechenland 30 Menschen nach Finnland, Schweden, Luxemburg oder Spanien geschickt worden.

Weil es so nicht weitergehen soll, hat Jean Asselborn, Außen- und Migrationsminister Luxemburgs, das derzeit den EU-Vorsitz innehat, die Innenminister zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammengetrommelt. Nicht um neue Beschlüsse geht es dabei. "Wir müssen alles tun, um die schon gefassten Beschlüsse umzusetzen", sagt Asselborn. Vor allem in Griechenland, wo täglich mehr als 5000 Flüchtlinge ankommen, sollen die Dinge in geregelte Bahnen gelenkt werden.

Überdies soll es "Bearbeitungszentren" entlang der Balkanroute für Flüchtlinge geben.

"Wir sind einfach zu langsam", klagt de Maizière

Gleichzeitig mit den Innenministern treffen im Ratsgebäude die Finanzminister der Euro-Gruppe ein - und auch bei ihnen geht es um Griechenland. Das Land wartet auf die Auszahlung von zwei Milliarden Euro aus dem aktuellen Hilfsprogramm. Bedingung ist das Erreichen bestimmter "Meilensteine". Zwei Drittel sind erfüllt, aber eben nicht alle.

"Wir sind noch nicht ganz am Ziel", beschwichtigt EU-Währungskommissar Pierre Moscovici, doch schon in wenigen Tagen könne eine positive Entscheidung fallen. "Es liegt ausschließlich an Griechenland umzusetzen, was wir im Juli und August vereinbart haben", bremst Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Die Bundesregierung hält nichts von einem Nachlass wegen der Flüchtlingskrise. Andere betonen, man könne Griechenland gerade jetzt nicht hängen lassen.

"Wir sind einfach zu langsam", klagt derweil Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Die Flüchtlingszahlen müssten endlich gesenkt werden, sonst gerate das grenzenlose Reisen im Schengen-Raum in Gefahr. "Wir wollen Schengen erhalten, aber die Zeit läuft uns davon", warnt er. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner fordert Griechenland gar zum Einsatz der Marine "unter zivilem Kommando" auf, um die EU-Außengrenze zu schützen.

Erheblicher Widerstand

Bis Ende November, so beteuern es die Innenminister, sollen in Griechenland und Italien endlich die "Hotspots" zur Registrierung der Flüchtlinge funktionieren - mit Hilfe der anderen Mitgliedstaaten, der EU-Kommission, der Grenzschutzagentur Frontex und der EU-Asylbehörde Easo.

So soll die Infrastruktur entstehen, die eine EU-weite Umverteilung in größerem Maßstab überhaupt erst möglich macht. Die Mitgliedstaaten sollen im Gegenzug den Umverteilungsprozess "beschleunigen" und ihre kurzfristigen Aufnahmekapazitäten melden. Möglichst bis 16. November sollen sie dafür Verbindungsbeamte nach Italien und Griechenland schicken.

Verstärkt werden soll der Druck auf die Flüchtlinge

Die Kommission habe doch gerade auf die Wachstumschancen durch den Flüchtlingszustrom hingewiesen, steuert Finanzminister Schäuble bei. Wer Flüchtlinge aufnehme, zeige sich nicht nur solidarisch, sondern tue auch etwas fürs Wachstum.

Allerdings bleibt der Widerstand gegen die Aufnahme Schutzsuchender bei mehreren Staaten erheblich. "Keine", antwortet der tschechische Innenminister Milan Chovanec auf die Frage, wie viele Flüchtlinge sein Land bis Jahresende aufzunehmen bereit sei. Die Hotspots in Griechenland und Italien seien kaum existent, wie tschechische Beamte festgestellt hätten. "Das System funktioniert nicht." Ausschließlich auf der Insel Lampedusa gebe es einen einigermaßen funktionierenden Hotspot, ergänzt sein slowakischer Kollege Robert Kaliňák.

Verstärkt werden soll nun der Druck auf die Ankömmlinge. Sie sollen sich den Registrierungsprozeduren nicht länger entziehen können. Als "letztes Mittel" sollen sie zu diesem Zweck auch zwangsweise festgesetzt werden können. Sorge bereitet den Ministern angesichts des nahenden Winters die Lage auf der Westbalkanroute. Die Zivilschutzmechanismen der EU müssten "in größtmöglichem Umfang" genutzt werden.

Aktuelles Lexikon: Genfer Flüchtlingskonvention

Auf Betreiben der USA fand 1938 die Konferenz von Évian statt, es wurden Aufnahmekontingente für aus Deutschland flüchtende Juden diskutiert. Die Konferenz scheiterte. Und als 13 Jahre später das erste Flüchtlingsabkommen der Welt geschlossen wurde, war das eine klare Absage an die Idee von Kontingenten: Das internationale "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" von 1951 (die sogenannte Genfer Flüchtlingskonvention) sprach jedem Menschen individuell Schutz zu, der befürchten musste, wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischer Überzeugung verfolgt zu werden. Ursprünglich war die Geltung der Konvention auf Ereignisse beschränkt, die vor 1951 eingetreten waren. Erst 1967 wurde in einem Zusatzprotokoll diese Stichtagsregelung beseitigt. Inzwischen haben 147 Staaten die Konvention ratifiziert; nicht dabei sind etwa Indien und Pakistan. In Deutschland verweist Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes auf die Konvention, allerdings erkennt die deutsche Rechtsprechung nur wenigen Flüchtlingen den Status als Genf-Flüchtling zu. Wer diesen Status hat, der hat Rechte, an denen der Staat kaum rütteln kann; bei anderweitig anerkannten Flüchtlingen hat die Bundesregierung mehr Spielraum, auch für Gesetzesverschärfungen. Ronen Steinke

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