Flüchtlinge:Deutschland - einsam in Europa

Angela Merkel

Solidarität mit dem Stärksten ist in der EU nicht vorgesehen: Kanzlerin Angela Merkel

(Foto: dpa)

In der Flüchtlingsfrage werden sich die EU-Länder erst wieder solidarisch zeigen, wenn die Lage einigermaßen unter Kontrolle zu sein scheint. Und sie sind sich einig, wer das schaffen soll: Angela Merkel.

Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Mit viel Aufwand hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise bisher dem Eindruck entgegenzuwirken versucht, Deutschland sei allein. Wo im Kreise der 28 EU-Staaten nichts zu erwarten war, scharte sie eine Koalition der Willigen um sich. Wo keine Erfolge in Sicht kamen, verbreitete sie Zuversicht. Die Hoffnung auf eine faire Lastenteilung in Europa ließ Merkel zumindest öffentlich nie fahren. Tatsächlich aber hat die deutsche Politik in Europa erleben müssen, wie einsam man auch in Gesellschaft werden kann.

Am Eingeständnis, dass europäische Solidarität die Flüchtlingskrise nicht lösen wird, führt kein Weg mehr vorbei. Die Bereitschaft zur Solidarität wird erst dann wieder wachsen, wenn die Lage einigermaßen unter Kontrolle gebracht zu sein scheint. Und wer das schaffen soll, darüber sind sich die anderen Europäer einig: Angela Merkel.

Die Deutschen, die im Laufe eines Jahres mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen haben, können dies mit guten Gründen ungerecht finden. Doch das hilft nicht weiter. Zwar mag Angela Merkel sich gegen den Vorwurf wehren, sie habe eine Einladung an alle jene ausgesprochen, die Zuflucht und ein besseres Leben suchen. Die Überzeugung in fast allen Teilen der EU ist jedoch, dass die Kanzlerin genau das getan hat. Das schafft, wahr oder nicht, politische Fakten.

Erschreckend ungenau war offenbar das Bild, dass sich Merkel anfangs von der Stimmungslage in der EU gemacht hatte. Während sie noch über die mangelnde Solidarität von Ungarn oder Slowaken klagte, zeigte sich, dass eigentlich niemand verlässlich an der Seite der Deutschen steht. Unübersehbar wurde das, als das offene Schweden die Grenzen dichtmachte. Bezeichnend ist auch, dass Österreich nun eine Asyl-Obergrenze verkündet.

Solidarität mit dem Stärksten ist nicht vorgesehen

Außerhalb der Luxemburg-Liga gehen Deutschland die Verbündeten aus. Im europäischen Krisenknäuel gibt es dafür viele Gründe. Aus der heißen Phase der jüngsten Runde in der Euro-Rettung sind noch ein paar Rechnungen offen. Der Italiener Matteo Renzi verfolgt überdies seine eigene Agenda und will am Durchwinken der Flüchtlinge gar nichts ändern.

Frankreichs Präsident François Hollande steht unter dem doppelten Druck des Terrors und des Aufstiegs der Rechtsextremen. Er würde es nicht sagen, findet aber offenbar, dass Merkel ihre Probleme selber lösen muss. Ganz zu schweigen vom Briten David Cameron, der mit seinem Brexit-Referendum noch einmal eine Krise draufgelegt hat.

Überdies: Die EU hat eine gewisse Erfahrung darin, Schwachen aus der Klemme zu helfen. Solidarität mit dem Stärksten ist nicht vorgesehen.

Merkel in misslicher Lage

Zwar weiß Merkel immerhin die EU-Kommission an ihrer Seite. Ganz im Sinne seines "politischen" Verständnisses vom Amt prangert Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Egoismus der Mitgliedstaaten an und lässt Lösungspläne entwerfen. Doch am Ende steht häufig Ernüchterung.

Junckers Kommission benimmt sich wie eine Regierung, ist aber keine. Ihr fehlen die Mittel, ihre Pläne auch durchzusetzen, was sich besonders deutlich bei der schleppenden Errichtung der sogenannten Hotspots in Griechenland und Italien zeigt, wo Flüchtlinge registriert und weiterverteilt werden sollen.

Anders als im Falle Griechenlands in der Euro-Krise ist es bisher nicht gelungen, ein EU-weites Bewusstsein für den Ernst der Lage zu schaffen. Wenn Deutschland mit seiner Politik scheitert, trifft das alle. Die Warnungen vor einem Ende des passlosen Reisens im Schengen-Raum nimmt niemand so recht ernst.

Merkel muss Handlungsspielraum gewinnen

Überlagert wird die Diskussion von einer viel stärkeren Angst - der Angst vor den Populisten und Extremisten, welche die Furcht vor dem Fremden schüren. Von Merkel wird nun erwartet, dass sie wieder ein Gefühl von Kontrolle herstellt. Ihre nüchternen Ankündigungen, die Zahl der ankommenden Migranten verringern zu wollen, reichen da nicht aus.

Merkel befindet sich in der misslichen Lage, eine Einladung zurücknehmen zu sollen, von der sie bestreitet, sie jemals ausgesprochen zu haben. So ergibt sich eine widersprüchliche Situation: Die Deutschen wollen, dass die EU ihnen hilft, aber gleichzeitig müssen sie die EU vor schwerem Schaden bewahren. Europas Abkommen mit der Türkei ist in Wahrheit ein deutsches Abkommen, was bei den deutsch-türkischen Regierungskonsultationen an diesem Freitag auch deutlich werden dürfte.

Für Merkel hängt fast alles davon ab, dass endlich weniger Flüchtlinge in Westeuropa ankommen. Erst dann gewinnt sie Handlungsspielraum zurück, um eine europäische Asylpolitik einzufordern. Die EU ist in dieser Krise überfordert, aber sie darf es nicht bleiben.

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