Flüchtlinge:Der rätselhafte Herr Tusk

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Der EU-Ratspräsident stiftet Verwirrung mit Aussagen zur "ineffizienten" Flüchtlingspolitik. Die Reaktionen fallen jedenfalls sehr erwartbar aus.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Als Ratspräsident der EU sollte Donald Tusk einigermaßen neutral bleiben, vermitteln zwischen den Lagern. In Brüssel wird deshalb gerätselt, was der diplomatisch versierte Pole im Sinn hatte, als er das Quotensystem der EU in seiner Gipfeleinladung an die Staats- und Regierungschefs unverblümt als "ineffizient" kritisierte. Wollte er einfach mal Stellung beziehen, schließlich hatte er die Umverteilung nie für sinnvoll gehalten? Wollte er sich bei seinen Landsleuten einschmeicheln, für die er gerne wieder in gehobener Position tätig werden möchte? Oder wollte er provozieren, damit die Standpunkte möglichst brutal geklärt werden können?

Die Reaktionen waren jedenfalls erwartbar. Die Vertreter der vier Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei lobten Tusk und fühlten sich zur Abwechslung einmal verstanden. Typisch die Aussage des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó: "Es ist höchst erfreulich, dass endlich eine europäische Führungspersönlichkeit, noch dazu der Ratspräsident, die Wahrheit ausspricht, die jeder kennt." Quoten seien keine Lösung für die illegale Migration, sekundierte Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babiš. Ebenso typisch jene Aussage des österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern: Er lehne das grundsätzliche Denken, das in Tusks Brief zum Ausdruck komme, "in hohem Maße ab". Selbst seine deutsche Kollegin Angela Merkel erteilte Tusk eine für ihre Verhältnisse klare Absage. Seine Unterlagen seien "unvollständig", und "selektive Solidarität" sei mit ihr nicht zu machen. Entlang dieser Pole wird sich die freie Aussprache bewegt haben, die beim Abendessen zur Migration geführt wurde. Dass sich all dem, wie geplant, bis Ende Juni eine Lösung im Konsens ergeben kann, glauben im Ernst nicht einmal die Optimisten in der EU-Kommission.

Besagte selektive Solidarität demonstrierten die Visegrád-Staaten, als sie 35 Millionen Euro bereitstellten. Sie sollen der EU und vor allem Italien helfen, die Grenzen in Libyen zu sichern. Damit werde der Teil der EU-Flüchtlingspolitik unterstützt, der funktioniere, sagte Ungarns Premier Viktor Orbán mit diebischer Freude. Der daneben stehende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ließ sich seinen Ärger nicht anmerken und säuselte, die 35 Millionen seien doch der "Nachweis, dass die Visegrád-Vier voll dabei sind, wenn es um Solidarität mit Italien und anderen geht".

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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