Flüchtlinge:Der nächste heikle Flüchtlings-Deal

Lesezeit: 3 min

Diese Flüchtlinge wurden vor der libyschen Küste gerettet. Tausende andere hatten weniger Glück: 2016 ist das bisher tödlichste Jahr für Migranten. (Foto: AFP)
  • Die Zahl der Flüchtlinge, die in diesem Jahr über die zentrale Mittelmeer-Route nach Italien gekommen sind, stieg auf 171 300.
  • Zugleich wird 2016 das tödlichste Jahr für Migranten sein: 4700 sind bisher im Mittelmeer ertrunken.
  • Schon länger wird daher über Flüchtlingsabkommen der EU mit nordafrikanischen Ländern debattiert.
  • Nun will der Auswärtige Ausschuss des Bundestags über das Thema beraten.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Am Montag hat Italiens Küstenwache wieder 1400 Menschen aus seeuntüchtigen Gummi- und Holzbooten gerettet, die vor der Küste Libyens trieben. Die Zahl der Flüchtlinge, die in diesem Jahr über die zentrale Mittelmeer-Route nach Italien gekommen sind, stieg auf 171 300 und damit über das Niveau von 2014, dem bisherigen Rekordjahr für diesen Fluchtweg.

Zugleich wird 2016 das bislang tödlichste Jahr für Migranten sein: 4700 sind bisher im Mittelmeer ertrunken. Das ist der Hintergrund, vor dem die Debatte über Flüchtlingsabkommen der EU mit nordafrikanischen Ländern ähnlich wie jenem mit der Türkei wieder verstärkt geführt wird - in Deutschland, aber auch in der EU und mit Staaten südlich des Mittelmeers, allen voran Ägypten.

CDU-Bundesvize Thomas Strobl, zugleich Innenminister in Baden-Württemberg, fordert etwa, die Möglichkeit zu schaffen, "dass wir ausreisepflichtige Ausländer jedweder Nationalität in ein sicheres Rückführungszentrum nach Nordafrika bringen". Es gebe gute Chancen, eine "solche Vereinbarung mit Ägypten zu treffen". In Kairo berichten Zeitungen vom deutschen "Geheimplan" zur Abschiebung, wenngleich der in der Bild am Sonntag stand.

An diesem Mittwoch berät auch der Auswärtige Ausschuss des Bundestags über das Thema. Dessen Mitglied Alexander Radwan (CSU), der jüngst Ägypten besucht hat, sagte, es gebe in der Flüchtlingsthematik keine kurzfristigen Lösungen. Er halte es "allerdings schon für essenziell, Vereinbarungen in dieser Frage mit den Ländern Nordafrikas, darunter auch Ägypten, zu treffen, die einen Beitrag zum Schutz unserer Außengrenzen leisten".

Türkei
:Erdoğan droht EU mit Grenzöffnung - Berlin reagiert sofort

Nach dem EU-Votum für eine Aussetzung der Beitrittsgespräche sendet der türkische Präsident eine harsche Botschaft nach Brüssel. Die Bundesregierung warnt vor einer Eskalation des Streits.

Mittelmeerroute: Etwa neunzig Prozent der Flüchtlinge brechen in Libyen auf

Ein Sprecher der Bundesregierung sagte lediglich, diese setze sich "für eine Ausweitung der migrationspolitischen Zusammenarbeit der EU auch auf nordafrikanische Staaten ein, darunter auch Ägypten". Konkrete Verhandlungen mit Ägypten seien ihres Wissens seitens der EU aber noch nicht aufgenommen worden. Was nicht heißt, dass nicht längst mit Ägypten geredet wird.

Mitte November traf EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos Präsident Abdel Fattah al-Sisi, zwei Wochen vorher war Christoph Heusgen in Kairo, der außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel, begleitet von Jan Hecker, der im Kanzleramt die Flüchtlingspolitik koordiniert.

Die britische Sunday Times berichtete, gestützt auf Quellen in Brüssel, es sei dabei um die Rückführung abgelehnter Einwanderer aus der EU gegangen - und darum, ob im Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge nach Ägypten gebracht werden könnten. Etwa 90 Prozent von ihnen starten in Libyen, wohin die Boote wegen der instabilen politischen Situation und der sich verschlechternden Sicherheitslage nicht zurückgebracht werden dürfen. Etwa neun Prozent brechen von Ägypten aus auf.

Die Idee von Flüchtlingszentren in afrikanischen Ländern ist nicht neu; Italien brachte sie 2015 ins Spiel. Die Bundesregierung stellte nun auf Anfrage klar, bei Heusgens Gesprächen in Kairo sei es "nicht um die Einrichtung von Zentren gegangen, in denen Angehörige dritter Staaten auf ägyptischem Territorium Asylanträge für Länder der EU stellen können". Wegen der Vertraulichkeit der Gespräche könne sie keine Auskunft zu weiteren Einzelheiten geben.

Für die Regierung in Kairo ist das Thema heikel, allerdings weiß sie nur zu gut, dass die EU der Türkei sechs Milliarden Euro zugesagt hat. Geld braucht Kairo angesichts der Wirtschaftskrise dringend. Die Milliarden vom Internationalen Währungsfonds sind nur Kredite. Bisher zeigt sich Ägypten dem Vernehmen nach aber allenfalls bereit, über die Rücknahme von Ägyptern zu sprechen. Sie machen einen kleinen Teil der Flüchtlinge aus - die meisten kommen aus Nigeria, Eritrea, Guinea und anderen afrikanische Staaten südlich der Sahara.

Berlin dürfte klar sein, dass Ägypten für weitergehende Kooperationen ein schwieriger Partner wäre: In der Antwort auf eine Anfrage der Grünen referiert das Auswärtige Amt, dass es trotz des in der Verfassung verankerten Asylrechts kein geregeltes Anerkennungsverfahren gibt, mit dem Flüchtlinge nur über eine Registrierung beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Schutz erlangen können.

Selbst der sei mangelhaft, kritisiert Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen. Syrer, die beim UNHCR registriert seien, "bekommen keinen Status, mit dem sie Zugang zu Wohnraum, Schule oder zur Gesundheitsversorgung hätten". Auch sei nicht glaubwürdig, wenn die Regierung behaupte, von Plänen zur Kooperation mit Ägypten à la Türkei nichts zu wissen.

Das Abkommen mit Ankara wankt inzwischen - Kritik am Vorgehen gegen seine Gegner goutiert Präsident Reccep Tayyip Erdoğan nicht. Flüchtlingsdeals gegen Schweigen bei Menschenrechtsverletzungen, sagt die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner, dürfe es nicht geben. Über die Menschenrechtslage in Ägypten aber zeigt sich selbst die Bundesregierung "besorgt".

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

ExklusivNach Bootsunglück mit vielen Toten
:EU befürchtet Massenflucht aus Ägypten

Nach einem Bootsunglück vor der Küste Ägyptens sterben mindestens 43 Menschen. Europaparlamentspräsident Martin Schulz will mit Kairo ein Abkommen wie mit der Türkei.

Von Nico Fried und Paul-Anton Krüger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: