Flüchtlinge:"Es wird sich für die Gesellschaft auszahlen"

Fachkräfte weiter Mangelware in Brandenburg

Angekommen: In einer Firma in Fürstenwalde arbeitet der 26-jährige Asylbewerber Hamza Ahmed aus Somalia an einem Stahlsegment.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Der neue Chef des Flüchtlings-Bundesamts gibt sich optimistisch: Deutschland bekommt von den Zuwanderern mehr zurück, als es jetzt in sie investiert.

Von Stefan Braun, Berlin

Euphorie ist Fehl am Platze, allzu großer Pessimismus aber ist es auch. Auf diese kurze Formel lässt sich nach Ansicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, die Antwort auf die Frage bringen, ob Deutschland in den kommenden Jahren Hunderttausende Flüchtlinge integrieren kann. Auf einer Konferenz in Berlin übernahm de Maizière den Part des Mahners; Weise dagegen präsentierte sich als Optimist, für den auf lange Sicht die Vorteile aus der Zuwanderung die Kosten für die Flüchtlinge deutlich übersteigen werden.

De Maizière sagte am Donnerstag in Berlin, mit vielen Flüchtlingen werde viel Arbeit auf das Land zukommen. "Viele bringen Träume von einem besseren Leben mit. Einige von ihnen werden in Erfüllung gehen, andere aber nicht", warnte der CDU-Politiker. Insbesondere die große Zahl werde fürs erste eine Herausforderung darstellen. Von einer großen Herausforderung sprach auch Frank-Jürgen Weise, der neben der Bundesagentur derzeit auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) leitet. Weise betonte aber zugleich, dass Deutschland diese Aufgabe bewältigen werde. Man könne glücklicherweise auf einen sehr robusten und gesunden Arbeitsmarkt zurückgreifen. Deswegen sei ihm nicht bange. Auf lange Sicht werde sich "die Zuwanderung für die Gesellschaft auszahlen". Erfahrungswerte zeigten zwar, dass man nicht zu schnell mit Erfolgen rechnen dürfe. Nach fünf Jahren hätten in der Regel zehn Prozent einen Job, nach zehn Jahren seien es 50 Prozent und nach 15 Jahren 70 Prozent. Trotz der langen Zeitspanne aber sei klar, dass Deutschland am Ende "mehr zurückbekommen wird als es einzahlt".

Gleichwohl gibt es nach Ansicht von beiden erst einmal erhebliche Probleme, die überwunden werden müssen. Größtes Problem für eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt sind nach Einschätzung des Bundesinnenministers die fehlenden Sprachkenntnisse und der Mangel an Informationen über die tatsächlichen Qualifikationen der Flüchtlinge. Deshalb sei es nötig, bei den Integrationsbemühungen nun mit "Improvisationsgabe und gesundem Menschenverstand" manche Standards für Unterricht und Ausbildung nicht überzubewerten. Gleiches gelte für die Anerkennung von Berufsabschlüssen oder auch für die Einstellungskriterien von Lehrern, die möglicherweise nicht alle Bedingungen erfüllen, die man üblicherweise benötigt, um Sprachkurse oder Fortbildungen zu leiten. Hier sei Schnelligkeit derzeit wichtiger als die Einhaltung aller Standards.

Der Minister rechnet aktuell damit, dass 40 Prozent der Flüchtlinge bleiben werden. Nimmt man jene noch dazu, die schon länger im Land leben, dann werden nach Einschätzung seines Ministeriums im kommenden Jahr rund 400 000 Flüchtlinge Sprach- und Integrationskurse besuchen. Das sind gut doppelt so viele wie bisher.

In Handwerksbetrieben fehlen derzeit mehr als 600 000 Fachkräfte

Weise betonte, dass die Zuwanderung dringend erforderlich sei, um "diese Volkswirtschaft und diese Sozialsysteme zu halten". Zugleich widersprach der Chef der Bundesagentur Befürchtungen, dass die Neuankömmlinge den knapp vier Millionen Landzeitarbeitslosen in Deutschland das Leben noch schwerer machen könnten. In der Arbeitslosenversicherung sei derzeit genügend Geld, um Sprach- und Ausbildungskurse zu finanzieren. Gleichzeitig gebe es für das Budget von Hartz IV zusätzliche Mittel des Bundes. Deshalb sei nach seiner Einschätzung die Gefahr gering, dass eine Gruppe zulasten einer anderen Gruppe bevorzugt werden könnte.

Recht viel Optimismus demonstrierte auch der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer. Er hob den enormen Bedarf an qualifizierten Fachkräften und an Auszubildenden hervor. "Wir brauchen sowohl den Häuptling als auch den Indianer", sagte Wollseifer. Allerdings mahnte der Handwerkspräsident an, sich nicht allzu sehr auf die bisherigen Angaben zu Qualifikationen zu verlassen. "Wir brauchen Berufsvorbereitungskurse und Einstiegsqualifikationen für die Arbeit", so Wollseifer. Nach Angaben des deutschen Handwerks fehlen der deutschen Wirtschaft derzeit mehr als 600 000 Fachkräfte.

Am Donnerstagabend sollten im Kanzleramt erneut die Spitzen der Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder zu einem Flüchtlingsgipfel zusammenkommen. Geplant war, dass Weise über den Stand des Personalaufbaus im Bamf und über die angestrebten Verfahrensbeschleunigungen berichten werde. Außerdem sollten die Bundesländer erläutern, wie sich die Zahl der Rückführungen abgelehnter Asylbewerber entwickle und welche Maßnahmen sie für eine bessere Aufnahme und Registrierung der Flüchtlinge ergriffen haben. Ob es neue Beschlüsse geben würde, blieb offen.

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